Interview mit Keyboarder und Pianist Niklas Paschburg
Niklas Paschburg, der naturverbundene Berliner, spricht mit uns über sein neues Album Svalbard und erklärt, warum es ihn im tiefsten Winter in die nördlichste dauerhaft bewohnte Siedlung der Welt zog.
Wer im Januar nach Spitzbergen reist, hat etwas Ungewöhnliches vor. Die norwegische Inselgruppe besteht aus über 400 zerklüfteten Inseln und Schären, zwischen ihr und dem heimischen Festland liegen schlappe 850 km kalter, schwarzer, tiefer arktischer Ozean. Der Nordpol ist von hier aus mit 1.300 km fast zum Greifen nah, und der Nordpolarkreis scheint mit 1.300 km fast unendlich weit weg. Die Inseln liegen hier im Winter im schwarzen, kargen Nichts.
Longyearbyen, so etwas wie die Metropole der Inselgruppe, gilt mit knapp über 2.000 Einwohnern als die nördlichste, dauerhaft bewohnte Siedlung der Welt. Wegen der »warmen« Atlantikströmungen ist es für die arktische Lage relativ mild, was aber im Januar immer noch durchschnittlich –15 Grad und viel Wind bedeutet. Flora: Hauptsächlich Flechten, Moose und Pilze; Fauna: Svalbard-Rentiere und -Gänse, außerdem sind drei Fuchsbauten bekannt.
Sicher ein ziemlicher »Coolturschock«, vor allem, wenn man, so wie Niklas Paschburg, den Rest des Jahres überwiegend im sonnigen und betriebsamen Berlin verbringt. Bereits sein erstes Album hat er im Winter an der Ostsee aufgenommen, nun zog es ihn im Winter in die nordische triste Ödnis mit extremen Naturgewalten, um fern vom heimischen Trubel zu suchen, was man in Deutschland kaum finden wird. Die Inspiration zu seinem zweiten Album Svalbard, benannt nach dem Norwegischen Namen für Spitzbergen.
Niklas, gibt es an einem solchen Ort überhaupt ein Studio, oder hast du dir alles Nötige eingepackt?
Das war auch meine erste Frage. Ich hatte nämlich zuerst den Ort ausgesucht, und danach habe ich mit der Recherche begonnen; Wo kann ich dort aufnehmen und gibt es dort ein Klavier? Ich hatte dann mit dem Touristenzentrum viel Kontakt, und die haben mir gut geholfen. Es gibt dort tatsächlich ein Konzerthaus, das auch unglaublich gut ausgestattet ist, viel besser als viele in Deutschland, und das, obwohl dort nur 2.000 Leute wohnen. Das liegt allerdings auch daran, dass dort im Sommer, wenn es dort auch einige Touristen gibt, Konzerte veranstaltet werden. Im Januar ist das nicht so, und daher gab es dort auch ein Klavier und einen Raum, der sonst als Probeoder Backstageraum genutzt wird, was ich nutzen konnte. Es war also kein Studio, aber völlig ausreichend.
War das der Grund, warum du im Januar dort hoch gegangen bist, oder wolltest du sowieso im Winter dort hin?
Ich wollte tatsächlich sowieso im Winter hoch – das war mir von vornherein klar. Ich wollte in die Kälte, und ich wollte an einen extremen Ort und die extremen Wetterbedingungen spüren und als Inspiration nutzen. Die Dunkelheit kam dann noch dazu. Erst danach hat sich alles andere gefügt.
Und von der Akustik her war der Raum gut?
Ja, aber ich war dort oben eher zum Skizzieren, Ideen sammeln und Demos aufnehmen Die eigentlichen Aufnahmen wurden dann in Brighton mit Andy Barlow, dem Produzenten, gemacht.
Du hast gerade schon die Wetterbedingungen angeschnitten. Inwiefern hat das Auswirkungen auf dein Songwriting?
Das hat schon wirklich große Auswirkungen. Es ist 24 Stunden am Tag dunkel – man sieht wirklich nie die Sonne, d. h., es wird auch nicht wirklich heller, da ist auch der eigene Körper nach einigen Tagen verwirrt. Dann ist es dort zwar für arktische Verhältnisse sehr mild, aber trotzdem –15 oder auch mal –25 Grad kalt. Außerdem ist es eine Insel, also recht stürmisch, was das eigentlich Fiese ist. Selbst bei »nur« –15, –20 Grad, aber Sturm, fühlt sich das schnell wie –30, –35 Grad an. Das lässt einen nicht unbeeindruckt und spiegelt sich auch in den Liedern wider.
Der Track Cyan z. B. ist tatsächlich inspiriert durch einen Schneesturm, in den ich mal auf dem Weg zum Studio geraten bin. Ich hatte einfach die Wetterverhältnisse nicht gecheckt für den Tag und musste über einen gefrorenen Fluss. Der ganze Ort liegt in einem Tal, ringsum sind Berge, und da kann es schon sehr ordentlich durchfegen. Und von diesem Erlebnis erzählt der Track.
Nun machst du ja Instrumentalmusik, und deine Ambition war es von vornherein, die Natur mit einfließen zu lassen. Inwiefern, denkst du, ist dieser Naturaspekt für den Rezipienten heraushör- oder nachvollziehbar?
Das ist schwierig zu sagen. Jeder denkt bei dem Stichwort Natur an etwas anderes, und jeder nimmt Musik anders wahr. Für mich war Musik schon immer sehr verbunden mit der Natur. Durch Klänge und Sounds kann man z. B. Wasser, Wellen oder Windrauschen musikalisch nachbilden. Eine stürmische See kann man genauso nachbilden wie einen sonnigen Tag.
Das hat sich für mich schon beim ersten Album ergeben (welches Niklas ebenfalls im Winter, aber an der Ostsee aufgenommen hat; Anm. d. Verf.), da habe ich schon viel Inspiration vom Meer gezogen, was ich versucht habe umzusetzen. Was dann beim Hörer ankommt und wie er das wahrnimmt, da steckt man nie dahinter. Das finde ich aber auch das Schöne. Der eine sagt: »Da höre ich die See, die Kälte«, und jemand anderes sagt: »Das verbinde ich überhaupt nicht, ich höre das einfach gerne zum Lernen« – das ist alles legitim, und finde ich auch immer spannend, wie das ankommt. Aber erstmal ist mein Hintergrund und meine Idee das, was ich in der Natur erfahre und sehe.
Du versuchst mit deinem aktuellen Album auch, auf den Klimawandel hinzuweisen. Wie gelingt dir das?
Das ist natürlich eine gezielte Message, und da ist es ohne Text schon schwierig. Mit Text könnte man da konkret drauf eingehen, was ich durch Instrumentalmusik nicht kann. Trotzdem ist es aber ein Thema, auf das ich gerne durch Musik aufmerksam machen will, z. B. indem ich erzähle, was ich dort erfahren habe. Ich habe in Svalbard auch mit den Einheimischen gesprochen, und sie haben mir geschildert, wie sich Spitzbergen verändert – die Winter werden milder, das Eis, welches es dort auch ganzjährig gibt, schmilzt etc. Dann fängt man auch selbst noch an, zu recherchieren und sich dafür zu interessieren. Tatsächlich ist Spitzbergen einer der Orte, auf den der Klimawandel mit am meisten Einfluss hat, und so wird dort gerade viel beobachtet, was und wie es sich verändert.
Kommen wir mal zu deinem Instrumentarium. Nutzt du immer ein echtes Klavier?
Bei mir im Studio steht ein echtes Klavier, und das ist für mich auch das Wichtigste. Live verwende ich auch am liebsten ein Upright. Natürlich steht da auch manchmal ein Flügel, den ich dann auch gerne benutze.
Bevorzugst du das Klavier aus logistischen oder klanglichen Gründen?
Tatsächlich, wenn mich jemand für Live fragen würde, ob ich ein Klavier oder Flügen bevorzuge, würde ich immer das Klavier nehmen. Da fühle ich mich mehr zuhause, und es ist auch der Sound, den ich im Studio aufgenommen habe. Natürlich gibt es auch da große Unterschiede, und es gibt auch welche, die ich nicht mag, aber ein Flügel muss es für mich nicht sein. Der Klang ist schon nochmal ein ganz anderer – wesentlich größer, wesentlich brillanter –, und ich mag aber das Kleine und Intime vom Upright-Klavier.
Was benutzt du an elektronischen Instrumenten?
Mein erster Synthi, der leider gerade kaputt ist, war der [Korg] MS2000, den habe ich früher viel genutzt. Vor zwei Jahren kam der OB-6 von Dave Smith dazu, und als neuster Synth noch der ARP Odyssee als Reissue, da wollte ich nämlich sicher sein, dass der auch live zuverlässig ist.
Was waren deine Kriterien bei dieser Wahl?
Als ich mir den MS2000 zugelegt hatte, hatte ich bis dato noch überhaupt keine Berührungsunkte mit Synthies. Ein Kumpel hatte den, da habe ich immer dran gespielt und fand den irgendwie cool. Irgendwann wollte ich damit mal anfangen, und dann habe ich ihn mir zugelegt, weil er mir vertraut war. Er war zwar nicht analog, aber als Einstieg trotzdem nicht schlecht. Er fühlte sich noch ein bisschen mehr nach Software an, was ich schon kannte, und man kann auch Presets abspeichern. Das war für mich von Vorteil.
Bis zum OB-6 vergingen ein paar Jahre, und inzwischen hatte ich eine Vorstellung davon, welchen Sound ich eigentlich haben will. Bei dem ersten weiß man noch nicht immer, in welche Richtung es geht. Beim OB-6 wusste ich dann also: Ich wollte einen analogen, polyfonen, weil ich viel mehrstimmig spiele, und natürlich sollte er vom Sound sehr kraftvoll, sehr warm und nicht so hart sein. Den OB-6 habe ich dann mal gehört, getestet und mich in ihn verliebt. Den musste ich mir einfach holen!
Der ARP war dann auch erstmal die pragmatische Ablösung für den MS2000, weil der live kaputt ging und ich schnell Ersatz brauchte. Und bei der Gelegenheit wollte ich auch mal einen Mono-Synth probieren, weil ich noch nie einen hatte – ich weiß, man kann den auch zweistimmig spielen, aber eigentlich ist es erstmal ein Monosynth –, das fand ich sehr spannend. Er ersetzt nun Arpeggio-Sounds, die ich früher mit dem MS2000 gemacht habe und führt das klanglich nochmal auf ein anderes Level.
Magst du denn eher digitale oder analoge Synthesizer?
Also, ich habe weder etwas gegen das eine noch gegen das andere. Beides hat seine Vor- und Nachteile, und dementsprechend versuche ich das auch zu nutzen. Im Vergleich mit Software bevorzuge ich physische Geräte schon allein aus dem Aspekt heraus, dass man immer etwas vor sich hat, das man anfassen und an dem man schrauben kann – da spielt es erstmal keine so große Rolle, ob analog oder digital. Das inspiriert mich einfach mehr, da es für mich ein natürlicherer Ablauf ist, Sounds zu basteln, indem ich z. B. den Cutoff mit der Hand aufdrehe anstatt mit der Maus.
Im Hinblick auf Sound … da bin ich auch kein riesen Verfechter von analog, da gibt es inzwischen sogar auch Plug-ins, die unglaublich gut und teilweise genau wie das Original klingen. Das ist dann völlig legitim, die zu nutzen. Was ich an analog mag, ist, dass man weiß, dass es analog ist und dass alles passieren kann. Es kann kaputt gehen, es kann sich verstimmen … Wenn Potis z. B. beim Bedienen Geräusche machen, das finde ich spannend.
Wie gehst du denn bei Live-Auftritten mit der Situation um, dass man bei einigen analogen Synthies keine Sounds abspeichern kann?
Also bei dem OB-6 habe ich zum Glück die Möglichkeit des Speicherns, aber bei dem ARP nicht. Das war auf jeden Fall eine Herausforderung für mich, da ich das vorher auch nicht gewohnt war. Da ist es die Herausforderung, im richtigen Moment den richtigen Sound zu finden. Das kann ich aber auch nicht mit allen Sounds auf der Bühne machen, weil ich nicht immer die Hände dazu frei habe. Deswegen versuche ich, da eine Balance zu finden zwischen analog und digital. Analog ist live okay, aber nur zu einem gewissen Grad. Finde es aber manchmal auch okay, nicht speichern zu können, weil es dadurch immer anders wird.
Habe ich da noch einen PC auf der Bühne gesehen?
Richtig, da läuft noch Ableton. Das ist für mich einfach das praktischste Tool, was ich für mein Live-Set gefunden habe, da ich extrem viel loope. Zum Songs schreiben oder Demos aufnehmen nutze ich allerdings Cubase, damit habe ich seit Anfang an gearbeitet und davon bin auch bisher nicht weggekommen. Ich fahre also zweigleisig.
Hast du für Live-Auftritte dann für jeden Song ein Projekt programmiert, das Ableton an der richtigen Stelle aufnimmt und loopt und stoppt?
Teilweise. Ich benutzt noch ein Launchpad dazu, auf dem ich noch häufig selbst den Loop-Button drücke, damit ich da live die Entscheidungsgewalt habe. Teilweise ist das aber auch so weit programmiert, dass der Loop X an Stelle Y stoppt etc. Ich versuche aber immer, viel selbst noch mit der Hand zu machen, um selbst entscheiden zu können, ob ich noch ein bisschen länger spiele oder nicht.
Weißt du schon, was als Nächstes bei dir ansteht?
Jetzt stehen erstmal noch ein paar Konzerte an. Ich will aber auch noch unbedingt ein paar Kollaborationen mit Sängerinnen und Sängern machen, um noch von einigen Lieder andere Versionen mit Gesang zu haben. Außerdem könnte sich etwas in Richtung Filmmusik ergeben, aber für genauere Infos ist es im Moment noch etwas zu früh.
Niklas Paschburg – Svalbard
Paschburgs Hauptinstrument ist und bleibt das Klavier! Zwar nutzt er Synthis und (Drum-)Loops leidenschaftlich, aber sie haben fast immer »nur« eine stützende Funktion, um Harmonien und Melodien vom Klavier hervorzuheben.
Schwer zu sagen, was man auf Svalbard hören würde, hätte man nicht die Entstehungsgeschichte rund um Spitzbergen im Hinterkopf. In jedem Fall ist der Musik eine verträumte Melancholie nicht abzusprechen, die manchmal so schnell verfliegt, wie sie gekommen ist, oder ganz zart und zerbrechlich wirkt. Gespickt sind die Themen immer wieder mit Geräuschen, die tatsächlich an zerberstendes Eis, Eiseskälte und eisige Winde erinnern – ob man diese als Hörer hautnah erfühlt oder aus einer wohlig-warmen Bude jenseits des Glases beobachtet, bleibt jedem selbst überlassen.