Gregor Tresher produziert das Album Catharsis von Sven Väth
Nach rund 20 Jahren ist es wieder so weit. Sven Väth, einer der wegweisenden und populär erfolgreichsten Techno-DJs seit der ersten Stunde des Frankfurter Nachtlebens, meldet sich mit einem frischen Soloalbum namens Catharsis zurück.
Catharsis … klopft da nicht mein alter Deutschlehrer an mein Kleinhirn? War das nicht irgendwas mit griechischer Literatur? Richtig. Die Katharsis bezeichnet nach Definition der Tragödie in der Poetik von Aristoteles die Reinigung von bestimmen Affekten. Vielleicht kann man hier eine Parallele ziehen zur Bereinigung der Corona-Pandemie? Immerhin ist das Werk zu Corona-Zeiten entstanden, und der Song Feiern schreit förmlich nach einem Ende der Pandemie und einem Neustart des freien unbeschwerten Feiervergnügens. Viel Raum also zum Interpretieren dieses Neuwerkes – am Ende sollte man aber natürlich auch nicht übersehen, dass der Titel des Albums abgeleitet ist vom Titel-Song. Wir haben mit Gregor Tresher, dem Produzenten von Catharsis gesprochen.
Wenn in der Corona-Zeit ein Künstler nach 20 Jahren wieder ein Album veröffentlicht, drängt sich der Verdacht auf, dass das ein Corona-Produkt ist. War das hier auch so?
Gregor: Ich denke schon, dass das seinen Beitrag dazu geleistet hat. Sven hatte mich Anfang letzten Jahres angerufen, und da war Corona schon fast ein ganzes Jahr aktiv. Aber eigentlich wollte er schon länger wieder etwas machen, und nun hatten wir einfach die Zeit dazu gehabt.
Wie kam es, dass er dich angerufen hat, um mit dir die neue Platte aufzunehmen?
Ich kenne Sven schon seit unseren Jugendtagen, als wir früher durch die Nachtklubs streiften. Ich habe mit ihm auch schon das ein oder andere zusammen produziert – das Erste war eine Single namens Komm, 2004 müsste das gewesen sein. Später folgten auch noch weitere Projekte. Letztendlich hat er mich aber ziemlich out of the blue angerufen und gefragt, ob wir nicht was zusammen aufnehmen wollen.
Gab es eine Idee, die über der ganzen Produktion schwebte?
Ich würde sagen, das ist ziemlich organisch entstanden. Am Anfang haben wir ja erst den ersten Song gemacht, dann einen weiteren, und irgendwann haben wir gemerkt, dass das ein ganzes Album werden kann. Selbst die Ambient-Tracks, die mit auf Catharsis sind, sind nicht darauf gelandet, weil es irgendwelche Vorgaben gab, sondern weil es einfach so entstanden ist.
Ich kann mir vorstellen, viele DJs arbeiten über weite Strecken ziemlich autark im eigenen Kellerlein. Was genau war deine Aufgabe hier?
Also Sven arbeitet nicht selbst im Studio, und als er mich angerufen hatte, hatte er nichts. Es ist alles vom Scratch entstanden. Natürlich hatte er Ideen, weiß etwa, wie es klingen soll, und er hat auch selbst viele Samples mitgebracht – zumindest im Kopf. Was er mitgebracht hat, war also ein Konzept sowie eben Fieldrecordings, z. B. von einer Feier am Ganges in Indien. Aber entstanden ist das komplett bei mir im Studio.
Bei der Single Feiern – das war ja die erste Single des Albums – hatte er die Idee zu den Vocals, und ich habe einen Track dazu gebaut, da war ich ziemlich autark mit. Zunächst hatten wir beide aus der Distanz dran gearbeitet, und nur, um ihn zu finishen, kam er nach Frankfurt. Als der Track fertig war, haben wir noch eine zweite und dritte Nummer gemacht, und erst danach merkten wir: »Okay, da kann auch ein ganzes Album draus werden.« Nach dem Entschluss war er dann sehr regelmäßig bei mir im Studio, und nach etwa zwei Monaten war die Produktion im Kasten.
Auf dem Album sind nun 13 Songs. Wie viele Songideen aber brauchte es, aus denen ihr dann ausgewählt habt?
Es gab noch fünf, sechs weitere Layouts, die wir dann aber schon während des Ausproduzierens wieder verworfen haben. Es ist aber auch nicht undenkbar, dass damit nicht doch nochmal was passiert.
Hast du, oder auch Sven vielleicht, einen Druck verspürt, um etwaige Erwartungen der Fans zu erfüllen?
Für Sven, der ja der Künstler dieser Musik ist, kann ich da nicht sprechen, aber ich habe die Arbeit als sehr frei empfunden. Es gibt einige kleine klangliche Ähnlichkeiten zu älteren Sachen, aber das ist eher zufällig entstanden und nicht aus einem Druck heraus. Eigentlich war schon klar, dass das Interesse groß sein wird, wenn Sven nach 20 Jahren eine Platte herausbringt – das liegt schon auf der Hand. Da musste er sich nicht noch künstlich Druck machen, um diese Erwartungen zu erfüllen. Und die Reaktionen, die wir bisher haben, zeigen auch in die andere Richtung.
Wie wichtig ist es, auch für jemanden wie Sven Väth, beim Veröffentlichen eine optimale Strategie zu verfolgen?
Natürlich ist es wichtig, dass wir Spotify richtig bedienen, dazu muss man schon viele Sachen berücksichtigen. Dazu gehört es auf jeden Fall, schon mal ein paar Nummern auf Spotify vorher zu zeigen, allein schon, um einen Hype zu generieren. Das sollte definitiv geschehen, bevor man das Album in Gänze veröffentlicht. Und essenziell ist es auch, dass die Downloads erst mit Veröffentlichung der physischen Platten veröffentlicht werden; gerade weil Sven ein Vinyl-DJ ist. Und es wäre einfach unfair, wenn die Vinyl-DJs noch warten müssen, während alle anderen DJs die neuen Tracks schon spielen.
Da muss man übrigens frühzeitig dran sein, um die Deadlines einzuhalten, denn die Presswerke sind alle extrem busy.
Kommen wir mal zur Produktion: Was sind da eure digitalen und vielleicht auch analogen Helfer?
Als DAW nutze ich Cubase schon seit rund 25 Jahren. Logic und auch Ableton habe ich zwar auch mal ausprobiert, aber am Ende bin ich wieder bei Cubase gelandet. Als Software kam viel von UAD zum Einsatz. Ich habe zwar auch noch einige Synthis hier rumstehen, bin aber nicht mehr so puristisch, dass ich genau den dann verwenden muss, nur um des Nutzens willen. Bei einigen Stücken kamen die trotzdem noch zum Einsatz, aber andere Stücke sind komplett in-the-box entstanden. Da lass ich mich eben treiben, was ich benutzen möchte und was eben Sinn macht.
Gerne nutze ich meinen Korg Mono/Poly, mein Roland System-100 oder auch einen Minimoog. Solche Dinger zu nutzen ist immer wieder toll, aber ich sag mal, in einer normalen Produktion eines Songs kommen die etwa für eine Line zum Einsatz.
Und wenn du die dann doch verwendest, dann des Sounds wegen oder weil du einfach Lust auf das haptische Gefühl hast?
Beides. Das Roland System-100 hat einen so eigenen Charakter, das macht es oft einfach spannender. Würde man dafür einen Clone verwenden, fehlt mir manchmal etwas das Unperfekte. Es hilft, der Kreativität wegen einen anderen Weg einzuschlagen. Manchmal ist es aber auch eine Soundfrage, besonders mit dem System-100, der ist so breit und fett, da kommt schwer etwas mit. Am Ende aber ist immer der Song wichtig und nicht der Weg, wie man da hingekommen ist.
Andere DJs haben oft Faustformeln, welche Sounds sie mit welchen Geräten produzieren. Für Bass z. B. analoge Geräte oder dergleichen. Hast du da auch eigene Regeln?
Natürlich nutze ich den Minimoog eher für einen Bass- als einen flirrenden Sound, aber prinzipiell gehe ich da nicht so puristisch ran. Es geht da meistens eher um den Kreationsprozess. Will heißen, wenn ich einen analogen Sequenzer benutze, komme ich sicher auf andere Ideen als bei digitalen. Aber auch da gibt es tolle Sachen, mit denen man schnell zu tollen Ergebnissen kommt.
Du hattest bereits erwähnt, dass ihr mit Fieldrecordings gearbeitet habt, die Sven aufgenommen hat – eins sogar in Indien am Ganges. Wie habt ihr damit gearbeitet?
Richtig. In dem Titelsong Catharsis kam dieses Fieldrecording zum Einsatz. Zu hören ist da eine singende Menge, das Ganze hat etwas Volksfestcharakter. Man hat da immer wieder Melodien rausgehört, aber es war erstmal gar nicht so einfach, da einen Sound unterzubringen. Wir hatten dann das Recording etwas zerschnibbelt und ihm mittels Software einen Groove aufgepresst, und jetzt füllt es den Raum sehr schön auf und es gibt dem ganzen Track eine bestimmte Schwingung.
Bei dem Song Butoh höre ich ein fremdartiges Saiteninstrument. Stammt das auch aus Indien?
Nein. Bei dem Song war Svens Inspiration ein japanisches Tanztheater namens Butoh. Übersetzt heißt Butoh »Tanz der Finsternis«. Es hat also so etwas bedrohlich Mystisches, aber auch etwas Schönes. Sven kam damit schon in den 90ern in Berührung, und das hat ihn wohl so sehr fasziniert. Ein japanisches Flair war also die Vorgabe. Hier haben wir viele Samples benutzt, z. B. auch viele japanische Schlaginstrumente in den Breaks. Dazu hatte ich eine ganze Reihe Libraries durchgehört, mir die passenden Sounds gezielt rausgesucht und diese dann recht perkussiv verwendet. Die Japanerin Cana Hatsushiba hat hier übrigens die Vocals zu beigesteuert.