Vierhändig mit Maschine

Grandbrothers und ihr automatisiertes Konzertpiano

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Selbstspielende Pianos, auch Reproduktionsklaviere oder Pianolas genannt, kennt man seit über hundert Jahren. Die Grandbrothers haben dem Konzept eine neue Dimension eröffnet: Die selbst entwickelte Maschinerie des Duos verbindet Konzertflügel mit Computer und erlaubt gleichzeitiges Spiel von Hand und via Sequenzer − das Piano fürs Techno-Zeitalter.

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(Bild: Dennis Dirksen, Jonas Lindström, Julian Klapp, Schiko)

Als Erol Sarp und Lukas Vogel die Grandbrothers im Jahre 2011 ins Leben rufen, studieren beide noch Bild- und Tontechnik am Düsseldorfer Institut für Musik und Medien. Zwei Jahre später sind Erol und Lukas so etwas wie Indie-Stars: Ihre erste Single Ezra Was Right wird über Nacht Kult und zählt zu den musikalischen Highlights des Jahres. Bestehend aus minimalistischen Patterns, verhangenen Akkorden, dezenten Beats und klaren Melodien, entwickelt der Song einen unwiderstehlichen Sog, dem sich weder Club-Publikum noch Couch-Potatoes entziehen können.

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Das wirklich Außergewöhnliche an dem Mix aus Ambient-, Minimal- und IDM-Elementen ist jedoch der Sound: glasklar definiert und durchsichtig, dennoch organisch weich und höchst lebendig. Überraschenderweise sind hier keine Synthesizer oder Sampler am Werke − sämtliche Klänge werden ausschließlich einem akustischen Konzertpiano entlockt. Dazu hat das Duo eine Apparatur entwickelt, welche die klanglichen Möglichkeiten des klassischen Klavierspiels deutlich erweitert. So wird es möglich, einem beliebigen Konzertflügel mittels MIDI-Daten minimalistisch-repetitive Patterns und Percussion-Loops zu entlocken und dazu gleichzeitig auf der Tastatur zu spielen.

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Loops und Live-Spiel mit dem Piano. Die Grandbrothers nutzen keinerlei synthetische Klangerzeuger. Eine selbst entwickelte Apparatur ermöglicht es, ein Konzertpiano gleichzeitig über seine Tastatur und via Laptop zu spielen. (Bild: Dennis Dirksen, Jonas Lindström, Julian Klapp, Schiko)

Das so erzeugte Klangeschehen wird live im Rechner aufgenommen, in Echtzeit mit Effekten bearbeitet und in seiner Gesamtheit wiedergegeben. Nach diesem Konzept entstand das Debütalbum Dilation − mit zwölf wunderbaren Songs, irgendwo in der Schnittmenge von impressionistischer Klaviermusik und zeitgenössischer Club-Stilistik. Die Grandbrothers beleuchten die Entstehungsgeschichte:

Wo ordnet ihr euch musikalisch ein?

Lukas: Wir sehen unsere Musik als Mix aus Stilen, die wir beide sehr gerne mögen. Dazu zählt Club- Musik ebenso wie Steve Reich oder John Cage.

Wie hat sich euer Projekt entwickelt?

Erol: Kennengelernt haben wir uns beim Studium. Wir sind beide gleichermaßen von Klavier und Elektronik fasziniert und haben uns gefragt, wie sich beides miteinander verbinden lässt. Wir sind das Thema zunächst theoretisch angegangen, haben Künstler wie Hauschka kennengelernt und schließlich ein Konzept entwickelt, um unsere Ideen und Vorgaben umzusetzen. Der ganze Prozess hat etwa zwei Jahre in Anspruch genommen.

Lukas: Anfänglich hatten wir uns auf manipulierte Sample-Piano-Loops beschränkt, merkten dann aber schnell, dass wir einen direkteren Zugriff auf mehr musikalische Parameter wollten. So haben wir ein System entwickelt, dass es ermöglicht, mithilfe des Rechners dem Piano Sounds und Patterns zu entlocken und dabei aktiv in die Musik eingreifen zu können.

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Erol beim Ausrichten der Trigger-Mechanik (Bild: Manuel Wagner)

Welche Elemente sind live gespielt, was wird mittels Rechner gesteuert?

Erol: Unsere Musik ist ein Mix aus »normalem« Klavierspiel, Sequencer-basierten Patterns und live erzeugten bzw. bearbeiteten Audio-Loops. Zudem werden Klänge in Echtzeit mit Effekten bearbeitet.

Wie arbeitet eure »Piano-Automation«?

Lukas: Es handelt sich dabei um eine Anzahl elektromagnetisch betriebener Hämmer, oder besser: Stößel. Wir nennen sie »Trigger«. Bis zu 14 davon befinden sich über den Saiten und erzeugen mit ihren Holzstiften tonale Sounds. Je nach Position treffen sie bestimmte Töne. Da wir uns bewusst auf minimalistische Patterns mit wenigen Tönen beschränken, können wir live mehrere Patterns in verschiedenen Tonarten erzeugen, ohne die Trigger zwischen den Stücken verschieben zu müssen.

Die Drum- bzw. Percussion-Sounds werden ebenfalls vom Piano erzeugt?

Richtig, fünf weitere Trigger erzeugen Drum- und Percussion-Sounds. Die »Bassdrum« wird mit einem Trigger an der Lyra (das Bauteil, an dem die Pedale angebracht sind; Anm.d.Red.) erzeugt. Ein Hi-Hat- ähnlicher Sound entsteht, wenn ein weiterer, mit Metallstift versehener Trigger eine bestimmte Schraube am Gussrahmen des Flügels trifft. Die drei übrigen liefern Snare- bzw. Rimshot-ähnliche Sounds. Sie treffen an verschiedenen Stellen auf den äußeren Holzrahmen (den »Rim«; Anm.d.Red.), lassen sich aber wahlweise auch am Gussrahmen positionieren.

Der Klangeindruck ist überraschend realistisch und doch sehr eigen.

Nicht wahr? Wir haben lange mit verschiedensten Positionen und Trigger-Materialien wie Holz, Metall oder Filz experimentiert. Die Aufteilung der Trigger zwischen tonalen und perkussiven Sounds ist dabei nicht zwingend. Beispielsweise verwenden wir im Titel Rotor nur Percussion-Trigger.


Für die aktuellen Ausgabe 05/06 2017 haben wir die Grandbrothers erneut getroffen. Dabei haben wir uns natürlich auch ihre neusten Präparationen am Flügel angeschaut. Hier versandkostenfrei bestellen.  

 

№5/6 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • EVANESCENCE
  • Im Gespräch mit Lars Eidinger
  • HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
  • Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
  • Keys4CRO: Tim Schwerdter
  • Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
  • Bei Klavis in Brüssel
  • BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
  • Dexibell Combo J7
  • DICKES BRETT: POLYEND SEQ
  • Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
  • Visionäre: MIDI In My Head!
  • DIE ELKA-STORY
  • Transkription: Michael Wollny
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne

Wie werden die Trigger angesteuert?

Dazu verwende ich ein Laptop mit einem Ableton Max-For-Live-Patch. Auf der Bühne spiele ich oftmals zunächst eine Figur ein, die dann vom Sequenzer geloopt wird und die Trigger steuert. Erol spielt dazu auf der Piano-Tastatur mehrstimmige Parts. Der Rechner gibt MIDI-Daten via USB aus, die von einem selbst entwickelten, Arduino-basierten Interface in Spannungsimpulse umgesetzt werden. Diese wiederum steuern die Trigger. (Arduino ist eine »Open Source Hard/Software«-Plattform, optimiert für eigene Entwicklungen; Anm.d.Red.)

Werden auch Velocity-Daten umgesetzt?

Ja, die Stärke der Spannungsimpulse − und damit der »Anschlag« − lässt sich via Velocity steuern.

Wie erfolgt die Abnahme der Audiosignale?

Für die Diskant-Saiten − also die »Ton-Trigger« und Erols Live-Spiel − verwenden wir zwei Neumann KM 184. Die Bass-Saiten werden über ein Helpinstill Pickup-System abgenommen. Das liefert einen tollen Sound, ist aber in unserem Fall leider nicht für alle Saiten geeignet, da die Trigger-Spulen störende Einstreuungen erzeugen. Die Percussion-Trigger nehmen wir mit selbst gebauten Piezo-Kontaktmikros ab.

Wie werden die Audiosignale aufbereitet?

Live einfach mit unserem Mixer. Bei der Albumproduktion hat unser Produzent Julian Klapp reichlich mit Preamps und EQs experimentiert. Vor allem die »Bassdrum« hat einiges an Nachbearbeitung erfordert.

Wie aufwendig ist die Installation der Trigger vor einem Gig?

Erol: Das können wir mittlerweile in etwa einer Stunde. Der Großteil wird hinter der Bühne vorbereitet, und der eigentliche Einbau ist dann recht schnell erledigt. Am Anfang haben wir noch zwei bis drei Stunden gebraucht − was gerade bei Festivals viel zu lange gedauert hatte.

Bevorzugt ihr bestimmte Flügel-Typen?

Die Trigger-Höhe lässt sich variieren, insofern passt unser System wahrscheinlich überall. Nach unserer bisherigen Erfahrung hat ein Steinway die höchste klangliche Brillanz. Aber auch Yamaha-Flügel sind sehr gut geeignet. Man kommt dort gut an die Saiten heran.

Der Rechner dient nicht nur als Trigger-Sequencer − ihr bearbeitet auch die Audiosignale?

Lukas: Dafür benutze ich ein selbst entwickeltes Max/MSP-Patch für Live-Sampling. Damit kann ich zwei Signale getrennt aufzeichnen und, wie bei einem Ping-Pong-Delay, getrennt wiedergeben. Dabei lässt sich die Abspielgeschwindigkeit der Schnipsel variieren und die Richtung wechseln. Es entstehen rhythmische Effekte oder auch ein gewisses Sound-Chaos. Zudem bearbeite ich die Sounds live mit einem Korg Kaoss Pad Quad. Zu hören ist letztlich ein Mix aus Erols Live-Spiel, den getriggerten Sounds und den mehr oder weniger stark bearbeiteten Live-Sample-Loops.

https://www.youtube.com/watch?v=Ni9kdZRHhZ4

 

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