Korg 900 PS (*1975)
Das Abrufen von Sound-Presets war in den frühen siebziger Jahren ein Luxus. Keith Emerson brauchte noch aufwändiges Spezialgerät, um auf der Bühne einige wenige Presets seines Moog Modularsystems abrufen zu können.
Die Zielgruppe der frühen Korg Synths – wie dem Korg 700, dem ersten Korg Serien-Synthesizer überhaupt von 1973 – waren allerdings keine Synthesizer-Gigantomanen, sondern eher Normalsterbliche, die eine bezahlbare und bühnentaugliche Alternative zu den teuren amerikanischen Herstellern suchten.
Der Erfolg des Korg 700, eines kleinen monofonen Synthesizers mit erstaunlichen Klangeigenschaften, bestärkte das Korg-Management, einen Preset-Synth auf den Markt zu bringen. 1975 erschien der 900 PS – der etwas protzige Name bezieht sich natürlich nicht auf Kavalierstartgehabe, sondern auf „Preset Synthesizer“.
Er kostete damals ca. 2.200 Mark, ein Preis, der im Vergleich zu anderen Synths eher günstig war. Die Käuferschicht, auf die man abzielte, waren die Live-Keyboarder, die blitzschnell gängige und gut klingende Sounds auf der Bühne abrufen und Pausen zwischen den Stücken vermeiden wollten, in denen der Synth hektisch umprogrammiert wird, während die anderen Band-Mitglieder sich in der Nase bohren oder das Publikum mit Herrenwitzen unterhalten.
Die analoge Klangerzeugung des Synths ist monofon und nicht polyfon, wie man es häufig im Internet liest (sogar auf der Korg-Website www.korg.com). Das 13 kg schwere Gerät ist mit seinen Abmessungen (83,3 × 37 × 14 cm) in der Tradition des Korg 700 eigentlich ziemlich kompakt und ideal für den Synth-Performer der 70er-Jahre.
Das Gehäuse mit den Holzseitenteilen ist aus stabilem Stahlblech gefertigt und macht einen sehr soliden Eindruck. Als Erstes fallen die 31 Wippschalter, die in Funktionsgruppen angeordnet sind, ins Auge. Sie haben ein starkes Orgel-Appeal und lassen sich sehr leicht betätigen, was die schnelle Umschaltung während des Spiels begünstigt.
Die Presets sind in mehrere Abteilungen gegliedert: Unter dem lyrischen Titel „Singing“ sind diverse Blasinstrumente wie Trompete, Saxofon oder Tuba sowie Streichinstrumente in insgesamt 15 Presets zusammengefasst; alles, was eine schnellere Attack-Phase hat, wie Banjo, Bass oder Piano, firmiert unter der neun Presets starken „Percussive“-Gruppe. Weiterhin gibt es zwei Presets mit Noisegenerator-Sounds, White Noise und Scale Noise – ein an die Tonhöhe gekoppeltes Rauschen. Abgerundet wird das Preset-Angebot durch den HARMONICS-Sound, einer Art Orgel-Synth, der mit drei Hüllkurvencharakteristiken zur Verfügung steht.
Praxis
Der verchromte Bügel unter der (natürlich nicht anschlagdynamischen) 3-Oktaven-Tastatur sieht nicht nur schmuck aus, er ist auch weit mehr als ein Handtuchhalter: Er dient nämlich als TouchController für diverse Effekte und ist ein früher Vorläufer der Body-Contacts aus der CircuitBending-Szene. Berührt man den Bügel beim Spielen, kann man z. B. das Portamento auslösen. Dabei muss man nicht unbedingt die andere Hand zur Hilfe nehmen, man kann auch den Daumen oder Handballen der momentan spielenden Hand benutzen.
Außer Portamento stehen auch Vibrato, Repeat, Forte, (eine Art Akzent bzw. eine Lautstärkeanhebung) und eine Pitch-Hüllkurve mit einer Beugung um einen Ganzton nach unten zur Verfügung. Die Geschwindigkeit von Portamento und Vibrato sowie die Vibrato-Intensität sind regelbar. Die Effekte können einzeln zugeschaltet und auf Wunsch auch ohne den Controller aktiviert werden. Der Touch-Controller ermöglicht mit ein wenig Übung ein ausdrucksstarkes Spiel mit nur einer Hand, was mit Mod-Wheel oder Aftertouch so nicht möglich wäre. Vielleicht sollte sich der eine oder andere Synthesizer-Bauer von der pfiffigen Hardware-Idee inspirieren lassen … Links neben der Tastatur liegen weitere Bedienelemente für die Soundmodifikationen. Das Design der poppig abgerundeten Fader-Kappen erinnert an den Korg 700.
Der Synth kann in drei Oktavlagen gespielt werden. Das im Korg-Slang TRAVELLER benannte Filter ist als 12 dB Lowcut ausgeführt und muss leider ohne Resonanz auskommen. In der Hüllkurvensektion können nur die Attack- und Sustain-Phase (des VCAs) geregelt werden. Für das HARMONICS-Preset stehen vier Fader für die Mischung der vier Fußlagen von 16′ bis 2′ zur Verfügung, die man als rudimentäre Drawbar-Sektion nutzen kann. Anschlussseitig bietet der 900 PS lediglich einen Monoausgang auf der Rückseite und einen Kopfhöreranschluss unter dem vorderen Bedien-Panel.
Sound
Obwohl die Sounds (mit Ausnahme des Orgel-Synths) nur mit einem Oszillator arbeiten und daher typische Schwebungen nicht möglich sind, klingen viele der Presets erstaunlich gut. Der Klangcharakter der Sounds reicht von skurrilen cheesy 70s-Synths bis zu sehr warmen und voll klingenden Bass- und Lead-Sounds. Highlights (in letzterer Disziplin) sind der Electric Bass, die Tuba und das Horn. Mit den etwas begrenzten Einstellungsmöglichkeiten werden die Presets an eigene Bedürfnisse angepasst (wobei natürlich nichts abgespeichert werden kann).
Auch mit dem HARMONICS Orgel-Synth und seinen drei Hüllkurven-Charakteristiken lassen sich interessante Sounds realisieren. Mit dem Preset „Scale Noise“ ist auch ein fieser Krachmacher an Bord. Die Hüllkurve ist zwar nicht superschnell, reicht aber für die meisten Sounds des Instruments aus. Öffnet man das Gehäuse des 900 PS, kann man in begrenztem Rahmen auch einige Modifikationen am Grund-Sound des Instruments vornehmen, indem man ein wenig mit den gekennzeichneten Potis im Inneren des Synths experimentiert.
So lässt sich etwa die Oszillatorwellenform des Orgel-Synths modifizieren und die Cutoff-Frequenz des Filters (ein wenig) verändern. Der 900 PS ist zwar etwas für den Performer, aber es ist auch möglich, ihn zu midifizieren; für 129 Dollar bietet www.synhouse.com/midi jackii.html ein MIDI-Kit an. Eine abgespeckte Version des 900 PS erschien 1977 als Micro Preset M 500. Dieser noch etwas kompaktere Synth hatte deutlich weniger Presets und eingeschränkte Klangparameter