Perri Knize – die Klavier-Idealistin
Die amerikanische Journalistin und Hobby-Pianistin Perri Knize war von einem Flügel begeistert, doch der verlor seinen Klang. Die Suche danach trieb sie bis in die Alpen, nach Deutschland und zurück in die USA. Über die aufreibende Odyssee, samt Stolpersteinen, Zweifeln und am Ende Erfolg, schrieb sie 2008 ein Buch, „Grand Obsession“. Das liest sich wie ein Krimi für „Klanggetriebene“. Zeit für ein paar Nachfragen.
Das „Erweckungserlebnis“ kam mit 42 Jahren: Perri Knize legt im Auto ein Tape ein – Artur Rubinstein spielt Chopin-Walzer. Die gefühlte Freiheit Rubinsteins in der Musik durchdringt sie, schreibt sie in ihrem Buch „Grand Obsession“*. „Das ist alles, was ich mit meinem Leben anfangen möchte!“, so die plötzliche Erkenntnis. Mit Mitte 20 hatte sie schon mit Klavierunterricht begonnen, andere Herausforderungen torpedierten jedoch das Unterfangen.
Perri Knize – Pianistin als später Lebenstraum
Knize nimmt erneut Unterricht. Nachdem sie in Musikschulen üben konnte, will sie ein eigenes Instrument kaufen. Ihr Vater, ein ehemaliger Orchestermusiker, hat ihr Gehör bereits im Kindesalter geschult. Die Odyssee nimmt ihren Lauf: Oft gefällt ihr nur ein Teilaspekt des Klangs, sie dehnt ihren Suchradius aus. Von teuren „Flaggschiffen“, ein Steinway D oder ein Bösendorfer-Flügel beispielsweise, erwartet sie, hingerissen zu sein, findet sie allerdings nicht inspirierend. Ein Trip nach San Francisco folgt, später eine Reise nach New York.
Ein Grotrian-Steinweg-Flügel als Klangerlebnis
In New York spielt sie einen Grotrian-Steinweg-Flügel an (in den USA als „Grotrian“ vertrieben). Der „dunkle, warme Bass mit singenden Obertönen“, der „rauchige und mysteriöse“ mittlere Tastenbereich und ein „Höhenbereich, der glockenartig und glitzernd“ klingt, faszinieren Perri Knize; sie vergleicht die „Seele“ des Flügels mit Marlene Dietrich. Der Preis liegt mit 32.000 US-Dollar weit über ihrem Budget. Kurze Zeit später, nach dem 11. September 2001, brechen Klavierverkäufe in New York ein; der Verkäufer bietet ihr das Instrument zu einem besonders günstigen Kurs an. Knize und ihr Ehemann entschließen sich, den Kauf zu stemmen.
Die scheinbare Flüchtigkeit des Ideals
Nach dem Versand klingt der Höhenbereich tot. Knize lernt, dass neben dem Klavierstimmer auch der Beruf des „Voicers“ existiert, der den Klang des Instruments abstimmt. Lokale Techniker versuchen ihr Glück, aber „Marlene“, wie Knize ihren Flügel getauft hat, lässt sich nicht erwecken. Marc Wienert, der den Flügel in New York einstellte, behandelt die Hämmer und wendet eine „Schubert-Konzertstimmung“ an. Am Ende ist „Marlene“ auferstanden. Von Knize fällt eine Last ab – nur, um das Piano am nächsten Morgen wieder im „Dämmerzustand“ vorzufinden. Da ist Wienert bereits unterwegs, kann lange nicht nach Montana kommen.
Am Ende steht reproduzierbare Magie
Sie taucht tiefer in die Materie ein, besucht gar die Grotrian-Steinweg-Fabrik in Deutschland. Nach mehreren Jahren der Suche nach dem „Klangkern“ ihres Flügels steht Erfolg; worin das Problem letztlich bestand, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Wer stimmbare Synthesizer hat, könnte hier auch neugierig werden.
Aus heutiger Sicht bietet sich ein Blick auf den Pfad an, den Perri Knize vor gut 20 Jahren beschritten und 2008 in ihrem Buch beschrieben hat. Wie hat sich der Flügel inzwischen entwickelt? „Das Klavier braucht Marc [Wienert, d. Autor] im Moment gerade wirklich“, meint Knize. „Sie wurde nicht mehr gestimmt, seit er zuletzt im Juni 2016 eine Woche bei uns verbracht hat. Damals hat er Marlene mehrmals täglich gestimmt. Am Ende seines Aufenthalts schmissen wir eine ‚Piano-Party‘, sodass auch andere Piano-Begeisterte den Klang erleben konnten, den ich im Buch beschrieben hatte.
Marc und ich waren sehr neugierig, ob andere auch die Qualitäten wahrnehmen würden, die wir in dem Instrument hörten. Tatsächlich konnte es jeder Teilnehmer hören. Ein Musiker meinte auf der Party zu ihm: ‚Vielen Dank, dass du für mich den Klang jedes anderen Klaviers für den Rest meines Lebens ruiniert hast‘. Laut Marc hören wir in der vorliegenden Stimmung physikalisch gesehen ‚schwingende Kohärenz‘.“ Ob sich das Klavier mittlerweile gänzlich „gesetzt“ hat und zumindest weniger anfällig für klimatische Veränderungen sei, lasse sich auch nach den Jahren nicht beantworten. „Marlene hielt ihre Stimmung und ihr Voicing noch für ein paar Jahre, sogar über einen Umzug hinweg. Aber das Klavier ist immer noch jeden Tag leicht anders, die Umgebungsvariablen ändern sich täglich.“
Perri Knize: „Es existiert nur eine ‚Marlene‘“
Die eigene Leidenschaft trifft Pianisten mitunter besonders hart: Ein Gitarrist etwa muss sich nicht zwingend für eine einzige Gitarre entscheiden, die alle Bedürfnisse vereint. Bei den meisten Pianisten hingegen muss aus finanziellen wie aus Platzgründen ein Klavier alles Gewünschte abdecken können. Ob sie dahingehend noch mit dem Grotrian-Flügel „ganzheitlich“ zufrieden ist, oder zwischenzeitlich den Wunsch verspürt hat, weitere klangliche Perspektiven auszuloten? „Das einzige andere Klavier, das mich genauso fasziniert hat wie mein eigenes, ist ein Steingraeber, den ich in der Fabrik in Bayreuth gespielt hatte. Mir scheint: Alle Klaviere, die ich in Deutschland ausprobiert habe, besitzen ähnliche Qualitäten. Marc und ich teilen wohl die deutschen Sensibilitäten für Klang.“
Trotzdem gilt für sie eine eindeutige Erkenntnis: „Ich kann mir nicht vorstellen, ein anderes Klavier zu kaufen als das, das ich besitze.“ Was die „Bearbeitung“ durch Wienert angeht: Andere, von ihm entsprechend gestimmte und gevoicete Klaviere hätten sie ähnlich berührt, aber das Skalendesign von Grotrian-Steinweg, mit seiner umfassenden Palette farbenfroher Obertöne, erreiche sie besonders. Bei Grotrian-Steinweg in Braunschweig spielte sie auch andere Exemplare an. Waren die physikalischen Unterschiede zu „Marlene“ relevant, oder hätte auch ein anderes Exemplar jene Ansprüche erfüllen können? Die Antwort liegt für Knize auf der Hand: „Die Grotrian-Steinweg-Flügel sind alle klangliche ‚Geschwister‘, aber es existiert nur eine Marlene.“
Gratwanderung zwischen Leidenschaft und Lebensgefühl
Im Buch wägt sie den empfundenen Verlust ab, als sie „Marlenes“ Klang verloren glaubt, steht irgendwann vor einer Entscheidung: Ihre Besessenheit werde sie nur verletzen, sagt sie sich, sie müsse „aus dem Traum erwachen“. Wie die emotionale Belastung tatsächlich für sie ausgegangen wäre, könne sie nicht wirklich beantworten, meint Perri Knize, „speziell, weil ich mein Klavier ‚wiederbekommen‘ habe. Ich denke, man begegnet dieser Art von Verlust auf die gleiche Weise, wie man den Verlust eines geliebten Menschen verarbeitet.“
Die Prioritäten im Verhältnis zwischen Mensch und Instrument fängt Perri Knize mit einem Zitat von Marc Wienert in ihrem Buch ein: „Freundschaft entsteht nur zwischen Menschen, für die das Klavier im Leben zweitrangig ist. Jene, für die es an erster Stelle kommt, sind völlig verkorkst – manchmal über Jahre hinweg. An soziale Freuden denken sie am wenigsten.“ Die Herausforderung passender Balance mag auf viele im Bereich Musik (oder jeglicher anderer Leidenschaft) zutreffen. Die Gefahr, sich zu tief im speziellen Gebiet zu vergraben und die Perspektive zu verlieren, liege bei ihr nicht vor, betont Perri Knize. „Das Piano ist sekundär, was mein Leben insgesamt angeht, vielleicht sogar tertiär. Dazu kommt: Ich bin wirklich eine Amateur-Pianistin. Marcs Freundschaft bedeutet mir bis heute viel mehr als das Klavier.“