Transkription: Simon Oslender – Better Times
»He is so young and he’s so old – he’s so open.« Das lakonische Statement des legendären Bassisten Will Lee über Simon Oslender beschreibt in seiner scheinbaren Widersprüchlichkeit den Eindruck, der einem beim Anhören des Albums in den Sinn kommen könnte.
Denn mit 24 Jahren legt der Pianist, Organist, Keyboarder und Komponist Simon Oslender in seinem zweiten Solo-Album Peace Of Mind eine derart ausgereifte Leistung an den Tag, dass selbst ein international gefragter und hoch geschätzter Schlagzeuger wie Wolfgang Haffner sein Mitwirken bei der Entstehung dieses Albums als eine seiner Top-5-CDs ansieht – Wolfgang war auch als Co-Produzent involviert. Als dritter im Bunde wirkte der bereits eben zitierte legendäre Bassist Will Lee mit und bildete somit eine Traumbesetzung der Rhythmusgruppe. Apropos Traum: Simon ist auch Mitglied von Wolfgang Haffner’s Dreamband (u. a. mit Randy Brecker und Bill Evans). Er hat bereits auf erstaunlich vielen Scheiben und Projekten mitgewirkt, darüber sowie über seine Instrumente u.v.m. berichtet Simon in einem vorherigen Interview aus der S&R-Ausgabe 3.2020.
Transkription von Better Times
Spannungsreiche add9- und sus2-Popakkorde dominieren den Song. Fadd2/A und Am7 liegen klanglich dicht beieinander: Den Fadd2/A-Akkord setzt Simon im Thema ein, während Am7 in den Soloparts zum Einsatz kommt. Der Gadd9/B in Takt 9 wird allerdings schon in Takt 11 durch Bm7 ersetzt, nicht zuletzt um sich vom nachfolgenden Gsus2 abzusetzen. Dieses kleine Detail zeigt, wie bewusst Simon die Akkordvoicings ausbalanciert. Eher ungewöhnlich ist auch, dass der A-Part schon nach vier Takten in einer anderen Tonart weitergeführt wird und dass Will Lees Bass die Melodie doppelt. Der B1-Part folgt einer absteigenden Basslinie und mündet in dem jazzigen A7b9sus4-Akkord. In Takt 30 gibt es von einer schöner Akkordstufen-Umdeutung zu berichten: Nach dem B7#5 folgt mit C/Bb die Dominante mit der Septime im Bass, die zu F/A weiterleitet.
Der A2-Part beginnt ab dem Segno und endet in Takt 16, es folgen die Solo-Parts über den B-und A-Part. Den Anfang des Solos habe ich ausnotiert: Die Bass-Linie ist mit Karo-Notenköpfen gekennzeichnet, um sich besser von den Left-Hand-Voicings zu unterscheiden. Das Solo enthält eine schöne Stimmführung – hier spielen die Stilmittel der kleinen Verzierungen wie kurze Vorschläge oder Crushed Notes eine wichtige Rolle. Die linke Hand zeigt sich hier deutlich rhythmischer als in den entsprechenden Themen-Parts. Danach folgt ein transponierter A-Part, der etwas freier in der Melodie ist, und auch der letzte B-Part übernimmt diese neue Tonart.
Für ein Interview hat sich Simon anlässlich der vorliegenden Transkription dankenswerterweise die Zeit genommen, die Entstehung und Hintergründe der CD zu beschreiben, und kommentiert die Besonderheiten einiger Songs.
Deine neue CD Peace Of Mind ist so souverän ausgespielt und verinnerlicht, wie es den meisten Musikern erst nach Jahrzehnten gelingt. Würde ich nicht wissen, wie alt du bist, würde ich es wertschätzend als »Alterswerk« einstufen, so wie z. B. Bob James in späten Jahren. Wie kommt man in so frühen Jahren zu dieser Ruhe und Abgeklärtheit?
Simon: Vielen Dank! Es freut mich sehr, dass die Musik so wahrgenommen wird! Man selber kann so etwas nicht wirklich beurteilen. Was ich sagen kann, ist, dass ich es liebe, wenn Musik viel Platz hat, um zu atmen. Ob Ballade oder Uptempo, alles muss für meinen persönlichen Geschmack immer in einer gewissen Ruhe verankert sein, sonst fühle ich mich nicht wohl beim Hören oder Spielen. Außerdem bin ich kein Fan von der »Schneller-höher-weiter«-Mentalität, die man oft im Jazz und verwandten Musikrichtungen zu Gesicht bekommt. Virtuosität und Angeberei interessieren mich herzlich wenig, mir geht es darum, Musik zu machen, die einen auf eine Reise mitnimmt, Gefühle und Stimmungen erzeugt und Menschen berühren kann. Wenn mir das gelingt, habe ich mein Ziel erreicht. Und da ist es für mich persönlich viel intensiver und bedeutender, wenn jemand mit einem einzigen Ton tausend Worte sagt, anstatt mit hochvirtuosen und technisch anspruchsvollen »Sporteinlagen « oberflächlich zu beeindrucken.
Waren die Songs vorher fertig auskomponiert – wie war der Spielraum für Lee und Wolfgang, die Songs gemeinsam zu gestalten?
Den Großteil der Songs habe ich gemeinsam mit Wolfgang arrangiert, orchestriert und produziert. Da uns beide sowieso eine sehr intensive Zusammenarbeit und Freundschaft verbindet, waren wir auch während der Pandemie ständig in Kontakt. Irgendwann schickte ich ihm aus Spaß ein erstes Demo, und innerhalb von 15 Minuten hatte ich einen perfekten Drum-Take in meinem Posteingang. Wolfgang fragte mich daraufhin, ob ich noch mehr Ideen auf der Festplatte hätte, und wir fingen an, meine Kompositionen – teils fast fertig, teils nur Skizzen – gemeinsam zu optimieren. Ständig wurden Files hin- und hergeschickt, wir waren täglich oft dutzende Male am Telefon und haben versucht, der Musik den Rahmen zu geben, in dem sie am besten strahlen kann. Ich habe in dieser Zeit unglaublich viel gelernt und bin sehr dankbar für Wolfgang und seine großartige Inspiration und Unterstützung.
Als feststand, dass aus den Aufnahmen ein Album entstehen sollte, stellte sich die Frage nach einem Bassisten. Da Wolfgang und Will sich schon lange kennen, schlug Wolfgang vor, ihn zu fragen. Ich konnte es kaum glauben, als die prompte Zusage kam. Will ist seit Jahren einer meiner ganz großen musikalischen Helden, und ich muss mich immer wieder zwicken, dass wir nun zusammen Musik machen.
Obwohl Will nicht in der Vorproduktion involviert war, hat er einen riesigen Anteil daran, wie die Platte klingt und sich anfühlt. Er kam ins Studio, war perfekt vorbereitet und spielte die Songs mit einer Hingabe und Abenteuerlust, die ich nie für möglich gehalten hatte. Das in Kombination mit dem energievollen, luftigen und hochmusikalischen Schlagzeugspiel von Wolfgang sorgte von der ersten Sekunde an für Freudensprünge meinerseits.
Würdest du einen kleinen Kommentar wagen, was du an der Arbeit mit Wolfgang und Lee besonders schätzt?
Als allererster Stelle steht für mich die menschliche Seite – beide sind mittlerweile großartige Freunde und wir verstehen uns fantastisch. Und in jedem Ton, den die beiden spielen, hört man, was für fantastische Menschen sie sind. Wenn diese Basis gegeben ist, kann Musik komplett frei und ohne Hindernisse entstehen – das ist wirklich ein Segen. Nicht zu vergessen natürlich, dass die beiden einfach absolute Weltspitze auf ihren Instrumenten sind und neben ihrem persönlichen Sound auch einen Erfahrungsschatz mitbringen, der jegliche Vorstellungen übersteigt. Was mich aber am meisten beeindruckt, ist die trotz intensiver, erfolgreicher Karriere absolut ungebremste Freude an der Musik. Da steckt einfach in jedem Ton 100 % Herz. Eine absolute Ehre, das miterleben zu dürfen.
Du hast sehr früh mit Hammond Orgel angefangen und da einen hohen Standard erreicht – welche Anregungen, Tipps, Erfahrungen kannst du da in einer Zusammenarbeit mit einer Tasten-Legende wie Ricky Peterson mitnehmen, dem Co-Produzenten deiner ersten CD?
Ich habe unglaublich viel von Ricky gelernt – nicht nur, als wir gemeinsam im Studio waren, sondern vor allem auch durch das Hören seiner Platten bzw. anderer Alben, an denen er mitgewirkt hat. Ricky hat einen so unverkennbaren, besonderen Touch auf der Orgel, wirklich inspirierend. Explizite Tipps im Hinblick aufs Orgelspiel habe ich von ihm nicht bekommen, aber man lernt einfach jede Sekunde, in der man mit so einem Wahnsinnsmusiker zusammen ist. Übers Spielen an sich wird da meist gar nicht mehr geredet, da geht es oftmals dann bereits um andere Dinge, die mit Arrangement, Produktion, Sound und Co. zu tun haben.
Der Song Healing besticht durch schöne Changes und Modulationen, überraschenden, z. T. auch kurzen Wendungen, organisch, nicht aufdringlich. Wie gehst du an einen solchen Song heran, und wie oft änderst oder verfeinerst du da bestimmte Wendungen und Changes?
Dankeschön, das freut mich! Meist entstehen solche Songs in einem recht kurzen Zeitfenster – mal ist es ein Tag oder eine Woche, manchmal 5 Minuten. Dann stehen die verschiedenen Teile und Melodien fest. Änderungen mache ich so lange, bis sich alles richtig anfühlt. Immer, wenn ich an einer Stelle auch nur einen Anflug von Unsicherheit spüre, gehe ich genau dort ran und schaue, woran es liegen könnte. Aber es ist unterschiedlich: Bei manchen Kompositionen passt von der ersten Sekunde an so gut wie alles – Healing war bereits im Anfangsstadium recht final –, aber bei anderen braucht man im Endeffekt Monate, um eine Art der Umsetzung zu finden, die einen glücklich macht. Meist hat man ein diffuses Bild im Kopf, doch es dauert manchmal, bis man es selber entziffern kann, wo das Stück hin will.
In den Credits sind ja deine Instrumente angegeben, da findet sich auch »Programming«, was ist damit gemeint? Vorproduktion? Sounds? Grooves?
Für das Album habe ich einige Loops kreiert und programmiert, die unter anderem aus Verfremdeten Fragmenten aus Wolfgangs Schlagzeugspuren bestehen, zum Beispiel bei Healing, Fall Of Hope. Shining Bright hat auch einen charakteristischen Loop, der aus einem Upright-Bass-Sample besteht, welches ich mit Effekten bearbeitet habe. Außerdem habe ich hier und da – zusätzlich zum großartigen Spiel von Roland Peil – noch ein paar ergänzende Percussion-Spuren programmiert. Allerdings trifft es natürlich auch auf die Synthesizer-Sounds des Albums zu, die ich zum Großteil selber gebaut habe.
Zum Titel Better Times: Gibt es eine programmatische Geschichte zum Titel?
Better Times entstand im April 2020 und ist für mich ein Stück voller Hoffnung und Optimismus. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Stück meine Art war, die Hoffnung auf bessere Zeiten auszudrücken, daher bekam es den Titel.
Better Times ist m. E. eine poppige, melodiöse Jazz-Ballade – inwieweit spielst du so einen Song »stilkonform « und beschränkst dich zielgerichtet in deinem solistischen und Akkordmaterial? Oder ergibt sich die Solostilistik quasi automatisch?
Über so etwas denke ich nicht wirklich nach. Ich folge nur meinem Ohr und meinem Geschmack und hoffe, dass am Ende etwas Schönes dabei rumkommt.
Ist mein Eindruck richtig, dass Shining Bright ein wenig an Dave Grusin oder David Benoit erinnert?
Das stimmt – die beiden sind eine große Inspiration für mich und insbesondere für das Stück Shining Bright!