Steinberg Cubase PRO 12 im Test
Die Hamburger Softwareschmiede Steinberg geht mit Cubase 12 in eine weitere Runde. Wir sehen uns an, was der DAW-Bolide an Neuigkeiten mit sich bringt.
Das Update läuft auf dem Mac ab OSX 10.14 und auf dem PC ab Windows 10. Eine der größten Neuheiten ist wohl, dass Cubase sich von seinem Dongle-Kopierschutz verabschiedet! Ab sofort läuft die Software auch ohne den Anschluss eines entsprechenden USB-Sticks. Stattdessen wurde der »Steinberg Activation Manager« ins Leben gerufen, welcher Lizenzen über ein Online-Portal aktivieren und deaktivieren kann. Momentan lassen sich dort nur Lizenzen für Cubase 12 und Dorico 4 verwalten. Eine Einzelnutzer-Lizenz erlaubt laut Hersteller den Einsatz auf bis zu drei verschiedenen Systemen. Andere Steinberg-Produkte, die vor dem 12. Januar 2022 veröffentlicht wurden, verwenden hingegen noch das »eLicenser Control Center«.
So erfreulich die neu erlangte Freiheit für die meisten Nutzer sein mag, so ärgerlich mag die Verabschiedung des VST2-Supports erscheinen. Wie bereits angekündigt, setzt Steinberg zukünftig den Fokus auf VST3. Im Januar dieses Jahres meldete der Hersteller, dass »Steinbergs Host-Applikationen und Plug-ins für macOS und Windows innerhalb der nächsten 24 Monate nur noch VST 3 Kompatibilität bieten«. Die »Blacklist« in Cubase 12 könnte sich demnächst also füllen. Klar, die meisten Plug-in-Schmieden wie Softube, Waves oder iZotope bieten schon lange Plug-ins mit VST3-Schnittstelle an. Wie es sich jedoch mit der UAD-Plattform verhält, die noch mit VST 2.4 werkelt, gilt es zu beobachten. Momentan macht UAD auf dem Windows-Testsystem keinerlei Probleme. Insofern muss jeder selbst prüfen, welche der eigenen Plug-ins einem Update unterzogen werden müssen.
Audio-Editing
Hinsichtlich Audio-Warping und Multitrack-Editing beherrscht Cubase schon lange ein starkes Feature-Set. Doch in Version 12 ist noch eine vermeintlich kleine Funktion in der Werkzeugleiste hinzugekommen, die es wirklich in sich hat. Die Rede ist von »Free Warp«. Der Clue: Jetzt kann man das Audiomaterial direkt im Arrangement auf dem Event selbst zeitlich korrigieren, ohne zuvor den Audio-Editor öffnen zu müssen. Sofern das besagte Werkzeug angewählt ist, kann man die Warp-Marker bequem über der Wellenform setzen und bewegen – eine unglaubliche Zeitersparnis! »Free Warp« klappt auch über mehrere Events hinweg, sofern diese gleichzeitig selektiert sind. Bei Aufnahmen, die per Overdub erstellt wurden, etwa mehrere Backing-Vocals oder Gitarren-Dopplungen, entstehen keinerlei Probleme. Multitrack-Aufnahmen (etwa Drums) können bei diesem Vorgang allerdings unter Verschiebungen der Phasenlage leiden. Hier ist also doch eine neue Ordner-Spur nötig, in der alle zusammengehörenden Spuren abgelegt werden. Neben dem bereits bekannten Befehl »synchron bearbeiten« ist für diesen Zweck noch eine weitere Schaltfläche hinzugekommen: »phasenkohärente AudioWarp-Bearbeitung«, welche auch die geringsten Zeitversätze bei der Bearbeitung von mehreren Spuren verhindert.
Den Skalen-Assistent für MIDI-Daten gab es schon in der vorherigen Version von Cubase. Nun integrierte man diese Funktion auch im Zusammenhang mit
»VariAudio«. Zu finden ist dies im Inspector des Audio-Editors. Der Skalen-Assistent erlaubt es, entweder die Editor-Skala oder die Akkordspur als Vorgabe zu verwenden. Cubase setzt die Grautöne in den Zeilen der Piano-Rolle so, dass man auf den ersten Blick sieht, welche der analysierten Audiosegmente außerhalb der definierten Tonart liegen. Stellt man die Farbpalette im Editor zudem auf »Skalen/Akkorde« um, wechseln sogar die Audio-Segmente selbst die Farbe. Stimmt die Tonhöhe nicht mit der aktuellen Skala überein, erscheinen die Segmente in Rot. Korrigiert man die
»falschen« Audiosegmente durch Verschieben auf eine Note innerhalb der Skala, wechselt die Farbe zu Grün. Sehr praktisch!
MIDI-Funktionen
In der unteren Zone erscheint neben »MixConsole« und »Sampler Control« nun ein neues Tab namens »MIDI Remote Integration«. Hier kann man die eigenen MIDI-Controller im Studio als Fernsteuerung hinzufügen. Eine Hand voll Skripte sind bereits vorhanden – verschiedene Hersteller, wie Arturia, Novation oder Korg haben hier schon Vorarbeit geleistet und entsprechende Presets für ein paar ihrer Geräte an Steinberg geliefert. Natürlich lassen sich auch eigene »Remotes« erstellen und konfigurieren. Dazu wählt man zuerst den entsprechenden MIDI-Eingang und MIDI-Ausgang des angeschlossenen Gerätes. Falls der Hersteller nicht gelistet wird, genügt ein Klick auf »Benutzerdefiniert«.
Das Setup und das Mapping sind fast schon selbsterklärend. In einem Feld lassen sich beliebig viele »Knobs«, »Fader« und »Buttons« positionieren und dann via simplen MIDI-Learn der physischen Bedienoberfläche zuweisen. Danach lässt sich definieren, welchen Befehl der jeweilige Controller übernimmt. So lassen sich im Mixer beispielsweise Lautstärken- und Send-Regler zuweisen oder die vier Bänder des Equalizers der selektierten Spur. Außerdem stehen zahlreiche Befehle zum Navigieren im Arrangement oder Abfeuern von Transportfunktionen bereit.
Kommen wir zu einem Feature, welches DAWs wie Presonus StudioOne oder Ableton Live in ähnlicher Form schon etwas länger anbieten. In Cubase ist die Rede von »Focus Quick Control«. Alle Plug-ins, selbst jene von Drittanbietern, zeigen rechts oben im Fenster nun eine neue Schaltfläche namens »QC« an. Nach einem Klick darauf, werden die aktuellen MIDI-Zuweisungen für die vorhandenen Parameter dargestellt. Per Drop-Down-Menü oder Learn-Funktion lässt sich das Mapping jederzeit ändern. Super, dass dieses individuelle Mapping für jedes Plug-in automatisch abgespeichert wird. Mit der Funktion »Lock« kommuniziert die eigene MIDI-Remote sogar dauerhaft mit den Quick-Controls, auch wenn andere Fenster im Vordergrund stehen. Auf diese Weise ist es ein Kinderspiel, selbst leistungsfähige Skripte per Mausklick zu programmieren. Beide Daumen hoch Steinberg!
Eine weitere MIDI-Funktion, die schon so manch andere DAW unter der Haube hat, nennt sich »Akkord-Events erzeugen«. Diese ist nach einem Rechtsklick auf einen Audio-Clip zu sehen. So wird das Audiomaterial auf enthaltene Akkorde analysiert und eine frische Akkordspur mit der entsprechenden MIDI-Transkription erstellt. Wie gehabt, kann man jeden Klangerzeuger in Cubase dann mit diesen neuen MIDI-Daten füttern. Sofern es das Ausgangsmaterial zulässt, besteht die Möglichkeit, etwa Gitarren-Akkorde mit einem Piano oder Streichinstrumenten zu untermalen. Alternativ lässt sich das Audiomaterial auch direkt per Drag&Drop auf der Akkordspur ablegen, wodurch ebenfalls alle erkannten Akkorde erscheinen. Top!
Neue Plug-ins bringt auch dieses Update wieder mit sich. Ganz vorneweg ist der »FX Modulator«, ein sehr vielseitiger Multi-Effekt, zu erwähnen. Hier lassen sich insgesamt bis zu sechs verschiedene Module, beispielsweise Bitcrusher, Chorus, Timeshifter usw., in einem Plug-in integrieren. Jedes dieser Module kann über individuelle Wellenformen moduliert werden. So lassen sich sehr komplexe Effekt-Ketten bilden, deren Resultate etwas an Guitar Rig, Wow Filter oder Glitch erinnern.
Ein sehr simples Szenario wäre beispielsweise eine interne Sidechain-Kompression im Stil von »Kickstart «, einem Plug-in von Nicky Romero, das insbesondere unter EDM-Produzenten sehr beliebt ist. Dazu ist nur ein Modul nötig: Volume. Moduliert man diesen Effekt nun mit einer aufsteigenden Wellenform und stellt Time auf »1/4 Beats«, entsteht im Handumdrehen der klassisch pumpende Ducking-Effekt, der sich besonders gut für Bass-Synths eignet. Und jetzt noch ein Pan- oder Filter-Modul hinterher? So ziemlich alles ist möglich.
In der Sektion »Trigger« wird es noch komplexer. Jedes der sechs Module lässt sich alternativ per MIDI, sprich »Note Trigger« steuern. Zudem verfügt jedes Modul über eine eigene Sidechain, die ebenfalls zur Effektsteuerung durch andere Spuren dienen kann. Auch interessant ist der neue Limiter »Raiser«. Im Grunde ist die Oberfläche schnell abgehakt: ein Drehregler je für Input Gain und Ceiling sowie eine etwas umfangreichere Release-Sektion. Dort findet man Modi wie »Auto« und »Aggressive« wobei der Limiter sich selbstständig um die Release-Zeiten kümmert. Auch in den Modi »Restricted Min« und »Restricted Max« optimiert Raiser diese Zeitkonstante eigenständig, allerdings kann man mit dem Release-Regler nun manuell einen minimalen bzw. maximalen Zeitwert einstellen. Allgemein ist mit Raiser eine relativ starke Pegelreduktion möglich, die zum einen auf dem Bargraphen, zum anderen auf dem aussagekräftigen Histogramm zu sehen ist.
Die Abkürzung auf dem Button »DIC« steht für Detect Intersample Clipping. Wenn aktiviert, erfolgt die Signalausgabe nach dem TruePeak-Prinzip, sodass keine Übersteuerungen bei der Wandlung von der digitalen in die analogen Domäne entstehen. Mit dem Button »Compare« kann man die Arbeit des Limiters lautstärkenkompensiert überprüfen – ohne dass man sich von höheren Pegeln in die Irre führen lässt. Unter dem Strich ist Raiser ein astreines Werkzeug, das primär auf perkussivem Material und der Stereo-Summe eine gute Figur macht.
Bleiben wir gleich beim Thema »Lautheit«. Für das Analyse-Tool Supervision spendierte Steinberg nun neue Module. Zum einen das Meter »VU« – ein klassisches und simples Messinstrument. Diese Form der Anzeige lässt sich während der Produktion gewinnbringend einsetzen. Wechselt man in den Einstellungen beispielsweise den Wert »Scale« von »VU« zu »VUdBFS «, erscheint darunter ein Feld namens »Offset«, welches werksseitig den Wert »–18 dBFS« anzeigt. Bei diesem digitalen Pegel zeigt die Nadel im Meter also exakt »0 VU« an. Durch die relativ träge Ballistik kann sich »VU« besser als ein blitzschnelles Peak-Meter eignen, besonders wenn es um das Thema »Gain Staging« geht. So könnte man schon vor einem Mix einzelne Audiospuren auf einen zu niedrigen oder zu hohen Pegel prüfen und ggf. auf exakt »0 VU« trimmen. Dadurch wird zum einen genügend Headroom, zum anderen ein einheitlicher Arbeitspegel zwischen den Plug-ins und Bussen gewährleistet.
Frisch an Bord ist auch das Modul »Spectrum Keyboard «. Ähnlich dem Modul »Spectral Intensity« wird hier die Frequenzverteilung in ihrer Intensität visualisiert, nur das hier eine Piano-Tastatur hinterlegt ist. So lässt sich die Dynamik je nach Note ablesen bzw. Frequenzüberlagerungen musikalisch beurteilen.
Fazit
Cubase 12 wird dem Begriff »Major-Update« allemal gerecht. Steinberg liefert hier eine ausgewogene Mischung an neuen Features in allen relevanten Bereichen. Für viele Tonschaffende wird wohl das Wegfallen des eLicenser-Dongles wie ein lang erwarteter Befreiungsschlag wirken. Endlich ist es möglich, auch ohne USB-Kopierschutz auf bis zu drei verschiedenen Systemen zu arbeiten. Ein Wermutstropfen, wenn auch absehbar, ist allerdings die Abkündigung der VST2-Unterstützung.
Bezüglich MIDI kann insbesondere die stark verbesserte Integration von Control Surfaces überzeugen. Selbst wenn bisher nur wenige Hersteller Skripte für ihre Keyboards und MIDI-Controller abgeliefert haben, stellt der Editor eine hochflexible Umgebung zum Konfigurieren eigener Hardware dar.
Die Möglichkeit, Audiomaterial mit »Free Warp« direkt im Arrangement zeitlich zu korrigieren, erleichtert das Editing und erspart viel Zeit.
Tolle neue Effekte und Plug-ins sowie ein umfangreicheres Piano-Instrument für HALion SE runden das Angebot neben vielen weiteren kleinen Optimierungen ab.
Hersteller: Steinberg
Download-Preis: 579,– Euro
Internet: steinberg.net
Unsere Meinung:
+++ Controller-Editor
+++ Verbesserung des Audio-Warping
+++ neue Plug-ins und Effekte
+++ kein USB-Dongle mehr nötig
– Abkündigung von VST2
Preis und Verfügbarkeit
Die UvP liegt für Cubase Pro 12 bei 579,- Euro; Cubase Artist 12 bei 329,- Euro; Cubase Elements 12 bei 99,99 Euro. Cubase ist im Fachhandel oder direkt beim Hersteller erhältlich.
Kunden, die Cubase Pro 11, Cubase Artist 11, Cubase Elements 11 oder eine frühere Version der Softwaretitel nach dem 10. November 2021 erworben und aktiviert haben, erhalten ein kostenfreien Updates auf die aktuelle Version.