Heritage Audio Britstrip: Channelstrip im Test
Rupert Neve, der letzten Februar im Alter von 94 Jahren verstarb, hatte im Lauf seines langen Lebens etliche Firmen gegründet und viele Studioklassiker geschaffen, die er bis ins hohe Alter immer weiter zu perfektionieren suchte. Auf ewig verbunden bleibt sein Name vor allem aber mit seinen Frühwerken, allen voran die Preamp/EQ-Kassette 1073 und der Diodenbrücken-Kompressor 2254. Heritage Audio hat diese nun zu einem »sehr britischen« Kanalzug vereint. Ob das auch ohne des Meisters Aufsicht gelingen kann?
Der spanische Hersteller hat sich über die Jahre einen guten Namen mit Nachbildungen diverser Neve-Klassiker gemacht, inzwischen gehören aber auch Eigenentwicklungen zum Portfolio, wie die Monitor-Controller der RAM-Serie, eine Reihe von Summing Mixern und sogar ein Bluetooth-Modul für API500-Racks. Die neuste Produktvorstellung bedient sich aber wieder des Neve-Erbes: Die legendären Mischpultmodule der frühen 1970er bleiben für uns Musiker, Toningenieure und Produzenten einfach ein Fixpunkt. Und wenn wir uns schon keine große Neve-Konsole leisten können, so vielleicht doch einen einzelnen Kanalzug?
Mit dem BritStrip möchte uns Heritage Audio diesen Traum erfüllen, denn er besteht aus einem Preamp im Stil des 1073 samt dessen Dreiband-Equalizer-Sektion, kombiniert mit einem Diodenbrücken-Kompressor nach Vorbild des 2254. Und das alles versammelt in einem Rackgerät mit nur einer Höheneinheit im typischen »Royal Navy Blue« mit den markanten Knöpfen in Rot, Blau und Grau sowie konzentrischen Schalter-Poti-Kombinationen. Very british!
Rundgang
Dass Heritage Audio bei aller Vintage-Seligkeit die heutige Realität nicht vergisst, bemerkt man bereits beim ersten Blick auf die Gerätefront: Ganz links befindet sich ein DI-Input mit einer hohen Eingangsimpedanz von 2 Megaohm, denn für die heutige Recording-Praxis ist ein hochohmiger Instrumenteneingang unverzichtbar. Der BritStrip hat sogar einen Thru-Output inklusive Ground-Lift-Schalter, um das Input-Signal weiterzuleiten, etwa an einen Bass- oder Gitarrenverstärker.
Der eigentliche Preamp ist ganz klassisch nach Vorbild des 1073 aufgebaut. D. h., er arbeitet mit einer diskreten Transistorschaltung, dem ein Eingangsübertrager vorgeschaltet ist, welcher die Symmetrierung und die Impedanzanpassung übernimmt. Die Impedanz lässt sich von 1.200 Ohm auf nur 300 Ohm im Low-Z-Modus umschalten. Letztere Option war seinerzeit wohl im Hinblick auf alte 50-Ohm-Bändchenmikros implementiert worden. Für die heute üblichen 200-Ohm-Bändchen und alle anderen aktuellen Mikrofone sollte man die 1.200-Ohm-Impedanz wählen. Die 300-Ohm-Stellung bietet sich allenfalls an, wenn man den Klang bewusst verbiegen möchte. Die Verstärkung deckt einen Bereich von 30 bis 80 dB ab, der sich über einen Drehschalter in 5-dB-Schritten einstellen lässt. Ein schaltbares Pad senkt die Eingangsempfindlichkeit um 20 dB ab. Selbstverständlich lässt sich für Kondensatormikrofone 48-Volt-Phantomspeisung zuschalten. Für Line-Signale gibt es auf der Rückseite einen separaten Eingang, der sich durch Drücken des Line-Schalters aktivieren lässt. Anders als beim originalen Neve 1073 gibt es keinen separaten Line-Eingangsübertrager; stattdessen wird der Mikrofon-Eingangsübertrager durch Vorschalten eines Pads für hochpegelige Line-Signale tauglich gemacht. Das ist preisgünstiger und funktioniert in der Praxis fast genauso gut.
Ein wichtiges Feature des originalen 1073 – der integrierte Dreiband-EQ –gibt es natürlich auch im BritStrip, sogar mit ein paar Extras! Die Außenbänder arbeiten als Shelf-Filter, lassen sich – abweichend vom Original – auch im Peak-Modus betreiben. Das Mittenband hat für schmalbandige Eingriffe zusätzlich einen HiQ-Modus. Den hat der Neve 1073 nicht, wohl aber sein naher Verwandter, der 1084. Die Einsatzfrequenzen sind unverändert, nämlich 0,36; 0,7; 1,6; 3,2; 4,8 und 7,2 kHz. Das Tiefenband hat drei Einsatzfrequenzen: 60, 110 und 220 Hz; die Stellung 35 Hz des Originals fehlt. Dafür hat das Höhenband des Brit-Strip drei Einsatzfrequenzen: 10, 12 und 16 kHz. Der variable Low-Cut wurde 1:1 übernommen; er hat die Einsatzfrequenzen 50, 80, 160 und 300 Hz. Jedes der drei Bänder hat wie auch der Low-Cut eine OFF-Position zum Deaktivieren der nicht benötigten Bänder. Zusätzlich lässt sich der gesamte EQ inklusive Low-Cut über einen Schalter komplett aus dem Signalweg nehmen.
Die Kompressorsektion gleicht der des Heritage Audio Successors, ist mit dieser aber nicht zu 100 % identisch und natürlich mono. Der Successor wiederum basiert auf dem Neve 2254 Diodenbrücken-Kompressor, ist aber keine 1:1-Kopie. Denn wie wir heute komprimieren bzw. warum wir überhaupt Kompression einsetzen, unterscheidet sich fundamental vom Ansatz der frühen 1970er. Das Parameterset ist ähnlich wie bei einem üblichen VCA-Kompressor: Die Ratio lässt sich in fünf Stufen von 1,5:1 bis 10:1 wählen; die Release hat vier Settings mit Zeiten von 50 bis 400 ms; damit ist der BritStrip bedeutend flotter als das Neve-Original. Die fünfte Schalterstellung ist ein Auto-Modus, der die Release anhand des Programmmaterials nachführt, grundsätzlich aber recht gemächlich agiert. Die Attack-Zeit lässt sich – anders als beim Successor – nicht frei einstellen. Zumindest gibt es aber die Wahl zwischen fast und slow.
Zu den modernen Zugaben gehört ein Sidechain-Filter, mit dem sich das Ansprechverhalten modifizieren lässt. Es bietet zwei Low-Cut-Settings (80 bzw. 160 Hz), die verhindern, dass der Kompressor übermäßig stark auf energiereiche Bassfrequenzen reagiert – für bassbetonte Stile wie Urban unverzichtbar. Dazu kommen zwei Settings mit einer Mitten/Präsenzanhebung bei 800 bzw. 3.000 Hz, die hilfreich sind, wenn der Kompressor primär auf Stimmfrequenzen ansprechen soll. Das letzte Setting ist ein Hochpass bei 5 kHz, der den BritStrip-Kompressor in einen Deesser verwandelt. Hinzu kommt noch ein zuschaltbarer Blend-Regler, der Parallelkompression ermöglicht.
Reingeschaut
Der Heritage Audio BritStrip wirkt solide konstruiert. Das Gehäuse besteht aus Stahlblech mit vernünftiger Wandstärke; da wackelt nichts. Die Stromversorgung läuft jedoch nicht über ein internes Netzteil, sondern über ein externes Steckernetzteil, das die Betriebsspannungen von ±17,5 Volt sowie 48 Volt für die Phantomspeisung liefert. Der Anschluss erfolgt über einen fünfpoligen XLR-Steckverbinder. Das Schaltnetzteil passt sich automatisch an die jeweilige Netzspannung an. Auch wenn man interne Netzteile bevorzugt, bietet ein externes einen audiotechnischen Vorteil in Sachen Brummeinstreuungen: Der BritStrip ist ein- und ausgangsseitig trafosymmetriert. Die Audioübertrager und auch die Spulen der EQ-Sektion sind naturgemäß empfindlich für elektromagnetische Felder – wie eben die eines Netztrafos oder Schaltnetzteils.
Die Audioschaltung orientiert sich weitgehend an den Neve-Klassikern. Die Ein- und Ausgangsübertrager sind originalgetreue Typen von Carnhill. Der Mikrofoneingangsübertrager ist, wie sich’s gehört, in einem Abschirmgehäuse gekapselt. Optisch unschön: Das Übertragergehäuse wurde mit Heißkleber fixiert. Der Funktion tut das natürlich keinen Abbruch. Der EQ ist ganz »alttestamentarisch« passiv aufgebaut aus Spulen, Widerständen und Kondensatoren. Letztere sind durchweg hochwertige Folientypen vom deutschen Hersteller Wima.
Der Kompressor ist ohne Zwischenübertrager in den Signalweg integriert. Er arbeitet wie das Original mit einer Diodenbrücke als Regelelement. In einem Diodenbrücken-Kompressor macht man sich ein weniger bekanntes elektrotechnisches Randphänomen zunutze: Die Durchlässigkeit der Dioden ist proportional zu einer anliegenden Spannung und lässt sich somit steuern – allerdings nur über einen schmalen Bereich. In der Praxis muss das Eingangsignal daher erst stark abgesenkt werden – üblicherweise um ca. 40 dB. Hinter der Kompressorschaltung muss dieser Pegelverlust wieder aufgeholt werden; dazu kommt das Make-up-Gain zum Ausgleich der Gain-Reduction. D. h., es können locker 50 dB Aufholverstärkung zusammenkommen. Aufgrund dieser suboptimalen Gain-Struktur sind Diodenbrücken-Kompressoren grundsätzlich nicht sonderlich rauscharm. Gemessen daran, performt der BritStrip-Kompressor jedoch sehr gut: Im normalen Einsatz rauscht er nicht viel mehr als ein üblicher VCA-Kompressor. Erreicht wurde dies durch den Einsatz rauschärmerer Komponenten, aber auch durch Abweichungen von der Originalschaltung. Vintage-Fetischisten mögen das bedauern; Praktiker werden sich an der zeitgemäßen Audioperformance erfreuen. Zum aufgerufenen Preis muss man einfach gewisse Kompromisse in Kauf nehmen. So ist die Platine zum großen Teil in SMD-Technik gefertigt, was die Herstellungskosten verringert, ohne dass das Gerät deshalb schlechter klingen muss.
Bonuspunkte sammelt der BritStrip für die hochwertige Haptik. Anders als bei manch anderer Neve-Kopie wurden die konzentrischen Bedienelemente des Originals beibehalten. Solche Speziallösungen sind teuer – machen die Bedienfront aber elegant und geben dem Gerät das gewünschte Neve-Feel.
Praxis
Der BritStrip trifft den Neve-Sound recht gut. Das Klangbild hat jene griffige, etwas grobe Textur, die die Klassiker auszeichnet. Es ist ein Vintage-Sound, der aber absolut zeitgemäß klingt – schließlich sind die letzen 20 Jahre Audiotechnik eine ständige Suche nach dem Charme der frühen Jahre.
Man darf Vintage nicht mit Lo-Fi verwechseln. Der BritStrip hat einen prallen Sound, dem es weder an Bässen noch an Höhen fehlt. Was ihn von einem neutralen Preamp moderner Bauart unterscheidet, ist vor allem eine ganz spezielle Präsenz und Festigkeit in den Mitten. Das Signal ist einfach da. Man könnte es Durchsetzungsfähigkeit nennen, aber woher diese rührt, ist gar nicht so einfach zu erklären. Sie beruht nicht auf Frequenzanhebungen; messtechnisch verhält sich der BritStrip (wie auch das Neve-Original) weitgehend linear. Der Sound hat dennoch eine eindeutig »britische« Färbung, die sich markant von den eher weichen Klängen amerikanischer Vintage-Preamps unterscheidet.
Gleiches gilt für den EQ, der auf seine ganz eigene Weise großartig klingt. Wobei es mir vor allem das buttrige Mittenband angetan hat. Fantastisch ist auch der Low-Cut, der nicht nur Bässe wegnimmt, sondern nahe der Grenzfrequenz auch leicht boostet. So wird tieffrequenter Müll entsorgt, ohne dem Signal den Druck zu nehmen. Männerstimmen wirken mit dem 80-Hz-Setting nicht flacher, sondern noch sonorer. Ähnliches gilt für E-Bass mit einem 50-Hz-Low-Cut, der dem Ton richtig Pfund gibt.
Der integrierte Diodenbrücken-Kompressor macht seine Sache ebenfalls sehr gut. Das Regelverhalten ist klassisch-geschmeidig und lässt sich sehr gut auf das Klangmaterial abstimmen. Die Settings des Sidechain-Filters sind bestens gewählt. Überraschend gut macht sich der Deesser-Modus: Bei minimaler Rückstellzeit und Attack auf »Fast« lassen sich scharfe S-Laute feinfühlig und nahezu nebenwirkungsfrei abfangen. In Verbindung mit einer kräftigen Höhenanhebung über den EQ lassen sich so moderne Pop-Vocals zaubern, die sehr hauchig klingen, ohne zu nerven.
Ein bisschen schade finde ich, dass der Attack-Parameter anders als beim Successor nur zweistufig ist. Obwohl der Aktionsradius mit nur zwei Einstellungen nicht nennenswert eingeschränkt wird, könnte man mit einer feiner einstellbaren Attack-Zeit doch noch etwas nuancierter arbeiten, insbesondere bei Schlagzeug und Percussion oder brachialer Effektkompression. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau.
Was der Diodenbrücken-Kompressor wirklich ausgezeichnet beherrscht, ist unauffälliges Verdichten. Im Vergleich zu einem üblichen VCA-Kompressor wirkt die Dynamikregelung eleganter, organischer. Der BritStrip konzentriert sich auf das, was analoge Technik heute ausmacht: Charakter – nicht emuliertes Verhalten oder nachgeäffte Klangparameter, sondern echter, souveräner Charakter.
Fazit
Der BritStrip von Heritage Audio ist ein Channelstrip, an dem Fans des Neve-Sounds oder überhaupt von Vintage-Geräten sehr viel Spaß haben werden. Das Gerät wirkt sauber konstruiert, und die technische Performance ist für ein Gerät dieser Technikgeneration wirklich gut. Das Eingangsrauschen ist mit –124 dBu angegeben. Moderne Preamps sind ein paar Dezibel rauschärmer, aber sie haben halt nicht diesen Klangcharakter. Und der ist für meine Ohren schon recht nah am Vorbild. Bei aller Vintage-Orientierung ist der BritStrip ein absolut zeitgemäßes Gerät, nicht zuletzt, weil Heritage Audio ihm ein paar Aktualisierungen spendiert hat. Herausgekommen ist ein überraschend universell einsetzbarer Channelstrip – mit Charakter! »Sounds like a record«, flüstert eine leise Stimme.
Hersteller: Heritage Audio
UvP / Straßenpreis: 2.926,– Euro / 2.459,– Euro
Internet: www.heritageaudio.net
Unsere Meinung:
+++ charaktervoller Sound
+++ originalgetreue Ein- und Ausgangsübertrager
++ überraschend vielseitiger Diodenbrücken-Kompressor
++ klassischer Look inkl. Konzentrischer Bedienelemente
– Kompressor-Attack nur zweistufig