Interview mit Roland Prent aus den Valhalla Studios
Gefühlt dürfte in Europa jeder fünfte Haushalt Musik besitzen, an der Ronald Prent beteiligt war. Rammstein, Manowar, Peter Maffay, Herbert Grönemeyer, die Scorpions oder das Dire-Straits-Live-Album On The Night sind nur ein Teil der »Pegelspitzen«. Es gäbe inzwischen einiges, stimmt der gutgelaunte Holländer lachend zu. Der Toningenieur war bereits an der Entwicklung des Surround-Standards beteiligt – und mischt seitdem auch gerne in jenem Format. Mittlerweile arbeitet er in den Valhalla Studios – im Interview erzählt er, wie er seine Surround-Mischungen anlegt und immersive Formate für ihn funktionieren.
Die Valhalla Studios befinden sich im Staat New York in abgeschiedener Ruhe auf dem Land, irgendwo zwischen Syracuse und Niagara Falls. Das große »Studio 1« ist in einer ehemaligen Kirche untergebracht, die Holzverkleidung strahlt auf den Bildern Behaglichkeit aus. Das Studio gehört der Metal-Band Manowar, seit 1982 hat die Truppe ihre Alben dort aufgenommen. Seit Kurzem ist das Studio auch für fremde Projekte buchbar. 2019 begann Ronald Prent dort seine Arbeit.
Wir haben ihn per Videochat zu seinen Mixing-Ansätzen befragt. Dabei vermittelt Prent, der seit über 40 Jahren aktiv ist, nach wie vor ungebrochene Begeisterung.
Wie bist du zum Thema Surround gekommen?
Das begann 1990 – damals arbeitete ich in den holländischen Wisselord Studios. Ich war in einer Testgruppe für das SACD-Format: Zunächst wurde nur Stereo in immer höheren Auflösungen getestet, bis zu DSD-Qualität. Irgendwann kam die Frage, ob wir einen 5.1-Surround-Mix erstellen könnten. Dazu machten wir experimentelle Aufnahmen in einer Kirche. In Surround zu arbeiten ging eigentlich noch nicht, dafür existierten noch keine Workstations! Wir haben die Spuren direkt auf einen Harddisk-Rekorder aufgenommen, dem Vorgänger der Pyramix-Workstation. Damit waren 16 Spuren möglich. Zur Aufnahme haben wir ein Decca-Tree mit drei Mikrofonen verwendet, dazu zwei zusätzliche Mikrofone.
Das .1-Signal ist normalerweise für LFE-Signale [»Low Frequency Effects« oder auch »Low Frequency Enhancement«; im Cosumer-Standard der Kanal für den Subwoofer; Anm.d.Red.] gedacht – aber das ist nicht festgelegt! Damit lassen sich theoretisch auch andere Klänge realisieren. An der Decke der Kirche befand sich eine Kuppel. Aus dem Grund hängten wir ein Neumann M50 in die Kuppel – um zu hören, was passiert! Ein Chor performte, während der Aufnahme regnete es. Das war nicht schlimm, weil ohnehin alles experimentell war. Später hörten wir das Ergebnis bei Philips in einem Raum mit 5.1-Abhöre an und ließen für den .1-Kanal einen Lautsprecher an die Decke hängen. Im ersten Moment haben wir den Kanal kaum wahrgenommen – bis zu dem Punkt, als der Regen einsetzte: Stell dir vor, du sitzt in einem Raum mit gedimmtem Licht, vor dir singt der Chor in der normalen Surround-Anordnung – das klang bereits super. Dann setzte der Regen ein, und auf einmal bekamst du die komplette Dimension der Kirche mit! Nach dem Ende des Regens schalteten wir den Deckenlautsprecher ein und aus, um das Ergebnis zu vergleichen. Tatsächlich war der Effekt gigantisch, was die Räumlichkeit angeht. Dadurch entstand die Idee der »Voice of God«-Anordnung [bei der ein Speaker an der Decke hängt; Anm.d.Red.], wie sie auch bei 3D zum Einsatz kommt.
Anschließend zog ich nach Belgien, um in den Galaxy Studios zu arbeiten. Dort war gerade die erste 5.1-Regie verfügbar. Ich begann, Popmusik im Surround-Format zu mischen. Die erste Veröffentlichung stammte von den Guano Apes [Don’t Give Me Names, Surround SACD, 1999; Anm.d.Red.], heftiger Rock. Diese SACD wird heute noch als Benchmark von 5.1-Hörern verwendet. Weil die Musik so abgefahren ist, konnte ich als Mischer alles machen – die Gitarren zum Beispiel nach hinten legen. Das Medium wurde zum kreativen Effekt für die Band – nicht unbedingt im technisch perfekten Sinne, sondern als musikalisch-kreatives Produktionswerkzeug, bei dem ich plötzlich fünf Lautsprecher zur Verfügung hatte. Danach war ich vom Surround-»Virus« infiziert!
Surround-Mischer gehören praktisch zwei Lagern an: solche, die eine Band »realistisch« im Raum positionieren wollen, und diejenigen wie du, die die Lautsprecher kreativ nutzen, je nachdem, was der Song ermöglicht. Wie entstand deine Vorliebe?
Das bin ich immer kreativ angegangen, es sei denn, es gab Vorgaben vom Kunden. Mein Prinzip: Die Lautsprecher sind eine Erweiterung der Musik. Ich »male« damit praktisch eine Choreografie von der Musik für die Lautsprecher! Es muss allerdings Sinn ergeben. Es bringt nichts, etwas schlicht vorne, hinten, rechts, oben und unten umherfliegen zu lassen, wenn es nicht der Musik dient.
In den letzten Jahren trat Dolby Atmos mehr in den Vordergrund. Das habe ich hier auch. Allerdings: Die Leute, die gerade in Dolby Atmos mischen, machen die gleichen »Fehler« – auch wenn es so gesehen keine sind – wie wir vor 20, 30 Jahren bei Surround! Man meint: »Jetzt habe ich 9.1.6 – jetzt muss alles fliegen!« Dann fliegen die ganze Zeit Hi-Hats durch die Gegend. Bei EDM kann das vielleicht im Einzelfall passen – bei anderen Stilen wiederum nicht.
Es hängt davon ab, was du abbilden willst, in welchem musikalischen Kontext. Morten Lindberg vom norwegischen Klassik-Label 2L macht aufwendige immersive Produktionen – zum Beispiel 9.1 und 10.1.4., je nach Räumlichkeit, etwa in Kirchen. Seine Mischungen sind nie als »Standard« abgebildet – er platziert die Musiker auch so im Raum, wie er sie später hören möchte. Davon bin ich großer Fan, weil es die Musik weiterdenkt. Das fand ich, ist das Schöne an Surround und Immersive Mixing – damals existierten noch keine Regeln oder »Gesetze«, wie jemand dafür zu mischen hat. Lediglich fünf Lautsprecher – damit kannst du machen, was du willst. Ob das gut oder schlecht ist, würde sich herausstellen. Das ist der Vorteil an dem Medium – wohingegen du bei Stereo praktisch »abgeschossen« wirst, wenn du zu viel in mono arbeitest oder Dinge überbreit aufziehst, nicht im richtigen Verhältnis abbildest – weil es für dich gerade besser klingt. Bei Stereo existieren so viele Gesetze, dass du eigentlich kaum noch mischen kannst!
Ich erinnere mich an frühe SACD-Neuabmischungen, die das Medium erstmal ausreizten – zum Beispiel Surround-Mischungen von The Police, bei denen die Musik als »Effekt-Showcase« gemischt wurde, um das neue Medium zu demonstrieren. In dem Fall hatte das teilweise von der Musik, dem musikalischen Guss als Einheit abgelenkt. Die Einhüllung war weg. Ist es schwieriger, in Surround eine Geschlossenheit herzustellen, die bei Stereo aufgrund der Frontalbeschallung ohnehin eher vorhanden ist?
Jein! Was ich oft feststelle: Dinge, die in Stereo gut klingen und mit denen ich »ungestraft davonkomme«, was etwa Timing-Schwankungen bei den Musikern angeht, fallen bei mehr als zwei Kanäle schneller auf. Lege ich ein Element nach links, rechts hinten oder oben, und das musikalische Timing der Spur ist etwas schwammig – nicht im gleichen Groove wie der Rest –, kann das problematisch sein. Es fällt aus dem Gesamtbild heraus oder fühlt sich zu isoliert an. Stecke ich es zurück ins Stereobild, habe ich den Groove wieder, wie die Platte klang, ich verstehe es musikalisch. Nehme ich die Spuren unvorsichtig auseinander, ist die Chemie nicht mehr da.
Es gilt immer, die passende Chemie zu finden. Du kannst nicht das, was du gerade im Surround-Bild herausstellst, nachträglich im Timing ändern – das wäre nicht richtig. Darin besteht die Schwierigkeit! Natürlich wäre es einfach, die Spur in der Workstation zu schieben oder in der Tonhöhe zu pitchen – dann wird das Ergebnis allerdings steril. Stattdessen musst du experimentieren – zum Beispiel mit Delays oder Räumen, um die Elemente wieder einzubinden. Manchmal ist es auch ideal, wenn alles komplett getrennt voneinander erklingt!
Es gibt nur ein Gesetz, an das ich mich halte: Was der Song erlaubt, mache ich. Wenn der Song zusammenbricht, mache ich es nicht.
Ich bin auch ein großer Fan des Center-Kanals: Wenn ich kann, packe ich die Lead-Stimme in den Center – falls nötig zeitverzögert, um das Ergebnis zu »verbinden«. Ich habe auch Songs gemischt, bei denen Schlagzeug und Bass die ganze Zeit hinten liegen – weil der Künstler die Band in seinem Rücken hören wollte, wie auf der Bühne. Das hat auch funktioniert!
Was Effekte wie Hall angeht: Meist benutze ich nur einen Multichannel-Reverb, alles andere ist mono oder stereo. Je mehr du verwendest, desto mehr entsteht meiner Erfahrung nach eine große »Mono-Blase« im Mix. Ich mische übrigens nicht im Sweet Spot, sondern sitze gerne an der Seite, laufe auch herum und höre den Klang außerhalb der Lautsprecher an – das sagt mir oft mehr als die Information im Sweet Spot. Dort höre ich es mir an, wenn ich fertig bin – und natürlich mit dem Kunden! (lacht)
Wenn ein Kunde vor Ort ist, kann ich die Stereo- und Surround-Mischung gleichzeitig diskret am Pult bearbeiten: Dann mische ich immer in Stereo und mache Surround parallel mit, allerdings »blind«! Ich mache das Panning, höre mir das allerdings nicht mit dem Kunden an. Ich mache mit ihm den Stereo-Mix fertig – anschließend schalte ich auf den Surround-Mix um und sage: »Und das kannst du auch haben!« Der einzige Grund, dass die Referenz für die meisten in Surround – mit fünf, sechs, zehn oder 16 Lautsprechern – besteht, die können das nicht abstrahieren, wie jemand die Verhältnisse mischt. Mische ich die Verhältnisse in Stereo und mache parallel »unter der Decke« am Pult den Surround-Mix, sind die Verhältnisse die gleichen, kein Up- oder Down-Mix. Wenn ich dann umschalte, verstehen die Kunden das, weil sie die Referenz der Stereo-Mischung haben. Heutzutage kommen noch die Kopfhörer hinzu, mit binaural und anderem, was wieder eine komplett andere Welt ist.
Vermutlich ist es schwer zu vergleichen. Bei welchem Medium funktioniert für dich die Einhüllung ideal: bei Surround auf einer Ebene, 3D mit weiterer Ebene oder binaural auf Kopfhörern?
Kopfhörer und Lautsprecher lassen sich nicht vergleichen. Was Lautsprecher angeht: Je mehr, desto besser! Das ist nicht immer praktisch, aber am liebsten 7.1 oder 9.1 diskret, wie bei Auro-3D. Dabei bestehen die meisten Freiheiten. Ansonsten: Manchmal klingt ein binauraler Kopfhörer-Mix gut, manchmal okay, in anderen Fällen funktioniert er nicht. Der beste Ansatz im binauralen Bereich, den ich kenne, ist das Sony 360-RealAudio-System. Damit komme ich dem am nächsten, was ich mit meinem Surround-Mix gemeint habe – aber du musst das Ergebnis für den Kopfhörer mischen, nicht für Lautsprecher.
Was die Kopfhörer-Systeme angeht: Du bist beispielsweise bei dem Sony-Format auch an der Entwicklung beteiligt, wo sich der Klang in einem »virtuellen « Regieraum hören lässt …
Die Leute von Sony kommen und messen deinen Regieraum. Sie haben meine Lautsprecher gemessen, die Winkel der Aufstellung, die Verzögerungen am Abhörplatz. Daraus entsteht ein Preset in der Software. Das erlaubt mir, auf Lautsprechern zu mischen und das Ergebnis durch die Software mit Delay-Correction umzurechen! Wenn ich mit dem Lautsprecher-Mix fertig bin, bekomme ich die binaurale Version auf Kopfhörern – eine spezifische Sony-Mischung. Das funktioniert so gut, dass es wirklich gleich ist! Ich hörte beim Test zunächst auf Lautsprechern und zog dann die Kopfhörer auf. Daraufhin bat ich den Sony-Engineer, die Lautsprecher auszuschalten … sie waren bereits aus!
Für das Sony-Format hatte ich ein paar experimentelle Mixe gemacht – damit können hervorragende Resultate entstehen. Das funktioniert allerdings nur auf Kopfhörern – je besser der Kopfhörer, desto besser das Resultat. Sie haben ein HRTF-Profil [siehe auch Artikel »Mehr als Stereo« ab Seite 14] entwickelt, das für jeden Kopf funktioniert. Je besser dein HRTF passt, desto besser ist deine binaurale Erfahrung mit dem Kopfhörer. Ich habe für mich ein individuelles HRTF-Profil erstellen lassen. Das »General Profile« von Sony wird immer weiterentwickelt – im Moment funktioniert es für mich besser als mein individuelles Profil! Übrigens: Das Sony-Format soll im Laufe der Entwicklung nicht nur auf Kopfhörern, sondern auch auf Soundbars funktionieren.
Der Steven-Slate-Kopfhörer arbeitet als nichtbinaurale Raumsimulation. In der Simulation kannst du verschiedene Kopfhörer anwählen sowie verschiedene Regieräume. Das funktioniert unglaublich – die haben ebenfalls meinen Raum analysiert. Dann kann ich ohne binaurale Simulation dem Kunden meinen Regieraum über die Software virtuell »weitergeben«, wenn er über das System hört. Ich habe das hier probiert: Kopfhörer auf, Kopfhörer ab – praktisch kein Unterschied!