Im Interview: Organist und Pianist Simon Oslender
Gerade mal 1998 ist er geboren, aber er hat die Musik aufgesogen wie nur ganz wenige. Bereits als Teenie solierte er in der WDR Big Band in der Kölner Philharmonie, um nur einen einzigen Karriereschritt zu nennen. Nun hat er sein erstes eigenes Album veröffentlicht, das er mit seinem eigenen Ensemble auch live auf die Bühne bringt.
Als Zweijähriger war er fasziniert von Vaters Bassdrum. Irgendwie kommunizierte er erfolgreich seinen Eltern, dass er ebenfalls eine haben wollte. Für die nächsten Weihnachts- und Geburtstagsfeste mussten sich die Eltern keine weiteren Geschenke mehr überlegen: Zu jedem Anlass bekam er ein weiteres Stück des Schlagzeugs dazu. Und zwischenzeitig mussten Keksdosen herhalten.
Irgendwann, da muss er vier oder fünf gewesen sein, hat er ein Konzert gesehen: John Mayall & The Bluesbreakers. Genau hier hat er die Hammond-Orgel wohl das erste Mal gehört, und seitdem war er von dem Sound der Hammond so fasziniert, dass dies sein Leben bis heute nachhaltig beeinflussen sollte. Nach seinem musikalischen Lebenslauf würde sich so manch einer die Finger lecken: Er bekam zig (Jazz-)Preise, begleitete 2013 Max Mutzke und Butterscotch und trat 2016 bei der Hammond Night mit Barbara Dennerlein in Ascona auf. Er spielte 2018 mit Wolfgang Haffner bei der Jazz Baltica, beim Jazzfestival des Jazzclubs Karlsruhe, bei den Leverkusener Jazztagen (wurde in der Sendung Rockpalast übertragen), spielte mit Bill Evans in Australien, tourte durch Südost-Asien, Japan und wurde für die 50. Internationale Jazzwoche Burghausen 2019 verpflichtet. Hui! Bei Haffner und Evans gehört er inzwischen zur festen Bandbesetzung.
(Bild: Dirk Heilmann)Zuletzt hat er sein Solo-Debüt About Time veröffentlicht. Wir trafen ihn im Februar auf der Tour vor einem seiner Konzerte im Kölner King Georg, eine Jazzbühne, vor der etwa 200 Leute Platz finden. Der Laden war gleich an zwei Tagen hintereinander ausverkauft.
Wie sieht deine musikalische Sozialisation aus?
Die große Basis habe ich mir wohl selbst beigebracht – in den ersten Jahren habe ich viel rausgehört. Mit acht, neun habe ich dann klassischen Klavierunterricht bekommen, den ich bis zum Abitur durchgezogen habe, einmal die Woche, das hat mir sehr viel gebracht.
Durchgezogen? Das heißt auch: durchgebissen?
Am Anfang sicher auch durchgebissen. Ich war noch nie ein guter Notenleser, deswegen hatte ich auch erst nicht so viel geübt. Aber irgendwann habe ich gemerkt, wie viel mir das bringt, vor allem harmonisch. Zum Glück hatte ich eine tolle Lehrerin, sodass ich dann auch immer mehr Spaß daran gefunden habe.
Wegweisend war für mich aber, damals mit elf oder zwölf, als ich Frank Chastenier kennengelernt habe, der u. a. lange Zeit bei der WDR Big Band gespielt hat. Er war für mich der wichtigste Mentor. Bei einem Wettbewerb hatte ich eine Masterclass mit ihm gewonnen, also eigentlich eine einmalige Sache. Als wir uns dann aber getroffen und kennengelernt haben, hat er entschieden, dass er das gerne weiter machen würde. Dann ist er etwa einmal im Monat bis alle zwei Monate tatsächlich zu uns nach Hause gekommen und hat mir zwei, drei Stunden Unterricht gegeben.
Das war die Zeit, in der ich so richtig tief in Musik eingetaucht bin, und er war auch der Lehrer, für den ich mit Abstand am fleißigsten war. Ich wusste, was ich von ihm mitnehmen kann, ist extrem wertvoll, da musste ich einfach ran. Hat auch einen riesen Spaß gemacht! Ohne ihn, muss ich gestehen, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Und nicht nur musikalisch, sondern auch vom Denken hat er mir sehr, sehr viel auf den Weg mitgegeben.
Spielst du inzwischen eine Hammond?
Ja, drei Stück. (beide lachen)
Und zwei sind immer kaputt …?
Tatsächlich laufen die sehr gut, ich bin da selbst sehr überrascht und warte eigentlich immer nur drauf, dass etwas passiert. Aber bisher lief’s gut.
Wie war dein Weg zur Hammond?
Nach dem Einsteiger-Keyboard kamen verschiedene Arranger-Keyboards, und meine erste Orgel war eine Nord C2, das war 2009. Die habe ich mir mühsam zusammengespart, und ich nutze sie auch heute noch. 2014 kam die erste Hammond, eine A100, dazu, 2016 kam die nächste, und letztes Jahr habe ich noch eine Hammond CV von 1946 gekauft – ein Uralt-Gerät. Die Sammlung ist etwas ausgeartet, auch auf Rhodes und Wurlitzer.
Aber der Heilige Gral, eine B3, fehlt dir noch?
Ja, irgendwann werde ich mir die wohl auch noch holen, aber die A100 ist baugleich, nur in einem anderen Gehäuse, deswegen bin ich da gerade schon sehr zufrieden mit.
Damit auf Reisen zu sein, ist sicher auch eine logistische Herausforderung …
… ja, auf jeden Fall. Ich habe das eine Zeitlang sehr viel gemacht, in letzter Zeit habe ich oft das Glück, dass mir etwas hingestellt wird vor Ort. Gerade bei größeren Konzerten gibt es fast immer einen Backliner, das ist natürlich fantastisch.
Bei den letzten Konzerten spiele ich aber hauptsächlich Klavier und Keyboards, da fällt das dann auch nicht mehr so ins Gewicht. In letzter Zeit nehme ich gerne meine eigene C2, allerdings mit echtem Leslie, mit. Immer noch ein kleineres Setup – mein Rücken hat nämlich zwischendurch auch schon mal Bescheid gesagt.
Sollte die C2 mal irgendwann den Geist aufgeben, wäre sicher eine Uhl das Instrument meiner Wahl – die habe ich schon ein paar Mal gespielt, die ist super! Aber im Moment sehe ich dazu noch keinen Grund. Ich habe mich sehr an die C2 gewöhnt, und die ist ja auch sehr gut.
(Bild: Dirk Heilmann)Das Leslie wiegt aber auch schon einiges …
… ist aber zu zweit immer noch gut machbar, während die Hammond 180 Kilo aufwärts wiegt. Das ist dann selbst zu viert schon schwierig.
Und das hast du quasi immer dabei?
Das ist mir persönlich tatsächlich wichtiger als die Orgel. Das Leslie bestimmt im Endeffekt, wie sich der Sound im Raum und im Mix verhält, deswegen habe ich das immer dabei.
Und das läuft zuverlässig?
Vor ein paar Jahren habe ich gelegentlich mal die Hochtöner durchgebraten. Ich habe dann aber gemerkt, dass das an der Frequenzweiche lag, die hat zu viel Bass an die Hochtöner weitergegeben. Das wurde repariert, und seit sechs, sieben Jahren läuft sie problemlos. Wenn mal ein Riemen oder Ähnliches kaputt geht, dann kann ich den auch selbst austauschen.
Das Leslie steht übrigens fast immer im Auto, zu jeder Jahreszeit. Ich habe das Gefühl, es hat sich daran gewöhnt. (lacht) Und es hat auch schon einige Schrammen abbekommen, was ich aber nicht so schlimm finde, denn hinter jeder Schramme steckt auch eine Geschichte. Es ist also ein echtes Road-Leslie.
Du hast vor Kurzem dein erstes eigenes Album herausgebracht, About Time. Was erwartet uns da?
Erst einmal nicht so viel Orgel, wie viele erwarten würden. Das könnte jetzt missverstanden werden – Orgel, da komme ich her, und das ist mein Ein- und Alles – aber ich habe in letzter Zeit ein bisschen das Gefühl gehabt, dass ich auf die Orgel reduziert wurde. Das ist eigentlich nicht schlimm, aber ich bin eben auch Pianist. Das war mir schonmal wichtig, das wieder gleichzustellen, und deswegen ist auf About Time viel Flügel und viel Rhodes zu hören.
Ansonsten ist die Instrumentation recht klassisch: Schlagzeug, Bass, zwei Gitarristen die sich abwechseln und auf einigen Nummern auch zusammen spielen, Percussion und einige Special Guests: Randy Brecker (Tromp.), Bill Evans (Sax), Cosmo Klein hat eine Nummer gesungen, und ich habe es tatsächlich geschafft, den großartigen Ricky Peterson als Co-Produzenten zu gewinnen. Der war schon immer ein Hero für mich. Er hat früher mit Prince eng zusammengearbeitet, unter anderem The Most Beautiful Girl In The World für und mit Prince produziert und auch noch an anderen Alben und Songs mit ihm gearbeitet. Mit ihm war ich schon länger in Kontakt und habe es tatsächlich geschafft, ihn rüberzuholen für drei Tage, und das allein hat eine gute Stimmung verbreitet. (lacht)
Ich nehme an, ihr wart dafür in einem richtigen Studio?
Ja, wir haben das noch ziemlich oldschool aufgenommen. D. h,. sechs Tage aufgenommen, sieben Tage gemischt, und alles durch die SSL-Konsole. Kaum Edits, kaum Overdubs, ziemlich alles zusammen im Raum live recordet.
Profitiert das Klavierspiel vom Orgelspiel … oder andersherum?
Auf jeden Fall! Zuallererst profitiert das Klavierspielen vom Orgelspielen, was die Rhythmik angeht. Die Orgel ist ein unglaublich direktes Instrument, weil es ja quasi keine Anschlagsdynamik gibt – der Ton ist da, sobald der Finger da ist. Ein Klavier verzeiht einem da etwas mehr, die Orgel ist erbarmungslos.
Und andersherum profitiert das Orgelspielen vom Klavierspielen, was Harmonien angeht. Zumindest ging es mir so. Als ich angefangen habe, war ich erstmal etwas in diesem Blues-Orgel-Ding gefangen: Links oder mit den Füßen hatte man dann Bass gespielt, rechts das Solo und das oft noch mit dem gleichen Blues-typischen Sound. Wenn man dann auf dem Klavier schöne Balladen mit einem interessanten Voice-Leading spielt und das auf die Orgel überträgt, kann man da ausbrechen. Von der Dynamik muss man das natürlich ganz anders umsetzten, aber man kommt harmonisch schon auf ganz andere Ideen.
Vom Schlagzeugspiel lernt man vermutlich ähnlich rhythmisch?
Was Timing angeht, da habe ich da am meisten gelernt. Das hat sich sowohl aufs Orgelspiel als auch aufs Klavierspiel ausgewirkt.
Was mich immer stört, ist, wenn es hektisch wird. Man kann gerne schnell und viel spielen, aber wenn es hektisch klingt, wird es unruhig, und dann werde ich auch nervös. Es ist total wichtig, dass das Schnellspielen aus der gleichen Ruhe herauskommt, wie eine ganz getragene Ballade z. B., und dazu ist eine sichere Time wichtig. Das ist zumindest meine Herangehensweise.
Die meisten deiner Kollegen sind vermutlich eine ganze Ecke älter als du, oder?
Ja, das sind sie. Zumindest in etwa 90 % der Fälle.
Ist es da manchmal schwierig, als 21-Jähriger gerecht wahrgenommen zu werden?
Unter den Musikern überhaupt nicht. Sobald man zusammen Musik macht, ist das Alter völlig egal. Das fand ich sehr schön zu erfahren. Egal ob man 70, oder 50 oder 13 ist, sobald man auf der Bühne ist und sich musikalisch versteht, ist das alles total egal.
Wo es allerdings eine Zeit dauert, bis man ernstgenommen wird, sind Booker, Agenten, Festivals, Clubs usw. Aber es zahlt sich aus, sich da nicht unterkriegen zu lassen und einfach weiter sein Ding zu machen.
Ich erfahre im Moment durch die Platte und auch andere Dinge, die ich gemacht habe, dass die Leute viel eher und schneller reagieren als früher. Irgendwann kommt man durch, man muss nur beständig bleiben.
Bei der Presse liegt die Wahrheit übrigens irgendwo dazwischen. Anfangs hat man da noch einen »Jugend-Bonus«; das ist bei mir inzwischen glücklicherweise vorbei, denn ständig zu hören: »Er spielt gut für sein Alter«, macht auf Dauer auch keinen Spaß – auch wenn das nett gemeint ist. (lacht) Aber keine Frage: In gewissen Teilen des Business ist es am Anfang auf jeden Fall schwer.
Simon Oslender – About Time
About Time ist nun also sein Solo-Debüt, und dafür konnte er gleich einige top Musiker der Jazz-Szene gewinnen (siehe Text). Frisch, fröhlich, frei – seine Kompositionen befreien sich vom Staub einiger alter Jazz-Gepflogenheiten, sind nahbar und nicht sperrig. Die Musik groovt, funkt und soult … und jazzt natürlich. Aber auch seine klassischen Wurzeln tragen hier einige Früchte. Der Musikliebhaber wird hier lange viel Spaß haben an den vielen Melodien und den rhythmischen Raffinessen, die sich hier und da verstecken und manchmal erst nach mehrfachem Hören auffallen – das nennt man Liebe zum Detail. Aber die wesentlichen Themen bleiben auch schon beim ersten Hören gut im Ohr, und der Kopf nickt zum Beat. Oslender und seine Mitstreiter spielen ganz exzellent mit viel Hingabe.
Für mich schon jetzt die Jazz-Platte des Jahres!