Organist und Keyboarder Doug Carn im Interview
Der Reigen der 50er-Jubiläen erweitert sich durch ein kleines, feines, schwarzes und einflussreiches Jazz-Label, das 1969 vom Keyboarder Gene Russell in Oakland, Kalifornien gegründet wurde, und hier in Europa mit mehreren Konzerten und Veranstaltungen in Paris und Berlin anno 2019 gebührend und enthusiastisch gefeiert wurde.
Wie selten bei einem Konzert war es in Berlin zu erleben, dass nicht nur brav nach den einzelnen Soli geklatscht wurde, sondern schon während der Einzelbeiträge, so z. B. beim Tenorsaxofonisten Ari Brown (ehemals THE AWAKENING, Black Jazz), die das Publikum im vollgepackten Festsaal Kreuzberg durch Zwischenapplaus und Raunen begeistert begleitete. KEYBOARDS hatte Gelegenheit, zuvor mit dem wohl wichtigsten Vertreter des Labels, dem Organisten und Keyboarder Doug Carn, zu sprechen.
Dieser Event hier, ist der nur für Deutschland, Europa, oder ist es ein globaler, ebenso für Amerika? Oh, das ist Teil des Problems. Wir werden in Amerika nicht so wahrgenommen wie in Europa und auch anderen Plätzen. Es ist schwierig, aber was ich sagen kann, das ist nun der Beginn der Gruppe. Vor ein paar Jahren mit der Gruppe, die wir machten, gab’s eine Show im Yoshi’s in San Francisco, aber Jean (Carn) war nicht dabei. Es war das erste Mal, dass wir alle wieder zusammen waren – die, die noch leben; Saxofonist George Harper ist ja schon verstorben …
… von den 70s-Black Jazz-Alben …
Ja, genau. Im New Morning gestern in Paris, war es wirklich vollgepackt, sie mussten eine Menge Leute zurückdrängen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sehr die Leute die Musik mögen.
In Paris?
Ja, 50 Jahre sind eine lange Zeit. Die meisten Leute da hörten erst davon, als sie erwachsen waren, einige wuchsen damit auf, und nun haben wir fast alle Enkelkinder – ich auch. Aber eine Menge jüngerer Leute sind alle in dieser Musik, die sie halt fanden … aber es gab nie eine Firma mit einem Vertriebsbudget oder großem Werbebudget oder Marketing-Strategien. All die Platten, die man kennt, haben noch nicht mal Liner-Notes, niemand sagte den Leuten, was sie darüber zu denken hatten oder wie sie es hören sollten, wie es zu kategorisieren ist. Das war der Öffentlichkeit überlassen. Sie liebten es, Mann. Als Jean und ich in den frühen 70ern zusammen waren, konnten wir nicht arbeiten – die größeren Venues buchten uns nicht. Sie nahmen uns nicht ernst, aber die DJs taten es, die DJs spielten uns jeden Tag. Aber die Konzert-Promoter, die Club-Besitzer nicht.
Wieso?
Als einen der Gründe gaben sie an, dass wir keinen Rückhalt eines Major-Labels hätten. Wir waren eine 7-Mann-Truppe, aber sie wollten Trios oder Quartette haben. Ich wollte meine Musik aber für drei Bläser arrangieren, Harmonie, Melodie, Gegen-Melodie. Und dann, denke ich, war ein anderer Teil rassistisch, aber ich muss zugeben, ich fand heraus, dass da ein schwarzer Typ in der Plattenfirma war, dann wollten sie mich und Jean dabei haben, zusammen mit anderen Platten auf dem Label, deren Kreativität und Einzigartigkeit aber nicht gegeben war, was sie nicht machen konnten. Weißt du, Black Jazz war nicht in schwarzer Hand. Sie hatten einen schwarzen Typen, Gene Russell, der das Label führte. Aber es war ein Subsidiary von Ovation Records. Er ließ die Leute glauben, er würde tatsächlich das Black-Jazz-Label besitzen, was aber nicht stimmte. Und ebenso produzierte er nicht Infant Eyes (1971). Das war schon gemacht, als ich Gene Russell traf. Ich machte Infant Eyes mit denselben Leuten, Jean (Carn), Michael Carvin (Drummer), Henry Franklin (Bass) und Blue Note lehnte es ab, MCA lehnte es ab, Milestones/Orrin Keepnews lehnte es ab. All die Major Labels lehnten es ab. Aber dann etwas später klopfte Gene Russell an meiner Tür und sagte: »Doug, ich habe gehört, du hast eine Platte. Lass uns versuchen, einen Deal zu machen. Ich bin dabei, ein Label zu gründen.«
Black Jazz existierte vier Jahre lang?
Yeah, vielleicht 5 oder 6 Jahre. Ich denke, Black Jazz begann ’69, ’70
Aber es gab keine Chance, es länger zu betreiben?
Nun, da hätte es eine Chance geben können, aber ein Grund, denke ich, dass es nicht länger lief, war, weil sie mich nicht weiterbezahlen wollten. Und außerdem gab’s noch irgendwelche steuerlichen Gründe. Ich denke, sie merkten, dass sie keine richtige Plattenfirma geführt hatten – sie hatten nur einen Künstler. Das war eine Gefahr für das Establishment, weil im Entertainment in Amerika alles auf dem großen Geld basiert.
Aber du bist nicht unglücklich darüber, wie es sich für dich über die Jahre gestaltete?
Nun, ich bin schon unglücklich, aber andere erwischt es wirklich hart: Einige sind gelähmt, haben einen gebrochenen Arm, ein gebrochenes Bein, oder die Kinder sind wegen Drogen im Knast. So schaue ich mir mein Leben an, und sage: Oh, es hat mich im Ganzen nicht schlecht erwischt. Aber auf der anderen Seite … sicher, hätte ich reich und berühmt sein können – aber ich mach’s dafür überhaupt nicht.
Die Orgel ist so was wie das zentrale Instrument für dich?
Ja, die Orgel ist mein Hauptinstrument, weil meine Mutter eine Kirchenorganistin war, und sie brachte mir es im jungen Alter bei – das ist das, was ich kann. Sie brachte es mir nicht bei, damit ich Platten einspiele oder um Jazz zu spielen. Sie lehrte mich das Wissen, für welche Richtung auch immer ich mich dann entschied. Als ich 11, 12 Jahre alt war, kam Jimmy Smith auf, das war’s dann für mich. Ich spielte auch Klavier und spiele es immer noch. Heute Abend spiele ich Klavier, Orgel und Syntheziser, elektrische Keyboards.
Wie ist das Verhältnis zwischen den Keyboards und der Orgel? Sind die Keyboards so etwas wie ein Extra, oder sind sie richtig mit einbezogen?
Oh, die sind richtig einbezogen, aber auf besondere Art. Es ist so was wie das Sahnehäubchen.
Du hast Larry Young getroffen, und der Stil, den du gespielt hast, ist mehr so ein Mix aus Coltrane/Spiritual Jazz, Postbop und ein wenig Electric Jazz.
Ja, das ist ja auch mein eigenes Ding. Wie die traditionelle deutsche Küche oder die italienische Küche oder die neapolitanische … Man macht eine vielseitige Mischung, aber immer noch mit Klasse.
Larry Young ist übrigens ein guter Freund, und er ist altersmäßig näher bei mir als Jimmy Smith. Jimmy gehört ebenfalls zu meinen Freunden, ich kenne ihn, seit ich 17 war. Wir haben uns gegenseitig immer Sachen gezeigt.
Die Vokal-Arrangements unterscheiden sich ja von anderen. Woher kam das, und warum hast du das so arrangiert?
Jazzmusiker sind cool, und sie wollen Jazz spielen. Sie wollen nicht nur einen Sänger begleiten, der traditionelle Standards singt. Sie wollen hip stuff. Und ein Typ wie ich sagt: Wenn es nicht genug hip stuff gibt, dann schreibe ich welchen. Der Grund, dass ich das schrieb, war, weil ich durch Jeans stimmliche Qualitäten inspiriert war, um es dann zu arrangieren.
Kannst du etwas über das Equipment sagen? Du spielst heute Abend eine B3, keinen Nord?
Nein, eine richtige B3. (Auf dem Bild zu sehen ist eine Hammond C3. Anm. d. Redaktion)
Deine eigene?
Nein, die ist gemietet. Früher musste ich mir immer selbst eine besorgen, aber nun stellt man mir alles, was ich anfrage.
Und welche weiteren Keyboards
Moog-Synthesizer.
Den alten Moog von Robert Moog oder die neue Version?
Hier ist es die neue Version, aber ich besitze eine alte.
Ah…, aus den 70ern, den man nur mit einer Hand spielen kann.
Ja, ja, ich habe einen Mini-Moog und einen neuen Moog.
Was sonst noch?
Flügel, E-Piano, Fender-Rhodes. Ich werde einen Flügel spielen und dann die Hammond. Manchmal verwende ich auch ein Hohner Clavinet. Ich benutze in der Show einen Ring-Modulator, Phaseshifter und ein Echoplex. Zu Hause habe ich mehr, ARPs, alles Mögliche.
Und du hast dich direkt in die Hammond verliebt?
Oh, that shit, man! Aber sie funktioniert besser mit russischen Vakuum-Röhren, die haben mehr Power. Sie wurden gemacht, um einen Atomangriff zu überleben, (lacht) was ich auch Jimmy Smith erzählte, der wusste, dass die speziell waren, und mein Tech Bobby baute sie ein – jetzt ist es lauter und klarer.
Ist der Klang einer B3 für dich der ideale Klang?
Ja, wir modifizieren aber auch. Jetzt z. B. für den Sound im Club verändern wir schon mal was. Die Orgel hat viele Sounds. Es ist so: Wenn eine Person eine Orgel spielen will, soll sie in die Kirche gehen. In den Universitäten haben sie klassische Orgeln, richtige Pfeifenorgeln. Es geht aber darum, das Spiel zu erlernen, die Geschichte der Kirchenorgel zu studieren, den Klang, die Stile, die Register, die technischen Begriffe, Stimmgabel. Oft wissen diese Orgelspieler noch nicht mal, was eine Stimmgabel ist.
Du benutzt ja auch die Basspedale? War für dich die Koordination zwischen den Manualen ein Problem?
Nein, nein, weil ich ja schon klassische Orgel studiert hatte. Meine Mutter ließ mich nicht auf der Orgel spielen, bis meine Beine lang genug waren, um an die Basspedale zu kommen. Aber ich spiele wegen des unterschiedlichen Timbres auch mit der linken Hand Bass, Manual-Bass, meistens beim Swingen und Straight-Ahead-Sounds. Aber wenn es um die Ganzheit der Musik geht, speziell bei Balladen, muss man die Pedale nehmen. Ich meine, in Kompositionen für die Orgel, nur für die Basspedale, sind sie für so vielfältige Sounds geeignet – nicht nur Bassnoten, auch höhere Noten, denn sie können mit den Manualen gekoppelt werden.
So, auf dem neuen Album Free For All hast du Basspedale benutzt. Aus Kostengründen?
Nein, weil man die Veränderung und den Klang will. Ich spiele auch mit richtigem Bass, es kommt auf die Art der Musik an.
Es gibt den Kostenfaktor, weil das Piano-Trio in einer Menge Clubs spielt, aber man sich nicht zu viele Leute in der Gruppe leisten kann.
Was sagst du zu den jüngeren Orgelspielern? Siehst du da eine Zukunft?
Die Zukunft macht mir sowieso Sorgen, denn man weiß nie, was auf einen zukommt. Aber Joey de Francesco ist gut, sogar sehr gut. Barbara Dennerlein, hier drüben in Deutschland, sie ist gut. Außerdem muss man Jackie Davis, Bill Doggett oder Fats Waller nennen und natürlich Larry Young.
Aber die meisten jungen Leute spielen die Orgel nicht. Sie haben einen B3-Sound auf der Orgel oder auf dem Keyboard, spielen halt das und bleiben dabei. Aber sie spielen die Orgel nicht richtig, sie spielen nur einen Stil. Es ist gut zu swingen, es ist groovy, aber sie spielen nicht die ganze Bandbreite.
Warum arbeitest du mit zwei Tenor-Saxofonen?
Ich wollte anders sein. Jede Orgel-Band besteht aus Orgel, Gitarre und Drums oder einem Tenor. Aber mit zwei Tenören … Ich sag’s mal so: Leute wie Joe Henderson und Coltrane, die spielen so viel »shit«, (lacht), und da kann man kaum mithalten. Und jetzt hast du zwei von der Sorte, die dann hoffentlich auch dieses Feuer erzeugen. Das ist einfach interessant und lässt die Leute zuhören – die Idee der Veränderung.
Wird der Sound heute Abend vergleichbar mit den Black-Jazz-Sachen sein?
Einige Künstler aus den 70ern, sogar aus den 60ern, reproduzieren ihre Musik live, wie man sie auf den Platten hört, zumindest versuchen sie, es so klingen zu lassen. Aber viele spielen die Songs gar nicht mehr, sie spielen vielleicht ein, zwei Hits. Aber ich habe zwei Alben gemacht, die ein Hit waren. So habe ich gelernt, den Sound zu reproduzieren.
Noch eine Frage zum Üben. Übst du zu Hause, z. B. Orgel, um die Geläufigkeit zu behalten?
Du übst, um alles geschmeidig zu halten. Und wenn du dann erfolgreich wirst – auf welchem Level auch immer du dann bist – und die ganze Zeit arbeitest, dann ist das deine Übung. Wenn du drei, vier, fünf Abende pro Woche spielst, drei bis fünf Stunden pro Abend bzw. Tag, dann ist das dein Üben.
Mit der Fusion-Szene in den 70ern bist du nie so richtig warm geworden. Mit all den Synthezisern hätte das aber doch gut sein können, oder?
Tja, das war mir zu viel … Ich sag mal so: Die Kollegen machen ein Sandwich mit Erdnussbutter und Honig, und sie tun noch dies und jenes drauf … Das braucht man alles nicht! Manchmal nimmt man einfach nur Brot mit Käse, und es ist genug. Es ist wie beim Kochen: Man tut alles Mögliche rein, aber man kann das nicht alles essen. Und die Leute hören zu und »nehmen einen Bissen«. Aber weil die Medien und die Werbemedien sagen: »Das ist das neue Ding!«, wird es dann auch »gegessen«!
Okay, vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast!
Ein klares Bekenntnis zur alten elektromagnetischen Hammond. Nicht nur der Sound ist einzigartig, sondern auch die Haptik. Ein interessanter Artikel mit einem kleinen Schönheitsfehler: Die abgebildete Hammond ist eine C3, in keinem Fall eine B3. Das macht soundmäßig zwar keinen Unterschied, aber die B3 ist optisch ansprechender, sie hat schöne gedrechselte Beine und ist unten offen. Aber Hauptsache Hammond – das ist Kult!