Musiker und Filmkomponist Helmut Zerlett im Interview
Helmut Zerlett ist den meisten als Bandleader und Sidekick der Harald Schmidt Show bekannt. Was viele nicht wissen: Er ist ein erfolgreicher Filmkomponist! Unter anderem hat er die Soundtracks zu den Filmen Der Vorname und Kalte Füße komponiert, die aktuell noch im Kino zu sehen sind. Aber auch in bekannten TV-Serien sind seine Tracks zu hören. Wir haben Helmut in seinem Studio bei sich zu Hause besucht und über seine musikalischen Anfänge, die wilde Zeit der 80er und 90er, die Harald Schmidt Show sowie aktuelle Projekte gesprochen.
Seit 2000 hat Helmut Zerlett sein Studio im eigenen Haus. Bei seinem Umzug 2015 zog das komplette Studio samt Equipment mit ins neue Heim. Dort schreibt er die Musik für bekannte TV-Serien und Filme, wie beispielsweise den Kino-Hit des vergangenen Jahres: Der Vorname.
Die Auswahl an Kreativ-Tools in seiner Regie ist groß: Vintage-Synth wie Oberheim Two Voice, Groove-Box-Legende TR-808 in modifizierter Version, Moog Prodigy, Neuzeit-Klassiker Moog Voyager Signature Edition mit einem originalen Autogramm von Bob Moog und neuerdings auch eine modulare System-55- Wand, gespickt mit Klangerzeugern und Klangverformern von Synth-Werk, Moog, Moon Modular & Co.
»Ich bin erst seit einem Jahr im Modular-Bereich unterwegs«, sagt Helmut. »Ich bin dann aber direkt eingetaucht und habe mir das Rack im Moog-Format besorgt. Das Rack ist immer angestöpselt, und ich verwende es in all meinen Produktionen! Ein Schreiner hat mir den Rahmen aus dem gleichen Holz wie das Original-Moog-Rack nachgebaut. Auch die Perforation auf der Rückseite ist die gleiche. Die Löcher hat er extra von Hand gebohrt! Das Schöne an einem Modular-System ist für mich, dass man es nicht programmieren kann. Man muss den Sound so aufnehmen, wie er gerade ist. Das passt gut zu mir, weil ich gerne was frisches Neues mache.«
Durch seine Arbeit als Band-Leader und Side-Kick in der Harald Schmidt Show hat Helmut Stars wie die beiden Schauspieler Jeff Goldblum (Jurassic Park, Thor) und Nichelle Nicols (Lieutenant Uhura aus Star Trek) oder den Filmkomponisten Ennio Morricone kennengelernt und auch mit ihnen zusammen gespielt. Die Autogramme zieren die Wände seines Studios. »Als ich damals den Soundtrack zu Spiel mir das Lied vom Tod gehört habe, den Morricone geschrieben hatte, wusste ich, dass ich Filmmusik komponieren möchte. Er hat mir praktisch die Lust darangegeben. Dass ich das jetzt auch machen darf, ist ein wahnsinns Geschenk!«
Erzähl doch mal, wie alles begann! Wie hast du angefangen, Musik zu machen?
Das war damals mit meiner Band auf dem Schulhof − alle über eine Farfisa-Box, da war ich 12. Wir wurden zwar von der Schulleitung oft darauf hingewiesen, das nicht zu machen, aber wir haben es trotzdem getan! (lacht) Damals war schon Musikproduzent Stefan Krachten dabei, mit dem ich ja später auch Trance Groove, Dunkelziffer und The Unknown Cases gemacht habe. Richtig professionell wurde es dann mit Food Band. Da durfte ich dann in eine Band mit eigener PA und einem richtigen Tourbus einsteigen. Das war für mich schon was Besonderes! (lacht) Da habe ich ein Fender Rhodes und meinen ARP Odyssey mit einem Oberheim Expander gespielt. Den habe ich mir dann später in Form eines Two-Voice wieder besorgt.
Mit Food Band wurde es dann 1979 also professionell. Für die Aufnahmen waren wir im Roundhouse Studio in London. Wir haben tagsüber aufgenommen, und nachts waren Motorhead dort. Wenn wir morgens reinkamen, waren alle Aschenbecher plattgetrampelt! Es gab auch schon mal ein Loch in der Box. (lacht) Wir haben auch im The Marquee Club, wo Größen wie Jimi Hendrix aufgetreten sind, einen Test-Gig gespielt.
“MODULAR IST NICHT NUR TECHNIK, SONDERN AUCH MAGIE.”
Wir haben zwei Alben zusammen aufgenommen, bevor ich Dunkelziffer gestartet habe und in den New-Wave-Bereich mit wechselnder Besetzung, vielen Trommeln und sehr experimentellen Einflüssen wollte. Zu der Zeit habe ich viel mit Jaki Liebezeit von Can gearbeitet und 1980 mit ihm Phantom Band gegründet. Jaki hat mir beigebracht, dass Musikmachen beim Hören beginnt und das Spielen erst einmal sekundär ist. Er hat uns erst einmal jede westliche Musik verboten; also kein Funk, kein Blues, kein Rock’n’Roll! Alle bekannten Riffs waren tabu! Hier bleibt dir dann erst einmal nicht viel, was du noch spielen kannst. Erlaubt waren Reggae-Einflüsse, das hat nämlich einen Bezug zum rheinländischen Off-Beat. Wir haben extrem viele indische Ragas, nordafrikanische Darbuka-Rhythmen und viele polymetrische Sachen gehört, die man fast nicht mitzählen kann.
Nach Dunkelziffer ist dann 1983 der Ethno-Dancefloor-Track Masimbabele von meiner neuen Band The Unknown Cases − übrigens am Rhein − entstanden. Die Grundlage habe ich allein gemacht, der Rest von Dunkelziffer war dann nachher aber trotzdem als Gastmusiker dabei. Das hat gut funktioniert. Ich bin nicht der Virtuose am Instrument, und nicht der kenntnisreichste Klavierspieler. Aus der Not habe ich dann eine Tugend gemacht und alles aufgeschrieben, was andere spielen sollen. Dabei habe ich gemerkt, dass ich eher Komponist als Musiker bin. Wenn ich dann nur das mache, was ich am liebsten mag, scheint das auch ganz gut zu funktionieren!
Masimbambele war mit 100.000 Verkäufen nach Blue Monday von New Order die meistverkaufte 12-Zoll zu der Zeit. Und das, obwohl der Sänger noch vor dem Release nach einem Gig in Schweden an einer Überdosis Kokain leider gestorben ist. Die Plattenlabel wollten den Track deshalb auch nicht, und Fernsehauftritte waren dadurch natürlich auch schwierig. Die Nummer lief aber in den Clubs hier und auf Ibiza rauf und runter! Durch den tranceartigen Gesang und einen Sequenzer-Beat haben wir praktisch ein neues Genre am Markt platziert. Den Beat habe ich damals von Hand mit meinem ARP Odyssey eingespielt, da ich mir keinen Sequenzer leisten konnte. (lacht)
Wie kam es dazu, dass du Side-Kick und Bandleader bei der Harald Schmidt Show wurdest?
Die Produzenten haben mich bei einer Stadion-Tour von Westernhagen gesehen und meinten, weil ich ab und zu mal den Finger gehoben und bis vier gezählt habe, ich sei der Bandleader. (lacht) Dann haben sie mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, an 200 Tagen im Jahr im Fernsehen zu spielen. Das habe ich dann abgelehnt, weil ich mir gerade mein Studio aufgebaut hatte und dort arbeiten wollte. Sie haben mich dann nach meinen Voraussetzungen und Bedingungen gefragt, zu denen ich es trotzdem machen würde! Ich habe zehn Punkte aufgeschrieben, warum ich diese Show nicht machen kann. Darunter stand, dass ich keine Showcase-Band sein und alles mit einer 303 oder 808 − also technoid − machen möchte und dass ich kein extrem guter Keyboarder bin und auf Zuruf irgendwelche Stücke spielen kann. Ich bin an erster Stelle Komponist und muss mir solche Stücke auch erst mal draufschaffen.
Daraufhin meinten sie, dass sei kein Problem, sie würden mir genug Zeit zum Proben geben. So haben wir dann Stück für Stück alle Punkte abgearbeitet. Als sie dann auch noch mit meinen Gehaltsvorstellungen einverstanden waren, habe ich mir Bedenkzeit erbeten. Ausschlaggebend war dann, dass meine Bandkollegen bei Westernhagen, die alle Briten oder Amerikaner waren, gesagt haben: »Boah, ist doch cool, da kannst du mit Stars und ganz berühmten Künstlern zusammenspielen!« Da dachte ich dann: »Stimmt eigentlich, dann kannst du vielleicht eine neue Art von TV-Musik kreieren.« Das waren von 1995 bis 2014 fast 2.000 Shows.
Mittlerweile schreibst du viel Musik für Film- und TV. Wie kam es dazu?
Anfangs durfte ich für den Kurzfilm Last Trip To Harrisburg von Schauspieler Udo Kier aus dem Jahr 1984 die Musik komponieren, wo er zwei Rollen spielte: eine Frau und einen Soldaten, die sich in einem Bahnabteil gegenübersaßen. Der Dialog stammt aus der Offenbarung Johannes und wurde von Filmproduzent, Regisseur und Schauspieler Rainer Werner Fassbinder gesprochen. Dazu habe ich die Musik gemacht und mich von Public Image inspirieren lassen − das war Weltuntergangsmusik mit massiven, langsamen Beats und wabernden Synth-Flächen. Es war für mich der Knackpunkt zu sagen, ich mache jetzt Filmmusik.
Davor habe ich mir das nicht zugetraut, da ich ja nicht Musik auf einer Hochschule studiert und mit Orchestern gar keine Erfahrung hatte. Ich habe dann aber gemerkt, dass man auch ohne Orchester und als ganz moderner experimenteller Musiker Filmmusik machen kann. Vor ca. 7 Jahren habe ich aber dann doch noch das Orchestrieren bei einem Orchestrator und einem Dirigenten gelernt. Die haben mir beispielsweise gezeigt, wie man Partituren liest, wie die tonalen Bereiche der Instrumente aussehen, wo sie kalt oder warm klingen, wie man sei einsetzen und welche Artikulationsmöglichkeiten sie haben. Das hat mir beim Komponieren für Orchester schon sehr geholfen.
Mit dem Komponieren für Film und TV ging es dann 1995 mit der Schmidt-Show los. Da wurde ich von TV- & Filmproduzent Hermann Joha gefragt, ob ich die Musik für die Action-Serie Der Clown machen möchte. Ich war damals mit ihm im Film Terminator, und danach hat er mich gefragt, ob ich solche Musik auch für die Serie machen könnte. Das war für mich natürlich auch erst mal neu. Aber ich dachte, das bekomm ich irgendwie hin! Danach haben wir neben dem Pilotfilm noch 35 weitere Folgen gemacht. Das war meine Feuerprobe. Die Herausforderung dabei war, die Dramaturgie bei 15-minütigen Verfolgungsjagden aufrecht zu erhalten und stetig zu steigern. (lacht)
“WICHTIG IST, DASS MAN EINEN EIGENEN STYLE HAT!”
Zu deinen letzten Werken gehören die Soundtracks zu den Filmen Der Vorname und Kalte Füße, die beide sehr erfolgreich laufen. Wie sieht die Arbeit an solchen Scores aus? Welche Vorgaben gibt es?
Aktuell produziere ich die Filmmusik zu Berlin Berlin, eine Serie, die in den Nuller-Jahren sehr erfolgreich war und von der es jetzt mit gleichem Cast auch einen Kinofilm geben wird. Das ist für mich eine ziemliche Mamut-Aufgabe, da es ca. 90 Musikeinsätze in vielen verschiedenen Stilen geben soll, von ZZ-Top über House, Techno, Pop, Rock, orchestralen Sachen bis hin zu Ambient oder New Age. In meiner Liste stehen dann der Timecode, die Cue-Points und die Gefühlsstimmung, wie zum Beispiel emotional, atmosphärisch oder treibend-spannend usw. 90 Musikeinsätze bei 90 Minuten Film sind schon eine Menge Holz und kosten Zeit, da man ja, obwohl der Track nur kurz ist, jedes Mal ein neues Setup erstellen muss. Bei einem Country-Song braucht man beispielsweise viele Instrumente wie Mundharmonika, Maultrommel usw. Obwohl der Song dann nur 30 Sekunden dauert, sitzt man wegen der Instrumentierung trotzdem so lange dran wie an einem Dreiminutenstück. An dem Film arbeite ich schon seit drei Wochen, obwohl er noch nicht fertig geschnitten ist.
(Bild: Dirk Heilmann)Ist es dann nicht schwierig, die Tracks an den neuen Schnitt anzupassen?
Es gibt Szenen, zu denen ich komponiert habe, die gibt es gar nicht mehr im Film. Es wurden auch stellen gekürzt, die jetzt rhythmisch einfach nicht mehr passen. Da muss man dann den Beat oder das Tempo anpassen. Bei so viel Musik muss man aber schon im Schnitt anfangen, sonst würde man das zeitlich nicht schaffen!
Produzierst du die Sachen in-the-box mit Software-Instrumenten, oder nimmst du direkt selbst auf?
Die Mock-ups produziere ich hier bei mir, das Orchester wird dann meistens im Studio in Babelsberg aufgenommen. Die sind es gewohnt, auf Klick und auch repetitive Sachen zu spielen. Das kommt schon mal vor, wenn das Orchester nur als Unterstützung im Arrangement dazukommt. Wenn ein anderes Orchester 15 Minuten lang drei Töne pizzicato spielen muss, werden die Musiker oft sauer! (lacht) Das hört man dann auch auf der Aufnahme.
Mischen lasse ich auch in Babelsberg, ich bin die ersten beiden Tage dabei, damit der Engineer weiß, in welche Richtung es geht, und fahre dann nach Hause. Die Mischungen kann ich hier in 5.1 hören und ihm von hier aus Feedback geben.
Für Band-Sachen habe ich meine Musiker in Deutschland verteilt, die für mich ihre Instrumente aufnehmen. Ich schicke denen meine Mischung, die Solo-Spur ihres Instruments aus meinem Arrangement und die Mischung ohne ihr Instrument. Die sollen auch selbst ihren Einfluss mit einbringen, sonst würde es schnell mechanisch klingen.
Ich mache aber auch viel mit meiner Akustikgitarre oder meiner Stratocaster, das klingt beides durch meine Unperfektion lebendig und bringt einen schönen Drive rein. Mit der Mandoline erzeuge ich beispielsweise viele schöne Flächen.
Die Filmografie von Helmut Zerlett
(Bild: Dirk Heilmann)
Die richtigen Leute kennen, heißt das Erfolgsrezept. Helmut alias “Jumpy” kannte halt den Harald Schmidt noch aus alten Kirchenorgelzeiten. Das wars wohl überwiegend. Natürlich ist er ein guter Keyboarder und Musiker, aber viele andere eben auch.
Hallo Rolf,
Ob die beiden sich als alten Kirchenorgelzeiten kennen, darüber hatte Helmut nichts gesagt, wüsste aber auch nicht, warum er es nicht hätte sagen sollen.
Wir hatten nicht den Eindruck, dass an den Gegebenheiten die er erzählte (und die oben stehen) etwas nicht stimmen sollte – wieso auch? Auch wenn man sich aus alten Tagen privat noch kennt, wäre das ja auch ein legitimier Grund auf ein solches Angebot einzugehen.
Lieben Gruß aus der Redaktion.