Semi-modularer Analog-Synthesizer: Moog Grandmother im Test
Von wegen Sommerloch! Zum Höhepunkt der Rekord-Hitzewelle beehrte uns überraschend Oma Moog − Grund genug, kühle Getränke aufzutischen, die Zimmer-PA anzuwerfen und Grandmothers wohligem Timbre zu lauschen …
Die Moog-Familie wächst und gedeiht. Nach Phattys, Muttis und Drummies nun also Granny − wird’s jetzt richtig oldschool, Baby? Der Look spricht dafür! Glücklicherweise ist Grandmother kein Schwergewicht und lässt sich auch bei 31 Grad Studiotemperatur problemlos aus dem Mantel − äh − Karton helfen. Ein vorsichtiger Blick über die Sonnenbrille verscheucht eventuelle Zweifel: richtig schick! Da kann sich so mancher Hightech-Spross was abgucken − irgendwie schön post-retro, die Oma … Verwandtschaftliche Zugehörigkeiten sind zumindest äußerlich kaum zu übersehen: Das schwarze Kunststoffgehäuse weist frappierende Ähnlichkeit mit Moogs Radau-Zwerg Rouge von 1981 auf. Und ein Hauch Sonic Six steckt auch mit drin (wer kennt die Dinger noch?). (Ich!!!; Anm. d. Lektors 🙂 )
Nach der herzlichen Begrüßung ist Grandmother schnell startklar: das Notebook-Netzteil anschließen (schön, dass Grandmother bei größter Studiohitze immer cool bleibt und auch nach langem Betrieb nicht riecht. Nicht schön: Der Stecker am Gerät ist ein Wackelkandidat). Jetzt nur noch Audio-Out (mono) beschalten, Mixer-Knöppe auf 40, und los geht’s!
Die Basics
Alle Klangparameter sind direkt über das aufgeräumte und hübsch retro-bunt gestylte Bedienfeld erreichbar. Regler und Drehschalter erfreuen sich bester Qualität, sind ordentlich verschraubt und vermutlich für die Ewigkeit gemacht. Allein die kleinen Kippschalter können nicht so recht mithalten. Jeder, für den Analog-Synths kein vollkommenes Neuland sind, wird sich bei Grandmother sofort zu Hause fühlen und kann auch ohne die ausführliche (deutschsprachige) Bedienungsanleitung sofort loslegen. Schon nach kurzer Einarbeitung hat man Granny fast blind im Griff.
Was hat Grandmother alles an Bord? Die beiden Oszillatoren bieten je vier Wellenformen, Hard-Sync und PWM. Sie beglücken mit strahlendem Sound und tonnenweise Fundament, sind einwandfrei skaliert und äußerst stimmstabil − also alles in gewohnter Moog-Qualität. Gleiches gilt für das Filter, die Hüllkurve sowie den Modulations-Oszillator. Mit ein paar Handgriffen zaubert man mit eben diesen Modulen massive Bässe, von knallig-tight bis ultratief und voluminös, schneidende (Sync)-Leads oder tackernde Sequencer-Lines. Solche Standards klingen auch bei Grandma absolut »moogisch«, d. h. druckvoll, durchsetzungsfähig und sauber, aber nie leblos oder steril. Die Ergebnisse der Standardmodulationen im Audiobereich (Oszillator- und Filter-FM sowie PWM) klingen sehr schön bissig und präsent. Der Grundsound erscheint dabei eine Spur weicher als der eines Subsequent-Kollegen. Unangenehme »Zahnschmerz«- Frequenzen sind Grandmother grundsätzlich fremd.
Hall aus der Dose
Grandmas Qualitäten offenbaren sich in vollem Umfang, wenn man sich mit den kleinen, feinen »Gimmicks« einlässt, die ihr die Moog- Ingenieure mit auf den Weg gegeben haben. Ein patchbares Hochpass und ein bipolarer Abschwächer sind ebenso wie die zahlreichen Patch-Option an sich höchst willkommene Dinge, um die gebotene Klangpalette ein gutes Stück zu erweitern. Die Patch-Optionen öffnen selbstverständlich auch die Tür zum eventuell schon vorhandenen Eurorack-System.
Ein echter Knaller ist der bordeigene Federhall: Mit perkussiven Sounds grundsätzlich etwas problematisch, sorgt er vor allem in Verbindung mit flächigen, »dronigen« Sounds und langen Decay/Release-Zeiten für höchst erstaunliche Wirkung: Die typisch dumpfe, bisweilen leicht blecherne Federcharakteristik mischt sich hervorragend mit Grandmas kraftvoll-sauberem Grundsound zu einer sehr eigenen und äußerst reizvollen Melange − natürlich total retro, aber sehr schön anzuhören und klanglich überaus stimmig! Ursprünglich tighte Sounds lassen sich unter langsamer Hallzugabe und einigen anderen Echtzeit-Schraubereien wirkungsvoll in spookige Drones und zurück verwandeln − cool! Auch externe Sounds profitieren sehr von der Bearbeitung mit Filter und Federhall. Übrigens ist Grandmothers Halldose vergleichsweise rauscharm. Mit zunehmendem Effektanteil muss man jedoch das leiser werdende Ausgangssignal nachregeln.
Auf den ersten Blick ebenfalls eher unspektakulär, aber nicht weniger wirkungsvoll zeigt sich Grandmothers Arpeggiator/Sequencer. Dieses Modul glänzt mit Minimalausstattung und sorgt für genau eine Sache: Bewegung im Sound. Der Sequencer speichert schrittweise eingespielte Noten. Mit den drei Buttons neben dem Keyboard erzeugt man Pausen, gebundene Noten und Accents − fertig. Bei der Wiedergabe lässt sich die Sequenz in Echtzeit transponieren und die Abspielrichtung ändern bzw. randomisieren. Einziger kleiner Wermutstropfen: Ein paar mehr als drei speicherbare Sequenzen hätte man sich schon gewünscht − zumindest acht, vielleicht via Drehschalter abrufbar.
Simpel und effektiv arbeitet auch der Arpeggiator. Die Funktionalität beschränkt sich hier ebenfalls auf das Wesentliche (Abspielrichtung/Random, Oktavlage, Hold) und zaubert unterhaltsame Klanglandschaften aus Grandmothers eigentlich ja recht simplen Sounds. Vermisst habe ich einen Fußschalter-Anschluss für die Hold-Funktion. Man kann sich zwar mittels MIDI-Controller behelfen − eine dedizierte Buchse wäre jedoch schicker gewesen.
Apropos MIDI: Hier hat Grandma durchweg Standardkost zu bieten. Diverse Global-Settings lassen sich via Shift-Funktion und Keyboard-Tasten bedienen. Da es sich hier um selten benötigte Funktionen handelt, ist das ok.
Fazit
Grandmother punktet durch pures Understatement. Erscheint die Funktionalität zunächst wenig spektakulär, um nicht zu sagen limitiert, sorgt die Summe aller Teile für echte Aha-Erlebnisse. Zunächst einmal wirkt Grandmothers Grundsound äußerst rund und stimmig. Die Klangparameter sind so ausgesucht und skaliert, dass nahezu jede Einstellung einen brauchbaren Sound hergibt. Somit lässt sich Grandmother absolut intuitiv und »gedankenlos« bearbeiten. Zusammen mit dem Arpeggiator/Sequencer wird aus Grandmother ein erstklassiges Live-Instrument mit überraschend variablen Optionen und jederzeit problemlos beherrschbarem Sound. Das Patchfeld erweitert die Klanggestaltungsmöglichkeiten deutlich und erlaubt die problemlose Paarung mit externem (Eurorack-)Equipment.
Darüber hinaus findet man sehr schnell nette Tricks und Überraschungen. So lässt sich etwa der Modulationsoszillator via Gate-In zum Arpeggiator/Sequencer syncen. Wählt man nun eine passende LFO-Frequenz, können rhythmische Variationen, synchronisierte Wobbelbässe oder »Ratcheting«-ähnliche Effekte entstehen, die sich sogar mittels Mod-Wheel steuern lassen.
Der Federhall taucht bei Bedarf alles in stimmungsvollen Klangdunst − oder gar dichten New-Wave-Nebel. Mit Grandmother ließe sich eines von John Carpenters genialen Frühwerken nahezu im Alleingang neu vertonen, ebenso ein Minimal-Wave- oder Ambient Act bestreiten. Abgesehen von ein paar fehlenden Ausstattungsdetails erscheint Moogs Neuer rundum vollständig und stimmig. Und deshalb macht das Teil einfach riesigen Spaß − unbedingte Antest-Empfehlung!
Nach anfänglicher Skepsis finde ich diesen kleinen großen Synthesizer mittlerweile großartig. Er ist schnell einstellbar und Anfängern wie Fortgeschrittenen sehr zu empfehlen. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist fast unschlagbar.