Klangsammler

Blindsmyth spricht über sein Debütalbum Blind

Anzeige
BLINDSMYTH Blind
(Bild: Simon Schmidt, Cosmic Society)

Der Wahlberliner Simon Schmidt aka Blindsmyth sammelt Klänge − und formt daraus musikalische Stimmungsbilder zwischen House und Folk, Ambient und Post-Rock.

Simon Schmidt aka Blindsmyth ist ein Weltenbummler, nicht nur in musikalischer Hinsicht. Ausgestattet mit Gitarre, selbstgebautem Looper und diversen Klangerzeugern von mehr oder weniger exotischer Herkunft reist er durch Europa, Afrika und Asien, immer auf der Suche nach Austausch mit musikalischen Seelenverwandten. Offene Ohren und aufnahmebereiter Fieldrecorder treffen auf spontane Jams, einzigartige Atmos oder ganz schlicht auf ein paar Gitarrenakkorde, die vielleicht eines Tages zum Song heranreifen könnten. Zurück im heimischen Studio, destilliert Simon die Klänge und Beats der großen, weiten Welt zu Songs, Tracks und Atmos, die weniger den Sound an sich, als vielmehr die Stimmung der jeweiligen Aufnahmesituation in sich tragen. Deshalb passt der sowieso etwas schwierige Begriff »Weltmusik« hier so gar nicht ins Bild. Auf dem Debütalbum Blind hört man unverwechselbare Electronica − atmosphärisch dichte Arrangements, gepaart mit dynamischen Beats und hypnotischen, oftmals eigenwillig verfremdeten Vocals. Zum Genuss des Ganzen lädt das heimische Sofa ebenso ein wie der Lieblings-Club zu fortgeschrittener Stunde.

Anzeige

Wir besuchen Simon Schmidt in seinem Berliner Homestudio. Es ist ein echtes »Bedroom-Studio«: Studio, Schlaf- und Wohn-Space ergänzen sich bestens auf wenigen Quadratmetern. Das gesamte Equipment ist so arrangiert, dass es sich mit wenigen Handgriffen reisefertig machen lässt − raus aus dem Studio, rein in die weite Welt der Sounds …

Simon, welche Inspirationsquellen nutzt du bei der Komposition deiner Songs?

Der Großteil meiner Sounds und Songs basiert auf Field-Recordings. Allerdings bearbeite und verfremde ich die Aufnahmen meist recht aufwendig. Die Herkunft ist somit gar nicht mehr wirklich erkennbar. Genau das ist auch so gewollt − die Songs sollen vor allem die Stimmung transportieren, die ich bei der Aufnahme erlebt habe.

DER CONTROLLER-KOFFER IM DETAIL: Ein Novation Launch Pad dient zur Clip-Steuerung von Ableton Live. Die beiden Launch-Controls sind für Effekte und Pegel vorgesehen. Rechts im Koffer befinden sich Delays und Looper von T.C. und Boss für Vocals und akustische Instrumente. Unten schließlich ein Korg Volca Sample, der im Club für straighte Beats sorgt. (Bild: Matthias Fuchs)

Die Field-Recordings bestimmen also eher die Thematik eines Songs?

Richtig. Für Secret Walls habe ich beispielsweise Aufnahmen in einem Weltkriegsbunker gemacht. Eingeflossen in den Song ist nicht nur der Sound dieser Aufnahmen, sondern vor allem die Stimmung, die dieser Ort auf mich ausgeübt hat. Für mich steht dieser Bunker mit seiner erdrückenden Atmo sinnbildlich für versteckte oder beiseite gedrängte Emotionen, und darum geht es in diesem Song.

Welche Quellen nutzt du für deine Field-Recordings? Hast du eine Vorliebe für bestimmte Orte?

Das ist wirklich total unterschiedlich und oftmals sehr spontan. Das kann so etwas Außergewöhnliches wie der genannte Bunker sein, aber auch ebensogut ein Spaziergang mit meiner Freundin im Sommerwald. Zum Konzept gehört es dann, eben nicht nur Vögel und Blätterrauschen in den entsprechenden Song einzubauen, sondern aus diesen Aufnahmen etwas Neues zu kreieren, was meine Stimmung im Sommerwald reflektiert. Meine Recordings sind eigentlich so etwas wie ein Klangtagebuch.

Wie bearbeitest du die Aufnahmen?

Zunächst schneide ich die interessantesten Parts heraus. Und dann nutze ich alles, was Ableton Live und meine Plug-in-Sammlung zu bieten hat. Hoch im Kurs stehen bei mir Pitch-Shifting und Time-Stretching. Und natürlich irgendwelche mehr oder weniger verrückten Effekte. Delay- und Granular-Plug-ins mag ich, aber auch etwa den Soundtoys Decapitator mit seinen tollen Sättigungseffekten. Meine Hall-Geheimwaffe ist Michael Norris Spectral-Freezing − ein wirklich toller Freeware-Effekthall auf Granular-Basis.

Bearbeitete Parts bounce ich oft und baue sie zunächst in ein vorläufiges Arrangement ein, um sie dann weiter zu bearbeiten − bis es für mich passt. Wie schon erwähnt, wird der ursprüngliche Klang bisweilen extrem verändert. Wichtig ist mir, dass die Sounds dabei aber ihre gewünschte Wirkung − oder wenn man so will: ihre Aussage − beibehalten. Das ist natürlich eine sehr subjektive Angelegenheit, und das soll es auch sein.

BLINDSMYTH Blind
SCHRÄG: Simons selbstgebauter Looper ist in einer Tupperdose untergebracht und kann mit Batterie betrieben werden. Im Innenleben stecken ein Axoloti Microcontroller mit Audio In- und Outs und MIDI sowie ein kleiner Amp. Zur Steuerung dient auch hier ein Novation Launch Control. (Bild: Matthias Fuchs)

Nutzt du als Klangquellen ausschließlich Recordings bzw. Samples?

Nicht ausschließlich, aber sehr viel. Neben den Field-Recordings, die ja meist eher Atmos sind, nehme ich auch gerne Instrumental-Loops auf. Das kann eine Mülltonne sein, auf der ich herum trommele oder irgendwelche akustischen Instrumente − meist Gitarre, Piano oder auch Blasinstrumente. Solche live eingespielten Parts geben der Musik einen sehr natürlichen Groove. Der lässt sich nicht wirklich programmieren.

Du reist sehr viel?

Ja, und habe immer meinen selbstgebauten Looper und das eine oder andere akustische Instrument im Rucksack. Wann immer möglich, jamme ich mit anderen Musikern − am Strand oder Gott weiß wo. Das ist unglaublich interessant und inspirierend! Auch bei solchen Jams lasse ich den Field-Recorder mitlaufen und baue die Aufnahmen später in meine Songs ein.

BLINDSMYTH Blind
Simon unterwegs in Marokko (Bild: Simon Schmidt, Cosmic Society)

Wie bearbeitest du Loops?

Solche Loops bearbeite ich entweder ähnlich wie Field-Recodings oder mache daraus − besonders bei Percussion − Einzelsounds. Letztere lade ich in Lives Sampler und verwende sie, um damit Loops zu doppeln. Und damit wären wir bei den Synthies: Auch die nutze ich gerne, um Sample-basiertes Material zu doppeln bzw. zu stacken. Besonders relativ einfache Sounds aus Operator nutze ich gerne, um Frequenzbereiche auszufüllen, die im Sample-Material fehlen.

Wann kommt der Gesang hinzu?

Meist passieren die Sounds und die Vocals parallel, und beides entwickelt sich miteinander zu einem Song. Wie lange hast du an Blind gearbeitet? Im Ganzen fast vier Jahre. Die ersten Ideen sind noch während meines Musikstudiums in Groningen entstanden. Das war allerdings noch sehr fragmentarisch. Später hier in Berlin wurde die Sache langsam, aber sicher strukturierter.

BLINDSMYTH Blind
SIMON AM XAPHOON Exotische Instrumente wie dieses Holzblasinstrument aus Bambus stecken in zahlreichen Songs. Ein Shure SM58 ist Simons Lieblings-Mikro für den Live-Einsatz. (Bild: Simon Schmidt, Cosmic Society)

Wie setzt du deine Songs auf der Bühne um?

Aktuell splitte ich die Songs in vier Ableton-Spuren auf: Kick, Percussion, tieffrequente Sachen, also Bässe usw. sowie melodische Elemente. Diese vier Spuren liefern ein Playback, das ich aber live variieren kann. Dazu habe ich Levels und einige Effekte (meist Filter, Delay, Reverb) auf einen Controller gelegt und kann auch die Clip-Abfolge verändern. Der Korg Volca-Sampler steuert mit einem geraden Vierer-Beat das Club-Element bei. Dazu singe ich und spiele akustische Instrumente. Auch diese Signale kann ich spontan mit Effekten bearbeiten.

Ich habe also reichlich zu tun, und das Publikum kann ein gutes Stück weit mein Tun nachvollziehen. Es macht riesig Spaß, die Album-Songs live in Club-Tracks zu verwandeln und dabei immer wieder etwas zu variieren.

 

BLINDSMYTH
Der Wahlberliner Simon Schmidt aka Blindsmyth hat in der jüngsten Vergangenheit besonders durch seine überzeugenden Live-Auftritte auf sich aufmerksam machen können: Ausgestattet mit Laptop und zahlreichen Controllern, exotischen Akustikinstrumenten und nicht zuletzt dank der unverwechselbaren Vocals gleicht kein Gig dem anderen. Das Debütalbum Blind verbindet Fieldrecordings, Weltmusik-Eindrücke und Club-Elemente zu zehn stimmungsvollen Tracks mit Suchtfaktor. Blind erschien Februar 2018 bei Cosmic Society.

Mehr Infos unter: cosmicsociety.de/

BLINDSMYTH Blind

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.