Virtuose und Soundtüftler

Jordan Rudess – Keyboarder bei Dream Theater

Anzeige
Jordan Rudess Dream Theater
“Auf der jetzigen Tour spielen wir jeden Abend ein anderes Set.” (Bild: Markus Erdmann)

Jordan Rudess spielt Keyboards in einer Hardrock-Band. In den vergangenen 15 Jahren hat er einige Scheiben mit illustren Mitmusikern aufgenommen und maßgeblich den Sound von Dream Theater geprägt. Während der Europa-Tour trafen wir einen gut aufgelegten Jordan Rudess vor dem Auftritt in der Arena in Oberhausen.

Es begann mit einem Zufall. In der Grundschule entdeckte ein Lehrer seine Fähigkeiten und bat seine Eltern, sich um eine entsprechende Förderung des jungen Talents zu kümmern, die nicht lange zögerten und ein Klavier nebst Lehrerin anschafften. Innerhalb eines Jahres lernte Rudess die Grundlagen des Klavierspiels, der Harmonielehre und der Rhythmik und wurde auf die Juliard-Musikschule in New York vorbereitet, die er ab dem neunten Lebensjahr besuchte. Der Lehrplan umfasst vor allem klassische Stücke, deren Einflüsse man immer wieder in seinem Spiel findet.

Anzeige

Nach neun Jahren verließ Rudess den Weg der sich andeutenden Klassik-Karriere und befasste sich mit Popmusik und Synthesizern und deren Ausdrucksmöglichkeiten.

Die ersten Engagements in Amateur-Bands ließen nicht lange auf sich warten, und gegen Ende der Pubertät begann Rudess mit der progressiven Mischung von hartem Rock und Jazz.

Die erste Platte war wenig erfolgreich, aber ein Anruf vom damals sehr angesagten Gitarren-Virtuosen Vinnie Moore war der Eintritt in die Welt der großen amerikanischen Musiker, und Rudess nahm 1988 eine Platte mit Moore auf.

Parallel dazu begann Jordan Rudess für Korg zu arbeiten und deren Synthesizer auf Messen und Ausstellungen vorzuführen, wo er auch regen Kontakt mit KEYBOARDS-Autor John Bowen hatte.

Für eine Zeit spielte er bei Jan Hammer mit Fernando Saunders und Tony Williams und kam so zum ersten Mal nach Europa.

Nach seinem ersten Soloalbum kürten ihn die Leser des amerikanischen Magazins Keyboard 1994 zum „Best New Talent“ und hoben ihn gleichzeitig in der Kategorie „Overall Best Keyboardist“ auf den zweiten Platz hinter Keith Emerson.

Dadurch aufmerksam geworden, nahm Dream Theater erstmals Kontakt auf, denn der damalige Keyboarder Kevin Moore hatte nach dem „Awake“-Album die Band verlassen. Doch Jordan Rudess entschied sich, zunächst mit den Dixie Dregs, einer Band mit Steve Morse an der Gitarre und Rod Morgenstein an den Drums, auf Tournee zu gehen und sagte Dream Theater schweren Herzens nach einem gemeinsamen Konzert ab, zumal er in dieser Zeit zusätzlich für Kurzweil arbeitete und schon einige Studiojobs hatte. Dabei ergab sich die Zusammenarbeit mit Rod Morgenstein und in den nächsten Jahren spielte Rudess im Rudess/Morgenstein-Projekt. Nach einem Anruf von Magna Carta Records stieg Rudess beim Liquid Tension Experiment Project ein, ein Baby von DT-Drummer Mike Portnoy, in dem auch DT-Gitarrist John Petrucci und Bassist Tony Levin spielten.

Nach zwei Alben prächtiger Zusammenarbeit wurde Rudess 1999 Keyboarder von Dream Theater.

KEYBOARDS: Haben Sie musikalische Vorbilder?

Rudess: Natürlich haben mich die Klassiker wie Bach, Beethoven und Chopin stark beeinflusst, aber auch einige Rock-Keyboarder. Neben Keith Emerson und Rick Wakeman waren es Patrick Moraz und Jan Hammer, die ich cool fand. Patrick hat damals wilde Sachen mit dem Minimoog gemacht, und ich wollte das auch können und kaufte mir deshalb einen.

Ich habe immer viel Musik gehört und so gelernt, wie man Rock spielt. Mein Ziel war es aber nie, genauso zu klingen wie eines meiner Vorbilder. Ich wollte rauskriegen, welche Harmonien und Sounds sie benutzen, um so zu klingen. Ich hatte nie die Zeit und Lust, mich stundenlang mit dem Kopieren von Solos zu beschäftigen. Mir ging es eher um den Zusammenhang.

Als ich dann anfing, eigene Musik zu schreiben, habe ich viele technische Sachen ausprobiert. Wenn Keith Emerson mit Quarten und verminderten Akkorden spielte, versuchte ich das auch in meine Musik einzubauen. Ich habe dann geübt, von jeder Note verminderte Akkorde in jeder Lage zu spielen und dieses Wissen hilft heute oft weiter (Jordan Rudess demonstriert verschiedene Akkordlagen auf einem imaginären Keyboard). Als ich in ein paar Cover-Bands spielte, musste ich mir dann doch einige Stücke komplett draufschaffen.

Was benutzen Sie für ein Live-Setup?

Rudess: Als Haupt-Keyboard ein Kurzweil K2600 XS, das auf einem speziellen Keyboard-Stativ ruht. Das ist drehbar, und ich kann während der Show meine Position ständig verändern. Mit dem K2600 steuere ich zwei K2600 Rack-Module an, zwei Korg Triton Racks mit den ganzen Erweiterungskarten. Seit neuestem nutze ich auch einen Korg KARMA. Den nutze ich aber weniger wegen seiner Pattern-Möglichkeiten, sondern weil ich die Sounds sehr mag. Die beiden doppelten Geräte sind aber nur für den Fall eines Ausfalls da. Alle Kurzweils sind mit 128 MB RAM ausgestattet, obwohl ich mir manchmal noch mehr Speicher wünschen würde. Die ganzen Ausgänge gehen auf einen Mackie 1604 VLZ Pro und können noch mit einem dbx DDP [Dynamik-Prozessor] bearbeitet werden.

Die ganzen Sounds, die ich während der Songs brauche, sind in Patches mit allen Tastatur-Splits verteilt, die ich mit einem Fußschalter durchschalten kann. Das ist eine einfache Art, das ganze Setup im Griff zu halten, ohne sich hinter riesigen Keyboard-Burgen verstecken und zwischen denen hin und her springen zu müssen. So mag ich das einfach lieber.

Und welcher ist Ihr Lieblings-Synthesizer?

Rudess: Das ist schon der K2600, denn den kenne ich einfach am besten.

Haben Sie schon mal an einen Laptop auf der Bühne gedacht?

Rudess: Nein, eigentlich noch nicht. Ich habe zwar einen Titanium (Notebook von Apple), aber das setze ich eher im Studio ein. Irgendwann wird das aber mal kommen.

Welches Equipment setzen Sie im Studio ein?

Rudess: Ich benutze eigentlich die gleichen Sachen, die ich auch auf der Bühne habe. Zusätzlich setze ich weitere Korg- und KurzweilSynths ein, eine Wavestation, einen MiniMoog, und noch ein paar Instrumente. Für die Klaviersachen habe ich einen Steinway und die Hammond-Geschichten spiele ich mit einer B3.

Als Sequenzer benutze ich Performer von Motu – mit denen habe ich ein Endorsement – auf einem Apple Titanium. Da ist ein Motu 828 Firewire Interface und ein Timepiece AV dran.

Wenn wir die Basic-Tracks im Studio aufgenommen haben, überspiele ich mir die in mein System und arbeite meine Sachen mit MIDI aus und überspiele sie dann wieder zurück.

Jordan Rudess Dream Theater
(Bild: Markus Erdmann)

Spielen Sie im Studio auch mit virtuellen Instrumenten?

Rudess: Nein, bis jetzt eigentlich gar nicht, obwohl ich mich ziemlich dafür interessiere. Da gibt es doch dieses irre Synth-Baukasten-Programm von den Jungs, die auch diesen Absynth-Synthesizer machen. Wie heißt das denn noch mal?

Meinen Sie Reaktor?

Rudess: Ja, genau das. Da werde ich mich bald mal mit beschäftigen. Irgendwann wird wohl mein ganzes Setup nur noch vom Computer berechnet. Ich würde mich auch für einen Software-Sampler interessieren, aber das ist nicht so einfach, weil ich die meisten Sounds im Kurzweil-Format habe. Wenn ich das alles von Hand konvertieren müsste, würde ich ja irre. Auch die ganzen anderen Patches müsste ich dann von Hand auf die virtuellen Klangerzeuger anpassen (verdreht die Augen und stöhnt).

Machen Sie Ihre Sound eigentlich selber, oder greifen Sie auf die Presets zurück?

Rudess: Sounds mache ich nach Möglichkeit schon selbst oder verändere die Presets. Auf der jetzigen Tour spielen wir jeden Abend ein anderes Set, und da ist das Wissen schon ziemlich hilfreich, denn ich muss die kompletten Patches neu organisieren. Das ist eine Heidenarbeit.

Die Verschaltung ist auch Ihr Werk?

Rudess: Das macht zum Glück mein Techniker. Darum muss ich mich nicht kümmern. Hätte ich aber auch kaum Zeit zu, glaube ich. Ich bin immer froh, wenn ich nach dem Soundcheck meine Patches in die richtige Reihenfolge kriege und ansonsten einfach auf die Bühne gehen kann und weiß, dass alles läuft.

Wie läuft das Monitoring?

Rudess: Machen wir komplett mit In-Ear, und das ist sehr angenehm. Auf der letzten Tour hatten wir noch konventionelles Monitoring, und das ist eben bei einer Rockband schon sehr laut. In-Ear ist da wesentlich komfortabler und Ohren-schonender, und außerdem ist es Stereo. Der Sound ist total fett und rockig.

Mit welchen Problemen haben Sie auf der Bühne zu kämpfen?

Rudess: Erstaunlicherweise gibt es fast nie Probleme. Die Geräte sind ja bestens verkabelt und in stoßsicheren Racks aufbewahrt. Für den Fall der Fälle stehen ja auch noch die Ersatzgeräte bereit. Da kann also eigentlich nicht viel passieren, wenn man gute Vorarbeit geleistet hat.

Gibt es irgendwelche Tipps fürs Live-Spielen?

Rudess: Was mir immer sehr hilft, ist möglichst viele Informationen auf meinen Displays zu haben. Über kurz oder lang wird da der Computer sicher eine große Hilfe werden. Ich würde mir für mich sogar wünschen, wenn über den Tasten angezeigt würde, was im jeweiligen Tastaturbereich innerhalb eines Patches passiert. Da wüsste man sofort, welche Samples man wohin gelegt hat. Wenn das mal jemand baut, könnte der bitte auch direkt noch die Belegung der Slider und Controller sichtbar machen. Das kostest zwar sicher eine Menge Geld, aber vielleicht findet irgendjemand da ja einen neue Lösung. Als Keyboarder muss man sich ja nicht nur den kompletten Ablauf der Songs merken, sondern auch noch welche Sounds wann umgeschaltet werden müssen und wie die Splits sind und einiges mehr noch. Man sollte zumindest versuchen, schon jetzt so viele optische Informationen zu nutzen, wie es eben geht.

Ist es nicht schwer, als Keyboarder seine Rolle in einer Gitarren-lastigen Rockband zu definieren?

Rudess: Würde ich in diesem Fall nicht sagen. Dream Theater ist zwar von Johns Gitarre beeinflusst, aber die Jungs sind alle exzellente Musiker und offen für Keyboard-Sounds und interessante Atmosphären. Ich kann zwar nicht immer das machen, was ich machen könnte oder will, aber andererseits ist das eine wirklich gute Band, und ich kann meine Popularität für meine Soloscheiben nutzen. Da kann ich dann all die Musik ausleben, die in mir ist – Dream Theater ist also das Medium für mich, das zu transportieren. Ich liebe beides, und auf unserem neuen Konzeptalbum „Six Degrees of Inner Turbulence“ war meine Rolle schon um einiges größer. Die ganzen Orchestrierungen haben schon mächtig Spaß gemacht. Da zeigt sich die Entwicklung von Dream Theater. Wir sind ein bisschen weg von den sehr harten Sachen und Keyboard-lastiger geworden.

Lieben Sie es, auf Tour zu sein?

Rudess: Irgendwie schon. Wir haben das bei Dream Theater so organisiert, dass wir immer vier bis sechs Wochen spielen und dann für zwei Wochen nach Hause fliegen. Ich bin jetzt 13 Jahre verheiratet und habe zwei Töchter, und die will ich schon ab und zu sehen. Das ist dann mit diesem Rhythmus eine schöne Abwechslung.

Haben Sie einen großen Einfluss auf die Musik von Dream Theater?

Rudess: Ja, kann man sagen. Die Jungs haben mich ja angeheuert, weil sie jemanden suchten, der auf ihrem Level spielt und mit dem sie sich gut fühlen. Sie mögen meine Kompositionen, meinen Stil, meine Technik und meine Verrücktheit. Natürlich muss man aufpassen, wenn man neue Elemente einfügt, dass am Ende immer noch Dream Theater aus dem Lautsprecher kommt. Nachdem wir uns am Anfang im Studio beschnuppert hatten, habe ich den Jungs meine Ideen vorgespielt, die ich im Sequenzer vorbereitet hatte, und wir haben einige Sachen weiter ausgearbeitet und andere wieder verworfen. Bei „Dance of Eternity“ habe ich das Thema genommen und in einem Ragtime-Feeling gespielt. Alle lachten, und dann haben wir das genommen.

Ihr musikalischer Wunschtraum?

Rudess: Ich wünsche mir, weiterhin auch meine eigene Musik spielen zu können. Wenn ich wieder ein Soloalbum machen kann und eine Plattenfirma hinter mir habe, die mich unterstützt, bin ich schon ziemlich glücklich. Ich würde das gerne immer besser machen und noch mehr Leute dafür begeistern. Ein anderer Wunsch ist, Filmmusiken zu schreiben, denn ich glaube, dass Teile meiner Musik schon jetzt für diese Sparte geeignet sind.

Haben die Ereignisse des 11. Septembers einen Einfluss auf Ihre Musik oder Ihr Leben?

Rudess: Ich kann das, wie fast alle, noch immer nicht fassen. Alle sind irgendwie ausgeflippt und stehen richtig unter Druck, und auch ich fühle mich so. Es war so schockierend, und ich wusste zuerst gar nicht, was ich tun könnte. Ich lebe in New York, und es ist sozusagen direkt vor meiner Haustür geschehen, und ich suchte etwas, um auch helfen zu können. Ich habe am 24. September ein Solokonzert für Klavier gegeben, um Geld für die Opfer und das Rote Kreuz zu sammeln. Es hat mir ein wenig geholfen, wenigstens etwas tun zu können und das Geld zu sammeln. Ich werde zusätzlich ein Album von diesem Abend herausbringen.

Hat sich für Sie etwas geändert nach diesen Anschlägen? Haben Sie Angst vorm Fliegen?

Rudess: Ja, habe ich schon. Es ist eben ein mulmiges Gefühl. Aber ich muss fliegen, denn sonst wäre ich jetzt nicht hier. Man hat leider keine Alternativen.

Empfinden Sie Hass auf die Attentäter und die Verantwortlichen?

Rudess: Ich fühle eigentlich keinen Hass, es ist mehr das Unvermögen, zu verstehen, dass Menschen zu solchen Taten fähig sind. Das ist mir so fremd und widerspricht meiner Einstellung. Ich denke darüber nach, denn es ist in meinem Leben und es ist in meiner direkten Nähe passiert, und dennoch ist es wiederum weit weg von mir und ich kann es nicht nachvollziehen. Man muss halt schauen, dass das Leben irgendwie weitergeht.

Finden Sie die Politik Ihres Landes zur Terrorbekämpfung in Ordnung?

Rudess: Ich bin kein Politiker oder politischer Mensch. Irgendwie weiß ich es nicht, ehrlich. Die ganze Geschichte ist mir so fremd. Bomben und Krieg – diese Sachen spielen eigentlich keine Rolle in meinem Leben. Ich weiß, dass die Welt leider viel zu häufig so funktioniert, aber ich finde es trotzdem nicht gut. Andererseits ist die Situation so verwickelt, dass man auch anders darüber denken kann, aber ich habe da keine Lösung parat. Vielleicht sollte man Rosen zu den Menschen schicken und versuchen, nett zu sein und die Probleme auf eine andere Art zu lösen. Ich versuche das für mich auch, und wenn man selber nett ist, sind es die meisten Menschen auch zu einem selbst. Ob es aber reicht, in so einer komplizierten Weltlage nur nett zu sein? Die Leute in der Regierung werden sicher versuchen, ihr Bestes zu geben und ich hoffe und bete, dass es das Richtige ist, was sie tun.

Wir danken für das Gespräch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.