Interview mit Folkmusikerin Lucy Rose
Was tut man, wenn das Major-Label den Plattenvertrag auslaufen lässt, weil die eigene Musik zu individuell, zu persönlich und zu unangepasst ist? Man könnte alles hinschmeißen oder krampfhaft versuchen, es dem nächsten Produzenten recht zu machen. Oder man entscheidet sich für einen komplett eigenen Weg, von dem einen die meisten Profis in der Musikszene abraten würden. Die Folkmusikerin Lucy Rose Parton hat ihn eingeschlagen − mit Erfolg!
Der neue Albumtitel Something’s Changing ist demzufolge nicht nur programmatisch gemeint, sondern ist auch Ausdruck eines Prozesses, der eine Menge an Selbstreflexion mit sich bringt. Dazu ist es das direkte Ergebnis einer Reise, die Lucy Rose nicht nur nach Südamerika, sondern auch vermehrt zu sich selbst führte. Wir trafen uns mit der sympathischen Britin anlässlich eines Konzerts im Kölner Stadtgarten und sprachen mit ihr über sich ändernde Blickwinkel und die Kunst, ehrlich zu sich selbst und zu anderen zu sein.
Lucy, du bist in letzter Zeit viel gereist. Welchen Einfluss hat dies auf deine Musik gehabt?
Das Reisen hat einen enormen Einfluss auf mein aktuelles Album gehabt. Es war eine Erfahrung, die mich wirklich sehr inspiriert hat.
Bist du ein Reisetyp?
Im Sinne von Rucksackreisen oder Urlaub eigentlich nicht so … Unterwegs sein war bei mir vorher eigentlich immer mit Musikmachen verbunden. Ich bin, wenn ich genau drüber nachdenke, eigentlich die letzten zehn Jahre nur auf Tour gewesen. Das ist etwas, was man entweder hasst oder liebt. Ich liebe es. Wenn ich unterwegs bin, habe ich aber auch gerne Heimweh und genieße es dann, irgendwann auch wieder nach Hause zu kommen. Sich auch einfach mal daheim auf die Couch zu legen und ein Buch zu lesen ist unbezahlbar. Je länger ich zu Hause bin, desto schwieriger fällt es mir, wieder zu gehen.
Aktuell sind wir in einer der intensivsten Tour- und Reisephasen, die wir jemals hatten, und dann ist die Vorstellung loszufahren oft schlimmer, als es dann letztlich einfach zu tun.
“Es geht mir nicht darum nett zu sein, sondern einfach menschlich.”
Wie hat sich deine Art, Musik zu schreiben, durch deine Reise nach Südamerika verändert?
Ich glaube, es sind die Menschen, die ich auf dieser Reise getroffen habe, die etwas in mir verändert haben. Es sind diese ganzen neuen Begegnungen weltweit, aus denen man Inspiration schöpft, und natürlich die unterschiedlichen Sofas, auf denen man übernachtet.
Ich habe so lange nur Gigs in UK und Europa gespielt, bis ich irgendwann den Eindruck hatte, dass ich und meine Gitarre dem Publikum nicht mehr genug sind, dass es irgendwie nicht ausreicht. Einer der Ratschläge, die ich immer wieder bekam, war: »Du brauchst eine Band, du musst wachsen!« Einer der Hauptaspekte der Reise war schließlich, dass es dort nur mich und meine Gitarre geben wird.
Überraschenderweise habe ich in meinem Leben noch nie soviel Zuspruch vom Publikum bekommen wie auf dieser Reise − und das Ganze komplett ohne Lightshows und Glamour. Das Spannende bei all diesen Konzerten auf kleinstem Raum, auf Parkplätzen und in Wohnzimmern war, dass mir immer bewusster geworden ist, wie sich das eigentlich anfühlt, ich zu sein. Auf einmal waren meine Gitarre und ich genug!
Das klingt nach einem existenziellen Perspektivwechsel.
Diese Simplizität stand auf einmal komplett im Kontrast zu dem Aufwand, den es bisher immer erforderte, ein Konzert zu planen. Es stellte sich nicht die Frage, ob man sich Flugtickets für die Band leisten kann oder wie man die Logistik zum Gig organisieren muss. Du wirst einfach gefragt, ob du spielen willst, und du sagst: Ja! Einfach irgendwo hinfahren, spielen und damit Menschen glücklich machen, das hat mir wirklich unglaublich viel gegeben.
Wie sah denn die ungefähre Planung aus? Wie hast du entschieden, wann du wo spielen und übernachten wirst?
Die Entscheidung, nach Südamerika zu reisen, ist ja bereits aus dem Gefühl erwachsen, dass ich anscheinend dort weitaus mehr Fans als in Europa hatte. Nachdem ich diesen Entschluss gefasst hatte, habe ich auf meiner Website einen Post veröffentlicht, um meine Reise anzukündigen. Ich schrieb, dass, wenn sie ein Konzert mit mir veranstalten möchten und mir eine dazu passende Couch zum Übernachten anbieten können, ich auf meiner Route bei ihnen vorbeikomme.
Ich habe dieses Konzept im Übrigen für zukünftige Tourrouten nun professionalisiert. Für Konzerte im kommenden Jahr kann man sich mit seiner Stadt auf einer eigenen Website bewerben. Anschließend können die Fans dann abstimmen, wo ich auftreten soll − so komme ich automatisch dorthin, wo die meisten Fans auf mich warten.
Angeführt wird die Liste im Moment übrigens von Kuching in Malaysia. Um ehrlich zu sein, habe ich vorher noch nie von diesem Ort gehört, aber offensichtlich habe ich dort mehr Fans als irgendwo sonst auf der Welt. Das ist wirklich verrückt. Wir werden dort im Januar spielen, und dann folgen noch jede Menge andere coole Locations.
Das ist eine wirklich neue Herangehensweise!
Ja, und es nimmt einem eine Menge von dem Stress, den man sonst mit Orten hat, an denen man bemüht ist, eine Fanbase aufzubauen. Gewöhnlich ist es ja doch eher so, dass man weiß: Ok, heute spielen wir in Köln. Wie viele Fans haben wir dort, haben wir überhaupt welche? Wieviele Tickets wurden bisher verkauft? Irgendwann habe ich mich dann gefragt: Warum spielen wir nicht einfach an Orten, an denen wir Fans haben?
Kommt man so mit Menschen auch noch viel leichter und direkter in Kontakt?
Ich stehe mittlerweile mit einer Vielzahl meiner Fans in persönlichem Kontakt. Irgendwie konnte ich mir eigentlich auch nie so richtig vorstellen, dass ich einen Eindruck bei Menschen hinterlasse, denn ich halte mich nicht wirklich für eine erfolgreiche Musikerin; noch dazu mache ich Folk, also echte Nischenmusik. Ich bin keinem breiten Publikum bekannt, aber ich habe trotzdem Glück, denn all denen, die mich kennen, bedeutet meine Musik wirklich etwas. Beziehungen zu Menschen bedeuten mir wiederum mittlerweile noch viel mehr, denn es geht mir heute nur noch um Qualität, nicht Quantität.
Gestern in Paris zum Beispiel, da stand eine Frau bereits um 17 Uhr vor dem Laden, in dem ich auftrat. Ich habe sie zum Abendessen eingeladen. Wenn jemand so offen zeigt, wie viel ihm das, was ich mache, bedeutet, habe ich wirklich das Bedürfnis, mich dafür zu revanchieren. Es geht mir dabei nicht darum, nett zu sein, sondern einfach menschlich. Mir kommt es manchmal so vor, als wäre das Leben so verdammt kompliziert geworden, dabei kann es so einfach sein.
So gesehen kannst du dich glücklich schätzen in deiner Nische, dass sie dir so etwas ermöglichen kann.
Wenn man so will, ist das einer der Silberstreifen am Horizont, wenn man unbekannt ist − zu einem gewissen Grad. (lacht) Darüber hinaus habe ich durch Gespräche mit meinen Fans schon so viel über mich und meine Musik gelernt. Wenn du beim Abendessen hörst, wie sehr einer deiner Songs einen Menschen in einer bestimmten Phase seines Lebens begleitet hat, dann berührt mich das tief.
Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass das, was die Menschen an meiner Musik schätzen, und das, was die Plattenindustrie sich für Künstler vorstellt, gar nicht mehr weiter auseinanderliegen könnte. Wir leben heutzutage viel zu oft in diesen von der Industrie gestalteten Blasen, von denen wir glauben, dass sie uns einen Eindruck davon vermitteln, wie Musik und Künstler zu sein haben und was erfolgreich ist. Die Musik, die ich machen möchte, ist nicht nur Folk, sondern meiner Meinung nach auch eine Musik, die wirklich was bedeutet. Die Plattenfirma sagte mir, dass das etwas ist, was niemand hören will, aber nun mache ich eine komplett gegenteilige Erfahrung.
Würde ich meine aktuelle Platte einem Major-Label schicken, wüssten die überhaupt gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Das passt einfach nirgendwo ins Raster.
Die Musikindustrie geht heutzutage eben gerne auf Nummer sicher, und das bedeutet, ein Künstler muss anpassungsfähig und das Produkt gefällig und wirtschaftlich effizient sein.
Da liegt auch für mich das Problem. Wenn es nach Plattenfirmen und Produzenten geht, darf die Musik gerne ein wenig einfacher und kompatibler sein. Für mich ist die Vorstellung ein Albtraum, dass jemand meine Musik, statt sie zu lieben oder zu hassen, einfach nur Ok finden könnte. Ehrlich gesagt, finde ich es total super, wenn mir jemand ins Gesicht sagt, dass er Folkmusik hasst, denn hey, wie super: Genau diese Musik mache ich!
Wer hat dich inspiriert, genau diese Musik zu machen?
Stark beeinflusst hat mich auf jeden Fall Joni Mitchell − und das nicht nur musikalisch. Mich hat vor allem auch beeindruckt, dass sie aus ihren eigenen Fehlern nie einen großen Hehl gemacht hat. Es macht den Eindruck, als wäre sie im Leben und in ihrer Musik immer super echt gewesen. Sie hat nicht versucht, dem Publikum zu gefallen, sie hat einfach ihr Ding gemacht. Ich versuche, mir das immer vor Augen zu führen, wenn ich mal wieder an mir zweifele, ob ich nicht dieses oder jenes vielleicht hätte besser machen können oder ob ich im letzten Interview vielleicht wieder zu unsicher rübergekommen bin. Wann immer ich mich frage, was Menschen gerade von mir halten oder erwarten, denke ich an sie und komme zu dem Schluss, dass ich mich das gar nicht erst fragen sollte.
Ich denke, dass es bereits eine große Leistung ist, wenn man es schafft, eine Bühne als der Mensch zu verlassen, als welcher man sie betreten hat. Ja, das ist etwas richtig Großes. So viele Leute im Leben geben dir den klugen Rat, dass du doch einfach nur du selbst sein musst. Aber niemand sagt dir, wie das wirklich gehen soll. Wenn man sich die Cover der Magazine und die Werbung mit diesen ganzen perfekten Menschen anschaut, die dir alle suggerieren, dass du auf dem Weg zum Erfolg einfach du selbst sein kannst, da denkt man doch: What the fuck …
Ich habe jetzt in den vergangenen Jahren so lang und hart an mir und meiner Musik gearbeitet, und heute Abend spiele ich hier in Köln für etwa 200 Leute. Und ein Grund, warum ich immer wieder an mir zweifele, ist diese Welt, die eben so konstruiert zu sein scheint, dass sie mich beständig ermahnt, dass das nicht gut genug ist und dass ich versage!
Auf der anderen Seite schaue ich in die Gesichter der Menschen, die meine Konzerte besuchen, und das ist einfach unbeschreiblich. Ich glaube, es ist genau dieses Wechselbad aus »Ups & Downs«, das es manchmal so schwierig macht, an sich selbst festzuhalten. Wenn du dein superschäbiges, aber billiges Hotelzimmer mit Bettwanzen teilst, fragst du dich schon, ob das jetzt alles wirklich so der richtige Weg ist. Aber es gibt eben nicht nur schwarz und weiß, und ich versuche, in diesem Punkt auf der einen Seite ehrlich zu mir selbst, aber eben auch zu anderen zu sein. Manchmal ist es eben wichtiger, einen Song für eine bestimmte Person zu schreiben als für eine breite Öffentlichkeit.
Was bedeutet dein aktuelles Album für dich?
Es fühlt sich für mich an wie ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Es unterscheidet sich in so vielen Punkten von allen Alben, die ich zuvor gemacht habe. Ich war das erste Mal seit Langem nicht angestellt, um ein Album zu machen. Ich musste meine Arbeit keinem Boss zeigen und darauf hoffen, dass es ihm gefällt. Darüber hinaus habe ich bei der Arbeit zu diesem Album wieder ein Stück weit gelernt, in mich und meine Musik zu vertrauen. Es liegt vielleicht auch daran, dass ich mittlerweile ein wenig älter geworden bin und nun besser weiß, wer ich bin und was tue.
Auf diese Art ist das Album auch viel offener und spricht Dinge an, die andere vielleicht lieber gut verstecken würden, da es dich in gewisser Weise auch sehr verletzlich macht. Es sind eben keine einfachen und leichten Themen. Es ist sehr persönlich, inklusive aller damit verbundenen Facetten. Solange ich auf Tour bin und mich in dieser Blase bewege, fällt es mir leicht, dies alles stimmig zu finden. Aber wenn ich nach Hause komme, frage ich mich schon manchmal: Musstest du über diese Dinge jetzt tatsächlich einen Song machen?
Wie sehen deine Pläne für das nächste Jahr aus?
Jetzt sind wir ja erst mal auf Tour, aber ich freue mich auch schon wieder darauf, nach Hause zu kommen und über neue Songs und eine neue Platte nachzudenken. Darüber hinaus wünsche ich mir ein wenig Zeit für mich, in der ich einfach mal ein bisschen normal sein kann.
Was ist eigentlich dein Lieblingsinstrument, wenn es um Songwriting geht?
Oh, das ist wirklich schwer. Ich glaube, primär ist es bei mir schon die Gitarre. Aber ein Klavier ist auch ein wirklich wunderbares Instrument. Ich bedaure, dass ich auf der Bühne meist nur ein Keyboard habe, da es, egal wie gut, immer nur ein schlechter Ersatz für ein Grand Piano sein kann. Das ist wirklich schade. Wenn wir an Orten spielen, an denen ein echtes Klavier oder ein Flügel steht, ist das natürlich der Hammer − aber das ist leider wirklich selten der Fall.