Interview mit Clavia Nord Gründer und Inhaber Hans Nordelius
Seit Vorstellung des legendären Nord Lead im Jahr 1995 entwickelt der Hersteller mit den unübersehbar rot lackierten Instrumenten seine von praxisgerechter Schlichtheit und klanglicher Charakterstärke gezeichnete Modellflotte beständig weiter. Dabei beweist das Unternehmen immer wieder aufs Neue, dass echte Innovation grundlegende Paradigmenwechsel gar nicht nötig hat.
Auf drei Etagen einer alten Tabakfabrik im Herzen Stockholms treffen Entwicklergeist, Motivation und echte Handarbeit aufeinander. Clavia ist ein überschaubares und familiäres Unternehmen, welches sich mit Produkten wie dem aktuell bereits in der dritten Version vorliegenden Nord Stage besonders bei Live-Keyboardern weltweit einen Spitzenplatz erspielt hat. Wir trafen den Gründer und Inhaber Hans Nordelius im Hauptquartier in der schwedischen Hauptstadt, um mit ihm über seine Wurzeln und die Philosophie hinter Clavia zu sprechen.
Hans, wann hast du angefangen, Synthesizer zu bauen?
Ich muss so 16 oder 17 gewesen sein. Ich war schon immer sehr musikinteressiert und spielte zu jener Zeit in einer Pop/Rock-Band Gitarre, als ich eines Tages A Whiter Shade of Pale im Radio hörte. Ich wusste plötzlich, dass ich genau so einen Sound haben wollte, allerdings stand die Anschaffung einer Hammond außerfrage. Also machte ich mich daran herauszufinden, wie man so etwas wie einen Hammond-Klon selber bauen könnte. Ich konstruierte mir eine eigene Transistor-Orgel auf Basis von LC-Oszillatoren und jeder Menge Kabeln. Sie war wirklich nicht besonders gut, aber sie funktionierte.
Einige Zeit später erschien auf einmal der Minimoog auf der Bildfläche, und ich fasste den Plan zu lernen und zu verstehen, wie solch ein Synthesizer aufgebaut ist. So entwickelte ich meinen ersten Synthesizer nach diesem Vorbild, um ihn in meiner Band einzusetzen.
Hast du das Layout und die Schaltungen komplett alleine designt?
Ja, ich war schon immer sehr an Elektronik interessiert. Schon mein Vater machte solche Sachen in seiner Freizeit, weswegen ich schon recht früh über ein gewisses Know-how verfügte. Tasteninstrumente und deren Konstruktion standen seitdem immer fest im Fokus. Aber es dauerte noch etliche Jahre, bis ich so weit war, eine eigene Firma zu gründen. Zunächst war das alles nur ein Traum.
Als ich die Schule hinter mich gebracht hatte, benötigte ich zudem auch erst mal einen anständigen Job als Elektroniker. Firmen, die Tasteninstrumente wie E-Pianos oder Synthesizer herstellten, gab es in der Gegend leider nicht. Mit Hagstrom gab es gerade einmal eine E-Gitarren-Firma, dazu kamen eine Handvoll (Heim-)Orgelhersteller. Anfang der 80er-Jahre hatte ich es dann bis zum Industriedesigner für Computersysteme gebracht, wobei ich auf der anderen Seite auch viel über das Digitalisieren von Klängen lernte. Mit einem Team von Kollegen arbeitete ich an der Umsetzung digitaler Sprachanwendungen und entwickelte auf diesem Weg die Idee, Samples in kleine Speicherbausteine zu packen. Dies war die Geburtsstunde des ddrum-Systems. Wir packten Drumsamples in eine kleine Kiste, und die Musiker liebten es.
So kam ich auf die Idee, dass wir das Ganze doch auch kommerziell aufziehen könnten. Ich fragte einen Freund von mir, ob er sich vorstellen könnte, mit mir ein Unternehmen zu gründen, und da er verrückt genug war, sagte er ja!
Also kündigten wir unsere Jobs und sprangen quasi ohne Startkapital ins kalte Wasser. Im ddrum-Konzept sahen wir echtes Potenzial für die Zukunft, und so begannen wir, uns selber beizubringen, wie man akustische Drumkits sampelt. Von allen Seiten bekamen wir positives Feedback von Schlagzeugern − wir hatten einen regelrechten Markt für Live-E-Drumsets kreiert. Die Linn Drum beispielsweise war ja eher ein reines Studiogerät. Es folgten schließlich ddrum 2 und ddrum 3, aber anders als geplant rechnete sich das Ganze nicht wirklich.
1995 kam dann mit dem Nord Lead unser erster Synthesizer auf den Markt. Mittlerweile waren leistungsfähige und bezahlbare Prozessoren von Motorola verfügbar, die unseren Anforderungen so allmählich gerecht wurden. Mit ihnen ließen sich endlich die gewünschten Oszillatoren und Filter bei maximal vier Stimmen pro Chip umsetzen. Schon während wir am ddrum-System entwickelten, hatte ich Anfang der 90er zusammen mit einem Freund den Traum, einen Synthesizer in der Kategorie eines Prophet-5 zu realisieren, aber eben zu 100% digital. Für die gesamte Entwicklung des Nord Lead bis zur finalen Produktion benötigte unser Team, das neben mir nur aus zwei weiteren Entwicklern bestand, am Ende nur zwölf Monate. Dieser Synthesizer war ein riesen Erfolg, vor allem in Deutschland! Das war der eigentliche Start.
Der Nord Lead ist in der Tat eingeschlagen wie eine Bombe!
Ja, die ddrums waren für mich auch eigentlich nur eine Übergangsphase. Um ehrlich zu sein, ich mag elektronische Drumsounds gar nicht besonders, und das ging mir selbst mit unseren eigenen so. Irgendwie klingt so etwas trotz guter Samples immer synthetisch. Ich fing an, mich auf das Keyboard-Business zu konzentrieren, die ddrums begannen, mich zu langweilen, und verschwanden nach und nach komplett aus meinem Kopf. Es war gut, dieses Projekt langsam ausfaden zu lassen.
Was hat Clavia aus deiner Sicht soundphilosophisch anders gemacht als der Wettbewerb?
Meine absoluten Referenzen waren eigentlich immer der Minimoog und der Prophet-5 − vor allem die Filter dieser Instrumente. Ich denke, ich habe zunächst einfach nur probiert, dieses subtraktive Konzept zu kopieren. Somit hatte ich eigentlich gar nicht den Anspruch, komplett neue Sounds zu kreieren, sondern den Klang meiner Ideale digital zu reproduzieren. Ich wollte den schweren und damals wirklich teuren Boliden mit dem Nord Lead eine leichtere und vor allem günstigere Alternative entgegensetzen.
Beim Design des Geräts habe ich mich im Übrigen von Lead-Gitarristen inspirieren lassen. Es sollte ein Solo-Instrument werden, bei dem sich eine Hand um das Spiel und die andere um die Controller kümmern kann. Zu jener Zeit gab es eigentlich nur Keyboards, die sich mehr oder weniger am Pianospiel orientiert haben, aber eben keine echten Lead-Instrumente. Aus diesem Grund haben wir auch das Pitchbend-Konzept grundlegend überarbeitet. Es sollte die gleichen MikroBendings ermöglichen, wie sie auch ein Gitarrist beispielsweise durch leichten Druck auf den Hals erzeugen kann. Ein herkömmliches Pitch-Wheel kann solch eine taktile Kontrolle einfach nicht leisten.
Die Holzumsetzung des Pitchsticks gibt dem Ganzen noch einen zusätzlichen Touch echter Organik.
Ja! Die Idee für den Stick kam im Übrigen von einem Minimoog mit einem defekten Pitchwheel, das sich in der Mittelposition verklemmt hatte. Beim Versuch, es mit Gewalt zu bewegen, merkte ich, dass ein wenig senkrechter Druck auf das Rad eine minimale Modulation bewirkte. Es fühlte sich irgendwie natürlich an.
So wie das Ziehen einer Saite …
Genau, es ist ein ausgesprochen physisches Erlebnis, welches dem Musiker ein direktes Feedback gibt. Ich finde das bei einem Instrument sehr wichtig.
“Die Idee für den Stick kam im Übrigen von einem Minimoog mit einem defekten Pitchwheel, das sich in der Mittelposition verklemmt hatte.”
Mit eurer nächsten Entwicklung, dem Nord Modular, habt ihr dann nochmal einen ganz anderen Weg eingeschlagen …
Der Modular war ein ehrgeiziges Projekt, welches Musikern dem Vorbild entsprechend ermöglichen sollte, sich einen eigenen virtuellen Synthesizer zu bauen. Allerdings war das System aus Hard- und Software nicht wirklich ein kommerzieller Erfolg. Darüber hinaus fraß das Projekt über Jahre die Ressourcen unserer kompletten R&D-Abteilung. Hinzu kam, dass die User, die sich für das System begeisterten, eigentlich nie wirklich zufriedenzustellen waren. Die Kunden erwarteten immer neue Module und Möglichkeiten. Nach dem G2 mussten wir dann vernünftigerweise einsehen, dass es keinen Sinn macht, noch mehr Energie in dieses Projekt zu investieren. Die User-Basis hat diesen Schritt nie wirklich akzeptiert; wir bekommen bis heute regelmäßig Nachfragen, wann endlich die G3-Baureihe auf den Markt kommt.
Irgendwo kann ich es ja auch verstehen, denn ich nutze den Nord Modular selber auch noch sehr viel − vor allem beim Sounddesign. Es ist ein großartiges Entwicklersystem. Im Prinzip würde ich es auch gerne weiterentwickeln, aber es ist zurzeit einfach nicht zu machen.
Benutzt du privat auch Hardware-Modulsysteme?
Ich besitze selber ein überschaubares Eurorack-System − es macht einfach sehr viel Spaß, damit zu spielen. Darüber hinaus liebe ich es, die Entwicklungen in diesem Bereich zu verfolgen.
Was steht bei Clavia neben neuen Modellen wie dem Nord Stage 3 aktuell im Fokus?
Momentan arbeiten wir viel an neuen Piano-Sample-Libraries, für die wir spezielle Grand- und Upright-Pianos aufnehmen. Das ist wirklich viel Arbeit, vor allem, weil ich persönlich das komplette Editing der Audiofiles übernehme. Ich arbeite mit Samples seit ’82 und bin darüber hinaus selber Pianist. Letzteres ist für die Bearbeitung von größter Bedeutung, denn das Gefühl muss am Ende aus den Fingern kommen. Bevor wir aufnehmen, verbringe ich zusammen mit einem Klavierbauer viel Zeit mit dem Instrument, um eine bestmögliche Einstellung des Pianos zu gewährleisten und den Aufwand einer späteren Bearbeitung auf ein Minimum zu reduzieren. Für diese Vorbereitung allein benötigen wir meist knappe zehn Tage im Studio. Den Rest übernimmt nachher ein Roboter.
Wo nehmt ihr die Samples auf?
Wir haben bisher oft in den heutzutage meist leerstehenden Studios des Schwedischen Rundfunks aufgenommen. Außer einer Mixkonsole befindet sich dort eigentlich nicht viel, aber es ist leise und die Akustik stimmt. Also richten wir die Räume für die Aufnahmen mit unserem eigenen Aufnahme-Equipment, bestehend aus Pro Tools, Mikrofonen und jeder Menge Kabel, so ein, wie wir es brauchen. Das beansprucht meistens so einen Tag. Zudem haben wir einen wirklich guten Recording-Engineer an unserer Seite, der wirklich einen fabelhaften Job macht. Für das anschließende Editing brauche ich dann in der Regel noch mal zwei Wochen.
Nach was für Pianos hältst du klangtechnisch Ausschau?
Im Moment ist die Nachfrage nach nicht ganz so perfekten Pianos sehr hoch. Also schaue ich aktuell viel nach Klavieren, die etwas unperfekter klingen, aber unter dem Strich dann doch nicht so schlecht. Der Klang braucht eine gewisse Balance zwischen gut und schlecht. Manchmal hat aber auch »richtig schlecht« einen richtig guten und brauchbaren Charakter.
Definitiv …
Wir haben mal so ein kleines, kurzsaitiges Piano aufgenommen, dass jetzt schon Jahre auf meiner Festplatte lag, weil ich es eigentlich für nicht so gut hielt. Dieses Bambino Piano haben wir jetzt aktuell in die Library aufgenommen. Früher habe ich diesen Sound überhaupt nicht gemocht, aber mittlerweile habe ich meine Meinung geändert. Ich hatte es vor Kurzem einem Freund eigentlich nur aus Spaß mal vorgespielt, und er war sofort total begeistert. Es ist halt ein sehr spezieller Sound, der in kürzester Zeit aber schon sehr viele Freunde gefunden hat.
Auf eine gewisse Weise ist der von vielen zelebrierte perfekte Pianosound ja auch eine aufnahmetechnische Illusion, ohne wirkliche Entsprechung in der realen Welt.
Selbst in einem klassischen Konzert wird man aus Hörersicht nie auf einen perfekten Flügelsound treffen. Mit ein bisschen Mühe klappt das vielleicht noch zu Beginn des Konzerts, aber auch hier wird sich der Sound während des Spiels leicht verändern. Dies mussten wir auch aus der Sicht des Sampelns erst einmal lernen.
Gerade sitze ich zu Hause an der Bearbeitung eines Grotrian Steinweg, der ebenfalls jetzt schon zwei Jahre auf meiner Festplatte schlummerte und wahrscheinlich morgen fertig sein wird. Auch dieses Piano besitzt einen sehr speziellen Sound, mit dem ich mich auch in der Nachbearbeitung sehr schwer getan habe. Auf der anderen Seite ist das auch eine Art der Herausforderung, die ich sehr mag.
Die Balance bei einem nicht so perfekten Piano-Sample zu finden ist vermutlich auch ungleich aufwendiger als mit einem perfekt vorgetrimmten Sound.
Auf jeden Fall. Bei einem »perfekten Piano« kann man auch mal das eine oder andere Sample weglassen. Bei einem Charakterpiano zählen jede Nuance und jeder aufgenommene Halbton. So kommt es im Übrigen auch, dass solche Libraries in der Folge auch mehr Speicher belegen als die anderen. Sounds wie diese enthalten einfach mehr Informationen. Für mich ist jedes neue Piano eine Herausforderung!
Was magst du besonders am neuen Nord Stage 3?
Eine Menge! Ich weiß nicht wirklich, wo ich anfangen soll … (lacht) Viele Stage-2-User fragten nach Dingen wie Split-Zonen oder dem nahtlosen Überblenden zwischen Klängen, und natürlich gab’s auch die immer gleichen Themen: mehr Speicher, mehr Sounds. Ab sofort stehen auch Layer-Pianosounds und Piano-Filter zur Verfügung. Es sind viele kleine, aber sehr feine Verbesserungen und Ergänzungen in das neue Modell eingeflossen. Eine große Besonderheit ist natürlich der integrierte Synthesizer, der sich an den A1 anlehnt, aber auch noch weit darüber hinausgeht.
Was das Gesamtkonzept angeht, wurde zudem von nahezu allen Usern, mit denen wir in engem Kontakt stehen, der Wunsch geäußert, bloß nicht zu viel zu ändern. Für viele ist das Nord Stage natürlich auch eine Referenz, an die man sich lange gewöhnt hat. Die meisten Marketing-Menschen würden es gerne sehen, wenn wir auch optisch mal etwas bahnbrechend verändern würden, aber so kommerziell denken wir hier dann doch nicht.
Die Top-Level-Philosophie ist ja auch mit eines der größten Erfolgsrezepte der Nord-Linie.
Deswegen geben wir uns auch große Mühe, dem Kunden mit dem Nord Stage eine große Vielfalt an gebrauchsfertigen Presets mitzugeben. Wir möchten die grundsätzliche Bedienung dabei so simpel halten wie die eines Romplers. Das Nord Stage ist für Musiker konzipiert, die in erster Linie spielen und nicht herumspielen möchten. Wenn aber dann doch jemand umfassender an einen Sound Hand anlegen möchte, kann er das natürlich auch tun, aber es ist keine Bedingung.
Vor allem beim Synth haben wir natürlich die Hoffnung, dass die User anfangen, mehr zu wollen, und sich ein bisschen an die Regler rantrauen. Aber man muss bei einem Instrument wie dem Stage 3 auch entwicklungstechnisch immer die Balance halten.
Wenn man mit einem großen Projekt wie diesem beginnt, gilt es, viele Entscheidungen zu treffen. Es ist ein bisschen wie Frankensteins Monster: Man sieht die Dinge erst richtig, wenn man sie zum Leben erweckt. Das Ganze ist ein linearer Prozess, in dem man viele, viele Stufen nehmen muss, um am Ende zu merken, dass es, um noch besser zu werden, einer grundsätzlichen Veränderung bedarf. Trotzdem muss man sich dann manchmal dagegen entscheiden und innehalten. Viele kleinere Unternehmen machen den Fehler, dass sie bei der Entwicklung nicht rechtzeitig stoppen. Das Schlimme ist nämlich, dass man immer etwas verbessern und erweitern kann. Die Kunst ist zu wissen, wann das Entwicklungslimit für ein Produkt erreicht ist.