Orchestral Manoeuvres In The Dark

OMD – Interview mit Paul Humphreys

Anzeige
(Bild: Markus Thiel)

Bis heute zählen Andy McCluskey und Paul Humphreys zu den wichtigsten Vertretern des europäischen New-Wave-Synth-Pop. Mit The Punishment of Luxury hat das unter dem Namen »Orchestral Manoeuvres In The Dark« (OMD) firmierende Duo seit seiner Reunion im Jahr 2006 bereits das dritte Album vorgelegt, welches das seit 1978 entstandene Gesamt-Œuvre somit auf 13 Alben anwachsen lässt.

Wir trafen Paul im Westend seiner Wahlheimatstadt London zu einer guten Tasse Kaffee und einem anregenden Gespräch über eine Band, die sich selbst eigentlich nie so richtig ernst genommen hat.

Anzeige

Paul, bei eurem aktuellen Album lässt sich ein gewisser 80s-Vibe nicht verleugnen.

Echt? Viele andere fanden es eher modern. Aber was bedeutet das heutzutage schon …

Ich meine damit eigentlich auch eher die Ästhetik der verwendeten Sounds.

Ja, da gibt es schon einige Elemente. Andy und ich haben bei allem, was wir tun, schon eine sehr spezielle Handschrift. Vieles von dem, was wir heute machen, bezieht sich auf Dinge, die wir in der Anfangszeit von OMD gemacht haben. So schließt sich der Kreis. Letztes Jahr haben wir ein besonderes Konzert für unsere Fans in der fantastischen Royal Albert Hall gespielt und zu diesem Anlass zwei unserer Lieblingsalben aus den 80ern zelebriert − Architecture & Morality und Dazzle Ships. Beide Platten waren ein kommerzielles Desaster, gehören mittlerweile aber zu den absoluten Fan-Favourites!



№5/6 2017

  • Editorial
  • Facts & Storys
  • Modular Kolumne
  • EVANESCENCE
  • Im Gespräch mit Lars Eidinger
  • HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
  • Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
  • Keys4CRO: Tim Schwerdter
  • Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
  • Bei Klavis in Brüssel
  • BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
  • Dexibell Combo J7
  • DICKES BRETT: POLYEND SEQ
  • Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
  • Visionäre: MIDI In My Head!
  • DIE ELKA-STORY
  • Transkription: Michael Wollny
  • Impressum
  • Inserenten, Händler
  • Das Letzte − Kolumne


Während der Vorbereitung der Show sichtete ich das Originalmaterial auf der Suche nach den richtigen Sounds und Samples. Was mich dabei am meisten überraschte, war die Tatsache, wie genial simpel und puristisch das Ganze gestrickt war. Genau diese Simplizität wollte ich für das neue Album wiederbeleben.

Unser damaliges Equipment war soundtechnisch ja sehr beschränkt. Wir hatten halt nur die Handvoll Synths, die wir uns leisten konnten, und das war unsere Klangpalette. Im Gegensatz dazu herrscht heute durch die schier unendliche Fülle an virtuellen Klangerzeugern und Plug-ins, gepaart mit einer Flut an Presets, eine wahre Tyrannei der Möglichkeiten. Man kann sich in dieser Auswahl verlieren.

Als wir das aktuelle Album produzierten, waren wir auf der Suche nach der perfekten Kick-Drum. Ich fragte Andy, wie viel Bassdrums er denn so in seiner aktuellen Library hätte, und er antwortete: 1.760 − ich besaß, wie sich herausstellte, mit knapp 2.500 Kicks sogar noch ein paar mehr! Es würde bestimmt einen kompletten Monat in Anspruch nehmen, wenn man die alle durchhören wollte. So entschlossen wir uns bewusst, die Dinge wieder simpler zu halten und die Mittel aktiv zu beschränken.

Habt ihr wieder vermehrt analoge Klangerzeuger mit eingebunden?

Ja, aber wirklich sehr reduziert. Weißt du, ich war eigentlich, was Synthesizer angeht, immer ein Purist. Mein Lieblingssynth war mein Prophet-5, den ich so in und auswendig kannte, dass ich damit nahezu jeden Sound, der mir vorschwebte, mit wenigen Handgriffen kreieren konnte. Als dann Native Instruments seine virtuelle Pro-53-Version des Prophet herausbrachte, justierte ich in beiden den gleichen Sound und bat einen Freund von mir, das Ganze als AB-Blindtest vorzuspielen − ich lag mit meinem Tipp total daneben. Dies war der Moment, indem ich meinen eigenen Purismus nachhaltig in Frage gestellt und schließlich über Bord geworfen habe.

Also genau genommen kommt doch der größte Teil des Albums direkt aus der Box.

(Bild: Mark McNulty)

Wenn wir mal einen Moment in der Zeit zurückreisen: Wie hast du deinen Weg in die Musik gefunden?

Über die Elektronik! Seit meinem 12. Lebensjahr bin ich fasziniert von Elektronik. Ich begann, ziemlich verrückte Sachen zu bauen. Andy und ich wurden erst so mit 14, 15 beste Freunde, obwohl wir uns bereits seit unserem 7. Lebensjahr kennen. Ich hatte mir damals meine erste Stereoanlage selber gebaut, während Andy nur ein schrottiges Mono-System besaß. Als Arbeiterkinder aus Liverpool hatten wir beide chronisch nicht besonders viel Geld in der Tasche, aber Andy hatte immer ein wenig mehr. Daher zog er los in die Plattenläden und kaufte besonders gerne Alben deutscher Künstler wie Kraftwerk, Neu! und Can. Wir haben in dieser Zeit eigentlich nur deutsches Zeug gehört, und dafür trafen wir uns dann halt immer bei mir!

Irgendwann beschlossen wir dann, selber eine Band zu gründen, um eben genau diese Elektronische Musik zu spielen, die wir so liebten. Allerdings war unser Problem immer noch dasselbe: Wir waren total abgebrannt, und Synthesizer waren wirklich teuer! Also fing ich wieder an zu basteln und lötete mir einen eigenen Synth auf Basis eines Schaltplans zusammen. Ehrlich gesagt, war das Teil nicht wirklich gut, aber es produzierte ein paar wirklich verrückte Geräusche. Später bekam ich dann noch ein paar Schaltpläne für Kickdrum-, Snare- und Cymbal-Sounds aus einer Drumbox in die Finger, aber anstatt die ganze Box zu bauen, modellierte ich nur die einzelnen Percussion-Elemente nach. Ich erweiterte das Ganze dann noch mit ein paar Kraftwerk-artigen Kontakt-Pads, und das war unsere erste funktionierende Drummachine.

Nach und nach erweiterte sich das Setup dann noch um eine Orgel und ein E-Piano, aber wir hatten außer meinem Noise-Generator immer noch keinen vernünftigen Synthesizer. Es gab in unserer Gegend gerade einmal zwei Typen, die jeweils einen Synthesizer besaßen, die wir natürlich versuchten, so oft wie möglich auszuleihen, um etwas damit zu machen. Es dauerte eine Weile, bis wir uns unseren ersten eigenen Synth leisten konnten, einen Korg M500 Micro-Preset. Wir haben das Teil für irgendwas zwischen 7 und 8 Pfund pro Woche auf Raten gekauft. Der Korg war klanglich nicht besonders komplex und sehr rudimentär aufgebaut, aber mithilfe eines Tape-Delays ließ sich damit schon das ein oder andere bewerkstelligen.

(Bild: Mark McNulty)

Wann begann das Ganze mit OMD dann ernst zu werden?

Es war eigentlich nie wirklich ernst gemeint. Um genau zu sein, starteten wir als eine eher miserable achtköpfige Prog-Rock-Band, für die Andy und ich die Songs schrieben. Mit Elektronischer Musik hatte das erstmal gar nichts zu tun, und ich spielte dort − bis zu unseren verrückten Experimenten − lediglich Orgel oder Piano. Nach und nach versuchten wir dann, neue elektronische Elemente mit in die Band zu bringen, was bei den anderen aber auf wenig Gegenliebe stieß. So begannen wir, nach und nach alle zu feuern, bis nur noch wir beide übrigblieben. (lacht)

Jeder um uns herum wollte einfach Rockmusik machen und hielt unseren Ansatz für total hoffnungslose Scheiße − und wir waren schon fast soweit, es selbst zu glauben. Dann freundeten wir uns mit den Betreibern des Eric’s (Eric’s Club in Liverpool; Anm.d. Red.) an, in dem, wie man heute weiß, viele Karrieren ihren Anfang nahmen. Eines Tages bekamen wir einen Anruf aus dem Club, ob wir mit unseren elektronischen Experimenten nicht als Support für Joy Division, diese unbekannte neue Band aus Manchester, spielen möchten. Obwohl wir selber nicht so ganz davon überzeugt waren, dass unsere Musik den qualitativen Anforderungen gerecht werden würde, entschieden wir uns, es trotzdem zu machen. An dem Abend waren knapp 30 Leute im Eric’s, um sich Joy Division und OMD anzuschauen, die meisten waren selbst Musiker, die im Umkreis des Clubs zu Hause waren. Dem Boss des Clubs gefiel anscheinend, was wir machten, denn er fragte uns, ob wir nicht Lust hätten, ein zweites Mal in einem befreundeten Club in Manchester aufzutreten. Bei diesem zweiten, von unserer Seite aus völlig ungeplanten Konzert trafen wir dann den Boss von Factory Records, dem gleichen Label, bei dem Joy Division unter Vertrag waren, welcher zudem der Initiator einer TV-Show war, die unbekannten Bands eine Promotion-Plattform im Fernsehen bot. Wir überreichten ihm eins unserer Demo-Tapes und fragten, ob er nicht Lust hätte, uns in einer der kommenden Shows zu featuren. Leider hörten wir danach erst einmal gar nichts mehr von ihm.

Irgendwann nach ewiger Zeit bekamen wir dann allerdings doch noch einen Anruf, in dem er uns mitteilte, dass er sich in Bezug auf uns einfach nicht sicher war, seine Frau dagegen hatte unser Tape mit Electricity während einer Autofahrt gehört und bedrängte ihn seitdem Tag und Nacht, uns unter Vertrag zu nehmen. In der TV-Show wollte er uns dennoch nicht haben, dafür bekamen wir einen Vertrag über das Single Release von Electricity bei seinem gerade frisch gegründeten Label und tourten eine Zeitlang zusammen mit Joy Division.

Er sagte zu uns: »Ihr seid Pop!« Wir dachten: »Fuck you! Wir sind experimentell!« Er sollte recht behalten. Nachdem er Electricity an nahezu alle großen Labels geschickt hatte, bot uns schließlich Dindisc, ein Tochterlabel von Virgin Records, einen Vertrag über sieben Alben an. Wir waren zwar nach wie vor der Meinung, dass wir scheiße sind, schielten aber auf das Geld, das uns der Vertrag zusicherte und welches uns ermöglichen würde, unser eigenes professionelles Studio in Liverpool aufzubauen. Insofern planten wir in dem Moment also irgendwie auch schon, ein Business draus zu machen. Hatte es die Elektronische Musik in den 70ern schwerer als andere Musik? Ich denke schon, da ihr das Image anhaftete, überhaupt keine echte Musik zu sein, da sie ja von Maschinen gemacht war. Synthesizer waren ebenfalls nicht als echte Instrumente akzeptiert, da viele Leute irrtümlicherweise davon ausgingen, dass der Künstler die Musik damit ja gar nicht selbst machen und dies stattdessen einfach dem Gerät überlassen würde. Verdammt, manchmal haben wir uns gewünscht, sie könnten uns das wirklich abnehmen und einfach unsere Songs schreiben.

Du sprachst vorhin darüber, dass ihr durch Rückbesinnung auf eure Wurzeln wieder zu einer neuen alten Simplizität gefunden habt. Gilt dies auch für den Produktionsprozess?

Das Schreiben ist für uns mittlerweile schon um einiges einfacher geworden. Wir haben in den Siebzigern mit Sampling angefangen, bevor digitale Sampler überhaupt erhältlich waren. Unser Sampler war eine Revox B77 − Reel to Reel −, auf der man den Record-Button im exakt richtigen Moment drücken musste, damit es was wird. Man musste es zudem immer korrekt pitchen, um das gewünschte Tuning zu erreichen. Heute kann ich alles, was ich mir vorstellen kann, sofort in Pro Tools umsetzen. Ich liebe das, weil es alle diese Möglichkeiten für mich eröffnet, von denen man früher nur träumen konnte.

Wie sieht euer Workflow bei einer Produktion aus?

Andy hat sein Studio in Liverpool und ich meins in London, wir sind also meistens immer gut und gerne 200 Meilen voneinander entfernt. Er lebt Mitten im Nirgendwo und genießt das total − mich als echten Stadtjungen würde das absolut wahnsinnig machen. Auf meinem Laptop habe ich eine mobile Kopie meiner kompletten digitalen Studioumgebung mit allen Plug-ins und jeglicher Software, die ich so brauche. Wenn wir an etwas arbeiten, fahre ich daher meist zu Andy. Beim Schreiben und Entwickeln von Ideen ist es enorm wichtig, dass wir beide in einem Raum sitzen und uns gegenseitig inspirieren. Als wir uns 2006 nach längerer Pause für History of Modern wieder zusammengefunden hatten, haben wir es tatsächlich mal probiert, auf Distanz zusammen zu arbeiten, aber es hat überhaupt nicht funktioniert.

Wenn wir erstmal etwas Material zusammen haben, lohnt es allerdings, erst noch mal auseinanderzugehen, damit sich jeder für sich eine Meinung zu den Tracks bilden, Dinge passend umarrangieren oder ergänzen kann.

(Bild: Mark McNulty)

Gibt es dann in Folge dieses Prozesses auch Meinungsverschiedenheiten, was wie funktioniert oder umgesetzt werden sollte?

Früher hatten wir das tatsächlich oft, mittlerweile haben wir aber gelernt, uns zu vertrauen. Wenn einer von uns beiden bei einer Sache ein schlechtes Gefühl hat, gibt es eigentlich immer einen triftigen Grund dafür, auch wenn der andere ihn vielleicht gerade nicht erkennt. Im nächsten Jahr gibt es OMD nun schon 40 Jahre, und ich glaube, ich kann sagen, dass es uns heute noch mehr Spaß macht denn je zu sein, wer wir sind. Wir sind beide begeistert von der neuen Platte und hatten eine tolle gemeinsame Zeit während der Produktionsphase. Dazu kommen aktuell viele große Konzerte.

Wenn uns einer vor 40 Jahren gesagt hätte, dass wir heute noch das Gleiche machen würden wie damals, wir hätten ihn für verrückt erklärt. Was für eine Horrorvorstellung! Das Schöne an unserer aktuellen Zeit ist aber doch, dass Dinge wie das Alter eigentlich fast keine Rolle mehr spielen. Es geht nicht mehr darum, wie alt du bist, sondern um die Qualität, die du ablieferst.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.