Klavis: Eurorack-Module aus Brüssel
Wenn es um Brüssel geht, denkt man zwangsläufig an Dinge wie Schokolade, Feinbiergastronomie, frittierte Kartoffelstäbchen oder irgendwas zwischen Europapolitik und in der Öffentlichkeit H2O-urinierenden Männchen in lustigen Kostümen. Aber Modular-Synthesizer? Das kleine Unternehmen Klavis entwickelt mitten im Zentrum der europäischen Hauptstadt innovative Modulneuheiten für das Eurorack-System.
Das im Kern aus dem Entwickler-Duo David Herscovitch und Hardwarespezialist Eric Lukac-Kuruc bestehende Unternehmen Klavis hat in der Vergangenheit bereits unter anderer Firmierung mit der Entwicklung des Copper-Lan-Netzwerksystemprotokolls für die LAN-basierte Anbindung von Audio- und MIDI/USB-Hardware von sich reden gemacht. Unter dem Markennamen „Klavis“ startete Anfang 2017 eine kleine, aber feine Manufaktur für außergewöhnliche Eurorack-Modul-Spezialitäten. Wir besuchten Eric in seiner Entwicklerwerkstatt im Brüsseler Unternehmenshauptquartier und sprachen mit ihm über die Besonderheiten und die Philosophie hinter den Klavis Modulen.
Eric, seit wann beschäftigt ihr euch mit der Konzeption von Elektronischen Musikinstrumenten?
Gegründet haben wir das Unternehmen im Jahr 2000. Die Idee hinter Klavis war zunächst, die Entwicklung von Soft- und Hardware-Projekten für andere Firmen anzubieten. Über die Jahre hinweg verschob sich der Schwerpunkt allerdings dann mehr und mehr auf den Softwarebereich, was wiederum in der Hardware-Entwicklung, die im Großen und Ganzen mein Ressort war, vermehrt Kapazitäten frei werden ließ. So hatte ich dann auch eine firmeninterne Rechtfertigung, mich intensiver mit neuen Hardware-Projekten zu beschäftigen, was schließlich in unserer noch jungen Modular-Sparte mündete.
Um ehrlich zu sein, haben wir auch schon in der Vergangenheit komplette Module und einzelne Elemente für das Eurorack designt, allerdings immer im Kundenauftrag. Da der Softwarebereich wie gesagt immer wichtiger wurde und ich trotz eines Abschlusses in Programmierung dieses Feld lieber den Kollegen überlassen wollte, die das eh besser können als ich, habe ich mich dann wieder komplett in mein Lieblingsgebiet, die Elektronik, gestürzt.
Die Idee, eigene Module zu kreieren, wurde vor knapp zwei Jahren geboren. Dieses Jahr im Februar folgte dann die Anmeldung von Klavis als produktbezogene Marke. Nach 17 Jahren sind wir also jetzt endlich auch der Öffentlichkeit als Klavis bekannt und im Prinzip wieder ein junges Unternehmen. (lacht) Das erforderte für uns eine echte Umstrukturierung, da es nun zum ersten Mal nötig war, Dinge wie ein Händlernetz aufzubauen und Vertriebswege zu erschließen.
Das klingt wirklich nach einer Menge Veränderungen.
Was das Design anbelangt, ist Klavis mit mir sozusagen fast eine One-Man-Show. Wenn es um Programmierung geht, steuern aber auch meine Kollegen einen wichtigen Teil zum finalen Produkt bei.
Kannst du die Philosophie beschreiben, die hinter deinen Hardware-Designs steckt?
Da der Eurorack-Markt mit analogen Modulen bereits gut gesättigt war, entschlossen wir uns, beim Design unserer Produkte auf eine unserer Stärken zu setzen, und das ist eben die Programmierung komplexer Elemente. Jedes unserer Module ist letztlich eine Art Hybrid zwischen prozessorgestützter Algorithmik und analoger Hardware. Wir haben schon eine ganze Reihe an Ideen für zukünftige Module. Dabei haben wir uns zum Ziel gesetzt, immer etwas zu implementieren, was so noch niemand vor uns gemacht hat. Und von solchen Dingen haben wir bereits eine lange Liste − wir sind also zuversichtlich!
Euer erstes Modul war der Twin Waves Dual Oscillator. Wie unterscheidet sich dieser VCO von anderen Ansätzen in diesem Bereich?
Zunächst einmal lässt sich der Twin Waves aufgrund seiner Natur selbstverständlich nur mit anderen digitalen Oszillatoren vergleichen. Ich glaube, was ihn grundlegend von anderen unterscheidet, ist, dass das Modul nicht versucht, zu komplex zu sein. Es geht darum, für den User einen direkten und unkomplizierten Zugang, kombiniert mit einer großen Palette an Sounds zu bieten.
Die meisten digitalen VCOs erreichen ihre Vielfalt durch eine Engine, die eine Vielzahl an Einstellmöglichkeiten und Parameter-Modifikationen erlaubt. Wir haben uns dazu entschlossen, dem User eine perfekt vorgekochte, lange Liste an Setups mitzugeben, bei denen jedes für sich genommen schon einiges an Komplexität in sich vereinigt. Das Feedback, was wir dazu von unserer User-Base bekommen, ist durchweg positiv, denn trotz rudimentären Tweak-Optionen bekommen sie mit dem Twin Waves ein paar sehr einzigartige Klangmöglichkeiten an die Hand. Also scheinen wir mit unserem Konzept exakt ins Schwarze getroffen zu haben.
Darüber hinaus lassen sich die Oszillatoren ja auch noch als LFO betreiben …
Ja, das ist auch eine der Besonderheiten des Moduls. Jede einzelne Sektion kann wahlweise im VCO- oder im LFO-Modus betrieben werden. Einige Kunden kaufen den Twin gezielt, um ihn als Dual-LFO zu betreiben, da die dort integrierten Features ziemlich ausgefuchst sind. Zum Beispiel haben wir Vektoren integriert, die sich auf Sample&Hold-Waves anwenden lassen; darüber hinaus ist auch ein externer Sync möglich, und es ist ein Clock-Multiplier/-Divider mit an Bord. Diese Vielfalt an Funktionen in einem noch dazu solch kompakten Modul ist ziemlich einzigartig.
Kannst du etwas zur Through-Zero-Funktionalität des Oszillators sagen? Was steckt technisch dahinter?
»Through Zero« benennt im Prinzip eine Form von Frequenzmodulation, bei der die Frequenz eines Oszillators so weit abgesenkt wird, dass die Bewegung quasi stoppt. Wenn man dann weiter moduliert, steigt die Frequenz wieder an, aber diesmal in die exakt andere Richtung. Auf einem Oszilloskop sieht das Ganze dann so aus, als würde die Wellenform in der Zeit zurückreisen. Es ist also eine Art Spiegelabbild des Ursprünglichen.
Wie unterscheidet sich dies dann klanglich vom Original?
Es produziert FM-Sound, denn es ist ja im Kern Frequenzmodulation. Das Schöne dabei ist eben, dass sich durch das Spiegelbild Sounds kreieren lassen, die durch normales Waveshaping nicht zu erzeugen wären. Dabei kommt es natürlich darauf an, was du womit modulierst − die Möglichkeiten sind auf jeden Fall unerschöpflich.
Möchtest du uns etwas über das nächste anstehende Projekt erzählen?
Natürlich! Das Modul heißt Mixwitch und ist eine Melange aus einem Mixer und einem sequentiellen Switch. Es ist ein ziemlich vielseitiges Modul, welches als simpler Voltage-Offset-Mix-Generator oder aber auch als Modulationsquelle und für Audio genutzt werden kann. Du hast zwei integrierte, unabhängige Mixer und einen sequentiellen Switch, der sich vorschalten lässt und natürlich über einen Clock-Eingang, aber ebenfalls auch über einen CV-Input verfügt. Das ist etwas ungewöhnlich, da man so einen der vier Inputs darüber direkt ansprechen kann. Wenn die Spannung 0 Volt beträgt, ist keiner der Eingänge angewählt, somit ergeben sich fünf mögliche Zustände. Ich denke, dass wir das Modul noch vor Jahresende ausliefern werden.
Wenn du die Modular-Szene betrachtest, was sind für dich die derzeit spannendsten Entwicklungen? Was inspiriert dich da am meisten?
Eine Sache, die mich besonders antreibt, Neues zu entwickeln, ist die Tatsache, dass es trotz dieser unfassbaren Vielfalt an Modulen da draußen immer noch eine Nachfrage nach neuen Funktionen und Anwendungen gibt. Die Entwicklung solcher Produkte macht mir einen riesengroßen Spaß. Dazu bin ich aber auch sehr daran interessiert, was man mit all diesen Tools in der Praxis noch so alles anstellen kann.
Am schönsten finde ich es, wenn User mit echten Bedürfnissen und Wünschen zu mir kommen. Manchmal ist die Antwort auf eine Frage sehr simpel, da es bereits funktionelle Lösungen für das beschriebene Problem gibt. Interessant wird es für mich immer dann, wenn man mit allen zur Verfügung stehenden Werkzeugen nicht zum gewünschten Ziel kommen kann. Hinter so etwas verbirgt sich für mich nicht selten eine gute Idee zu einem neuen Modul.
Wenn man sich die Modullandschaft so anschaut, ist es wirklich schwer vorstellbar, dass es echte funktionale Versorgungslücken überhaupt noch gibt.
Man darf natürlich trotz vieler individueller Umsetzungen auch nicht vergessen, dass viele Module auf dem Markt bereits vorhandene Schaltungen und Konzepte nachempfinden. Ich würde mich zum Beispiel niemals daran setzen, ein simples analoges Filter zu entwerfen − mit der Betonung auf »simpel«, denn natürlich gibt es auch aufwendige neuartige und einzigartige Analogfilter …
Gerade Einsteiger sind heutzutage durch die Flut an erhältlichen Modulen völlig aufgeschmissen. Eigentlich kann einem niemand mehr genau sagen, wonach man für den Anfang eigentlich suchen soll. Am Ende kauft man doch dann das, was alle anderen auch kaufen − denn so kann man auf Nummer sicher gehen.
Was mich begeistert, sind Module mit einem innovativen Konzept, kombiniert mit einem klaren User-Interface zu einem fairen Preis. Wenn Modular-Systeme auch zukünftig interessant bleiben sollen, müssen Module auch für Einsteiger erschwinglich bleiben. Jeder Interessierte sollte in der Lage sein, sich ein Modular-System leisten zu können.
Die teuersten Module auf dem Markt müssen definitiv nicht immer auch die beste Lösung für eine gewünschte Anwendung sein. Was kannst du Anfängern empfehlen?
Zunächst einmal, so viel Equipment wie möglich gebraucht kaufen und sich dabei erst einmal von zu esoterischen Sachen fernzuhalten. Der wahrscheinlich wichtigste Rat beim Einstieg in die Modularwelt ist, es langsam angehen zu lassen. Jedes Modul braucht halt seine Zeit, bis man es wirklich beherrscht und in der Lage ist, das Beste aus ihm herauszuholen. Wenn du dir diese Zeit nicht nimmst, läufst du Gefahr, Module zu unterschätzen und vorschnell wegzugeben − was einem dann meistens erst im Nachhinein bewusst wird. Kleine Schritte und der Mut, auch mal eine falsche Entscheidung treffen zu dürfen, führen letztlich zum Ziel und zu einem individuellen Setup. Das Beste beim Gebrauchtkauf ist aktuell ohnehin die Tatsache, dass man − wenn man gut darauf achtet − jedes Modul zum Ankaufspreis auch wieder verkauft bekommt. Auf diese Weise kann man eigentlich nicht wirklich Geld verlieren. Stück für Stück wird man so außerdem herausfinden, was einem gefällt und was einem nicht gefällt. Das richtige Setup hängt eben auch viel von der eigenen Persönlichkeit und den damit verbundenen Eigenheiten ab. Dafür gibt es kein Rezept!
Wie bist du eigentlich zum Synthesizer gekommen?
Ich habe keine Geschwister, aber einen Cousin, der immer ein wenig wie mein älterer Bruder war. Er hörte viel Musik und hatte eine ansehnliche Plattensammlung, in der ich eines Tages Emerson, Lake & Palmer entdeckte. Und da war dieses Bild von diesem gigantischen Moog Modular-System auf der Plattenhülle, was mich total fasziniert hat. Ich konnte nicht mehr aufhören, mir dieses Bild anzuschauen. Dies hat wirklich mein Interesse für Synthesizer nachhaltig geweckt.
Irgendwann habe ich dann Hersteller angeschrieben, ob sie mir Handbücher von Synthesizern schicken könnten − das war das einzige, was ich mir leisten konnte. Ich habe dann angefangen, diese Manuale akribisch zu studieren und parallel dazu alle möglichen Synthesizer in die Finger zu bekommen, sobald sich die Gelegenheit bot.
Schließlich hatte ich so ein fundiertes Wissen, dass ich ein bisschen Geld neben der Schule als Fachverkäufer in Musikläden verdienen konnte. In einem der Shops habe ich später auch Kurse über Synthesizer gegeben − eines war zum Beispiel zum Roland Modular-System. Parallel dazu habe ich natürlich auch angefangen, in Bands zu spielen.
Wann wurde bei dir der Wunsch geboren, eigene Instrumente zu entwickeln?
Ich hatte schon immer eine Schwäche für Elektronik. Zu jener Zeit war ich aber noch lange nicht in der Lage, irgendetwas Sinnvolles entwickeln zu können. Schließlich habe ich ja dann auch Programmierung studiert, um anschließend festzustellen, dass die meisten Jobs in diesem Bereich bei Banken zu bekommen waren, was überhaupt nicht meins war.
Ich habe mich dann immer weiter mit Elektronik beschäftigt, was schließlich dazu führte, dass die Unternehmen, bei denen ich arbeitete, mir Fortbildungen in diesem Bereich nicht nur finanzierten, sondern mich sogar dafür bezahlten. Und so arbeitete ich schließlich längere Zeit bei einem Unternehmen als Designer für elektronische Schaltungen sowie später als Technischer Manager eines Halbleiterunternehmens, bei dem ich für die technische Dokumentation zuständig war.
Zwischendurch hatte ich aber auch ein paar Jahre meinen eigenen Musikladen, in dem ich auch Synthesizer für Kunden wieder instand setzte. Ich erinnere mich noch daran, wie ich viele kleine Löcher in einen ARP Odyssey gebohrt habe, um ihn im Kundenauftrag in einen semimodularen Synth umzubauen. Es wundert mich bis heute, dass der Kunde so viel Vertrauen zu mir hatte, dass er mich das gute Stück durchlöchern ließ.
So hatte ich eigentlich schon immer ein Bein in der Elektronik und das andere in der Musik. Der nächste Schritt war somit gar nicht mehr so groß.
№5/6 2017
- Editorial
- Facts & Storys
- Modular Kolumne
- EVANESCENCE
- Im Gespräch mit Lars Eidinger
- HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
- Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
- Keys4CRO: Tim Schwerdter
- Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
- Bei Klavis in Brüssel
- BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
- Dexibell Combo J7
- DICKES BRETT: POLYEND SEQ
- Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
- Visionäre: MIDI In My Head!
- DIE ELKA-STORY
- Transkription: Michael Wollny
- Impressum
- Inserenten, Händler
- Das Letzte − Kolumne
Es ist schon erstaunlich, dass es sich lohnt, für den modularen Synthesizer zu produzieren. Es liegt wahrscheinlich daran, dass viele Musiker sich einen individuellen Sound für ihren Synthesizer wünschen. Das ist mit simplen analogen Kisten mit Minimal-Ausstattung (z. B. nur noch Attack-Release anstelle eines ADSR-Generators) kaum zu schaffen. Der Modular-Synthesizer ist aber teuer. Der hohe Preis, die Verkabelung, das technische Know-How, das schwer überschaubare Angebot von Modulen schreckt jedoch viele ab, die einfach nur ein Keyboard anschließen und loslegen wollen!