Im Gespräch mit Amy Lee – Evanescence
Zwischen 2003 und 2011 zählte die US-Formation um Sängerin Amy Lee zu den erfolgreichsten Rockbands der Welt. Die dreimillionenfach verkauften Alben Fallen, The Open Door und Evanescence wurden nicht nur mit zahllosen Gold- und Platin-Awards und zwei Grammys ausgezeichnet, sondern prägten auch das Alternative-Rock-Genre nachhaltig. Seit dem 10. November 2017 steht nun mit Synthesis das vierte Studioalbum in den Regalen.
Der aktuelle Longplayer, den die Band als ihr „bislang ambitioniertestes“ Werk bezeichnet, vereint zahlreiche Stücke des Evanescence-Back-Catalogues, die mit jeder Menge Orchester und verschiedensten elektronischen Klangerzeugern komplett neu aufgenommen und interpretiert wurden. Grund genug für ein persönliches Gespräch mit der sympathischen Sängerin, um ein wenig mehr über das Album und die Produktion zu erfahren.
Amy, bei Synthesis stehen neben der aufwendigen orchestralen Umsetzung der Tracks auch die sich mit diesen in ständiger Korrespondenz befindenden synthetischen Klanganteile im Fokus.
Wir hatten schon immer große David-Campell-String-Arrangements in unserer Musik, das ist ein wichtiger Teil unseres Sounds. Aus diesem Grund wollte ich dieses Mal genau diesen Aspekt unserer Musik besonders betonen. Neben diesem großen klassischen orchestrierten Sound sollte aber auch der elektronisch programmierte Teil gleichwertig vermehrt im Vordergrund stehen.
Das Album ist also eine Kombination aus Vergangenheit und Gegenwart und reicht, wenn man so will, von der Klassik bis in die heutige Moderne, was dieser musikalischen Welt letztlich ein wenig den Charakter eines Soundtracks verleiht. Die bisher sehr dominanten, fetten Gitarren haben wir bei dieser Produktion aktuell dann auch etwas weniger betont, was nicht heißt, dass die Band nicht immer noch ein großer Teil des Sounds ist − es ist nun eben etwas Synth-basierter als sonst.
Was die Gitarren betrifft, ging es mir dieses Mal darum, dass diese sich durch eine ausgesuchte Kombination an interessanten Pedalen noch besser in den orchestralen Klang einbetten. David Campell ist später sogar noch einmal hingegangen und hat komplett neue Arrangements geschrieben, und unter diesem Gesichtspunkt alles von Grund auf neu gebaut − ein sehr langwieriger Prozess, der trotzdem sehr viel Spaß gemacht hat.
Bei einem Albumnamen wie Synthesis kommt natürlich die Frage auf, welche Instrumente ihr für die elektronischen Parts benutzt habt.
Nun, ich selber war da eigentlich nicht direkt involviert, weshalb ich dafür auch keine Credits in Anspruch nehmen kann. Ich habe meistens nur die Ideen für Parts geliefert, deren Umsetzung dann unser Co-Produzent Will Hunt übernommen hat− nicht zu verwechseln mit unserem Drummer Will Hunt, der zwar denselben Namen hat, allerdings für die Percussions auf dem Album verantwortlich ist! Damit ich die beiden nicht verwechsle, hat unser Co-Produzent von mir den Spitznamen »Science« bekommen … Jedenfalls ist er derjenige, der in dieser verrückten Kraftwerk-Elektro-Welt zu Hause ist und all diese wundervollen Klänge zu verantworten hat. Ich selbst besitze einen Oberheim, einen Prophet und einen Moog Prodigy, aus denen wir viele Sounds verwendet haben, außerdem haben wir viel auf die Plug-ins von Native Instruments zurückgegriffen − die Sachen von NI klingen einfach großartig, und wir nutzen das Komplete-Paket extrem oft. Ich persönlich stehe außerdem total auf Moog-Bass-Synths. Aus diesem Grund kann man sowohl auf dem Album als auch auf unserer Tour Synths wie den Taurus oder Sounds aus dem Little Phatty hören.
Erzähl mir von deinem persönlichen musikalischen Background. Besitzt du eine klassische Ausbildung am Piano?
Ja tatsächlich, allerdings gehöre ich eher zu dieser faulen Sorte Musiker … Zwar hatte ich neun Jahre lang klassischen Klavierunterricht, habe dann schließlich aber angefangen, Rock zu spielen, und meinen Fokus komplett darauf verlagert. Aus diesem Grund ist dieses Album für mich auch eine fantastische Möglichkeit, mich wieder richtig in die Musik zu stürzen und mein Klavierspiel auf das nächste Level zu heben. Live benutze ich dann ein Grand Piano, allerdings muss ich gestehen, dass es bisher noch kein richtiges Piano war, sondern nur ein Keyboard in einer Flügelhülle.
Auf der nächsten Tour− ich vergesse immer, wie viele Musiker wir genau haben − sind im Schnitt 28 Orchestermusiker plus Band plus Programmierer und Produzenten dabei, und zur Krönung spiel ich dieses Mal ein echtes Grand Piano, welches mir Steinway freundlicherweise zur Verfügung stellt.
Wie hast du dich auf die Produktion und auf das Spiel mit dem Orchester vorbereitet?
Ich habe mich im Steinway Showroom in New York vorbeireiten können, was tierischen Spaß gemacht hat. Sie haben mir dort einen kleinen, mit einem Model D ausgestatteten Übungsraum zur Verfügung gestellt, welchen ich nutzen durfte. Das Piano ist im Übrigen dasselbe Modell, das ich auch auf den Aufnahmen für das Album gespielt habe − ein Steinway Model D ist einfach das coolste Piano. In dieser Umgebung konnte ich mich dann komplett auf meine Parts und auf mein Klavierspiel fokussieren.
Was steht denn bei dir zu Hause? Hast du ein Piano, auf dem du deine Songs schreibst und übst?
Zu Hause habe ich ein wunderschönes Baldwin-Piano, dass ich seit Jahren besitze und sehr liebe. Ich habe außerdem ein drei Jahre altes Kind, weshalb das Haus aktuell vollgestopft ist mit Kindersachen, Spielzeug und allerhand süßen Ablenkungsmöglichkeiten, weshalb ich es auch sehr genossen habe, bei Steinway einen Ort gefunden zu haben, der es mir ermöglicht, mich komplett zurückzuziehen.
Zu Hause arbeite ich oft in meinem eigenen kleinen Studio, welches mit einigen Keyboards und einem Pro-Tools-System ausgestattet ist. Der Raum hat zwar keine professionelle Akustik, dafür ist er vollgestopft mit Instrumenten. Wenn ich dort bin, setze ich mir meistens einen Kopfhörer auf und arbeite so an meiner Musik.
Eure Gitarristin Jen war letzten Monat auf dem Guitar Summit unseres Schwester-Magazins Gitarre& Bass, und ich glaube, alle haben sich ein wenig in sie verliebt, jedenfalls hörte man nur noch ihren Namen, sie scheint einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben …
Oh ja, Jen … Sie ergänzt unsere Band auf eine wundervolle Art. Jen ist durch und durch Musiker, spielt rund um die Uhr und ist ein absoluter Musik-Nerd. Nach unseren Vorbereitungen zum Album, wo wir besprochen haben, auf welche Art und Weise sich jeder einbringen wird, ist sie zum nächstbesten Musikgeschäft gegangen und hat den Verkäufer dort gefragt, was das skurrilste Instrument im Sortiment sei … Tja, sie ist mit einem Theremin rausgekommen und hat schließlich sogar einige Parts damit eingespielt.
Wer hat das Album gemischt? Bei so vielen Elementen klingt das nach keinem einfachen Job.
Oh ja! Das Album hat Damian Taylor gemischt, der im Vorfeld auch schon ein bisschen beim Programming geholfen hat. Er hat unter anderem bereits viel für Björk und Arcade Fire gearbeitet und ist einer dieser super kreativen, nerdigen Typen, die sich einfach mit komplexen Produktionen auskennen. Er kam zum Ende des Projekts hinzu und hat nochmal richtig »einen drauf gelegt«. Unsere Musik besteht aus sehr vielen verschiedenen Schichten, die für sich genommen alle recht unüblich und komplex sind, und Damian ist jemand, der das alles wirklich versteht. Seine Mixe haben das Album noch einmal auf ein ganz anderes Niveau gebracht.
№5/6 2017
- Editorial
- Facts & Storys
- Modular Kolumne
- EVANESCENCE
- Im Gespräch mit Lars Eidinger
- HÄMMERN MIT DEN GRANDBROTHERS
- Reisen & Neuanfänge: Lucy Rose
- Keys4CRO: Tim Schwerdter
- Klangbastler Enik & Werkzeugmacher Gerhard Mayrhofer
- Bei Klavis in Brüssel
- BACK TO THE ROOTS: AKAI MPC X
- Dexibell Combo J7
- DICKES BRETT: POLYEND SEQ
- Mr. Hyde & Dr. Strangelove jagen Dr. No
- Visionäre: MIDI In My Head!
- DIE ELKA-STORY
- Transkription: Michael Wollny
- Impressum
- Inserenten, Händler
- Das Letzte − Kolumne