Über die Entstehung des Mockumentary „Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte“
2012 machte das Comedy-Trio „Studio Braun“ um Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger einen Kino-Film: „Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte“ war eine fiktive Dokumentation über gleichnamige Elektro-Pioniere der 70er- und 80er-Jahre, die es nie gab. Aufgenommen wurden die Songs im „Geisterfahrer“-Studio, mit Synth-Technik aus den frühen 80ern, und mittlerweile ist das Trio sogar auf Tour. Ein Blick auf die Entstehung des Projekts.
Eine Wiedervereinigung, gar eine Tour? Er sei überhaupt nicht der Typ, der ständig rumjammert, aber es ist halt, wie es ist. „Ich hab Harnriss, seit zwar Jahren, beide Milzbacken entzündet. Und jetzt auch noch Verdacht auf Kongo-Zunge“, moniert Bernd Wand im Film „Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte“. Die Zeichen standen also nicht gut, wie ließe sich unter den Bedingungen auch nur an eine Rückbesinnung denken? Aber es kam alles anders, der Hypochonder Wand konnte überzeugt werden. Und mittlerweile sind sie sogar ganz real auf Tour.
Fraktus, das ist eine Erfindung des Hamburger Comedy-Trios „Studio Braun“. Ende der 90er-Jahre entstand die Idee, eine fiktive Dokumentation zu drehen über eine Elektro-Band aus Brunsbüttel, die in den späten 70ern Pioniere der elektronischen Musik waren, die eigentlichen Erfinder von Techno. Das Konzept erinnert in den Grundzügen an den 80er-Jahre-Komödie „Spinal Tap“, wo eine fiktive Rockband alle Klischees der Zunft durchlebt.
Bei Fraktus war Prominenz dabei: Scooter-Mann H.P. Baxxter, Jan Delay, Dieter Meier von Yello oder Stephan Remmler von Trio zollten ihren vermeintlichen Vorbildern im Film Respekt für die Pionierleistung. Das geschaffene musikalische Werk auf der Leinwand klingt ein bisschen wie eine Mischung aus Kraftwerk und D.A.F., NDW in Richtung Ideal oder dem „goldenen Reiter“ von Joachim Witt, dem abstrakten Minimalismus von Trio, kombiniert mit experimentellem Krautrock-Charme.
Studio Braun nutzt Fraktus als Vehikel für die eigenen Song-Ideen, darunter Titel wie Bombenalarm oder Pogomania. Der Film selbst ist skurril, grenzdebil und unterhaltsam: Das absurde Theater funktioniert besonders durch den typisch nordischen Humor, trocken, ein bisschen in Richtung Dittsche. Das Projekt kommt gut an: Die Tour, die sie im Zuge des Films gerade absolviert haben, war stark nachgefragt, teilweise ausverkauft. Der Film diente ihnen dabei nur als Startrampe für das Projekt.
Schamoni: „Die Band existiert. Und wenn du ein Konzert abliefern willst, dass nicht nur ein Remake vom Film ist, sondern die Leute mitnimmt, dann muss man ein funktionierendes Set haben: ein paar neue Songs einflechten und die alten bearbeiten, sodass es uns selbst auf der Bühne Spaß bringt.“
Den Soundtrack zum Film, ihre Songs, haben sie mit Produzent Carsten „Erobique“ Mayer bei Matthias Schuster aufgenommen, laut Schamoni der „Synthie-Papst Deutschlands“, in dessen „Geisterfahrer“-Studio. Dort wurde früher etwa „Fred vom Jupiter“ von Andreas Dorau eingespielt, und Schuster besitzt noch die komplette NDW-Peripherie, mitsamt alter Sequenzer und kompletten Synthesizer-Einheiten, das ganze Equipment von früher. „Wir haben so produziert, wie man 1984 produziert hat“, meint Schamoni. Nur auf die Bandmaschine als Aufnahmemedium haben sie verzichtet.
Die Songs sind bemerkenswert greifbar und glaubwürdig, klingen nicht nach „nachgereichten“ Kopien. Palminger: „Ein Aspekt ist, dass die Songs und die Produktion nicht am Reisbrett entstanden, sondern in der Interaktion.“ Und sie waren inhaltlich komplett frei: „Ideen wie Bombenalarm oder Affe sucht Liebe muss man auch erst mal zulassen, sich entwickeln lassen. Die würde man sonst vielleicht bereits im Anfangsstudium als beknackt verwerfen.“
Der Blick fürs Ungewöhnliche zeigt sich auch bei den Ideen für das Drehbuch: Um für eine Szene beim „Live-Comeback“ von Fraktus auf einer großen Open-Air-Bühne die Abneigung des Publikums als authentische Reaktion einzufangen, traten die drei Studio-Braun-Mitglieder kurzerhand 2007 inkognito auf und lieferten einen entsprechend stümperhaften Auftritt. Da gehört auch Mut dazu, eine Masse bei einem Festival bewusst gegen sich aufzubringen, und das ist dann auch nicht ohne. „Es gab zwei Aufzeichnungen“, erzählt Schamoni, „die erste war mittags, unangekündigt, da waren die Leute gelangweilt. Bei der zweiten ist der Hip-Hopper Das Bo ans Mikrofon und hat die Leute eingepeitscht, dass die Nerv-Band nochmal kommt.“
Mitten in dem Gig von Deichkind, um vier Uhr morgens. „Da hatten die Leute nullkommanull Bock drauf, dass ihr Konzert unterbrochen wird“, erzählt Schamoni. Dann hatten sie die Bilder, die sie brauchten. Allerdings gehören auch Nerven dazu, sich der ehrlichen, aggressiven Ablehnung mehrerer tausend Leute auszusetzen, die Gegenstände werfen. „Das war massiv!“
Die erste Idee zum Film kam ihnen bereits im Januar 1999. „Aber uns fehlten komplett die Möglichkeiten. Einen Film wollen ja viele machen.“ Es hat gedauert, das Geld aufzutreiben – 1,8 Millionen hat der Film insgesamt gekostet. Auch die Koordination sei anschließend nicht einfach gewesen. „Wenn man bei den ganzen Filmförderungen mitmacht, muss man entsprechend in den jeweiligen Bundesländern drehen, damit das Geld dort verarbeitet wird.“
Sieben Jahre Arbeit am Drehbuch, Wechsel von Produktionsfirma und Hauptdarstellern, die abgesprungen waren. Bis zum Film selbst sei es ein Hürdenlauf gewesen, dafür wurde das Ergebnis umso nachhaltiger. „Man hat Zeit, neue Songs beizusteuern, mit mehr Leuten zu sprechen, weitere Interviewpartner zu finden – das ist natürlich ideal für uns.“ Alex Christensen, dem U-96-Produzenten, haben sie das Drehbuch gezeigt. Als der erkannte, dass er völlig auf die Schippe genommen werden sollte, hat er das Konzept noch gesteigert. „Er meinte, er macht es, wenn er raushauen darf, was er möchte. Für uns war das ein Charts-Produzent. Wir hätten nie gedacht, dass der Selbstironie hat.“
Ob sie damit gerechnet haben, dass die Geschichte so abhebt, sich zum Selbstläufer entwickelt? „Wir hatten jemanden engagiert, der sich speziell darum gekümmert hat, um Twitter und Facebook. Der hat uns ein halbes Jahr vorher gesagt, was er genau an welchem Tag machen wird. Der hat gutes Material gehabt und das abgefeuert, das hat funktioniert“, erzählt Schamoni.
Für Strunk sind die beiden Geschichten, Fraktus als Band wie auch als Film, Beispiele dafür, „dass man überhaupt nichts kalkulieren kann“. Dass die Band abhebt, der Film aber nur ein Kritiker-Erfolg gewesen sei. Da widersprechen die anderen, einen Kritiker-Erfolg räumt Strunk letztlich ein. Es sei nicht zu vergleichen mit dem ganz normalen Ami-Standardkino, meint Schamoni.
Palminger: „Glücklicherweise hat – wie heißt nochmal dieses Backpfeifengesicht? – der mit dem breiten Kinn, der Zweiohrstaksi…“ – „Til Schweiger!“ (Schamoni) – „Der hat nicht mitgespielt.“ Am Ende steht eine entsprechend detaillierte Umsetzung, die überraschend ungezwungen ein früheres Lebensgefühl beschreibt. „Der Song Kleidersammlung ist ein Text aus meiner damaligen Band“, erzählt Strunk. Der sei Anfang der 80er entstanden. „Heute würde man das wahrscheinlich ähnlich machen, aber nicht genauso.“ „Neben der inhaltlichen Offenheit für Ideen spielte aber auch die Atmosphäre der Klänge, die Magie des Moments mit ihren Zufälligkeiten eine Rolle“, erzählt Palminger. „Wie Matthias Schuster sagt: ‚Du musst auch zulassen, dass die Maschine mit dir spielt.‘ “
Die Comedy-Truppe Studio Braun aus Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger fand in den 90er-Jahren über einen Produzenten zusammen – eine Plattenfirma suchte eine Gruppe für Scherz-Anrufe. Nach fünf CDs entsagten sie dem psychisch aufreibenden Telefondienst und widmeten sich anderen Formen von Comedy. Sowohl die Gruppe als auch jeder für sich verbuchten Erfolge: Heinz Strunk hat den Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ geschrieben, der anschließend verfilmt wurde. Von Rocko Schamoni stammt das Buch „Dorfpunks“, kürzlich ebenfalls verfilmt. Jacques Palminger arbeitete als Schauspieler am Theater und nahm mit seiner Band „Jacques Palminger & The Kings Of Dub Rock“ auf. Überhaupt war Musik ein gemeinsamer Nenner: Alle drei hatten professionell gespielt, komponiert, Alben veröffentlicht. Heinz Strunk war als Saxofonist in der Hamburger Musikszene unterwegs.