Live-Sequencing mit Yamaha Tenori-On
Das Tenori-On mit seiner originären Bedienoberfläche würde auch neben der Bedienkonsole des schnellsten Raumkreuzers der Galaxis eine gute Figur machen. Wie sich diese futuristische Musikmaschine mit Klangerzeugern und MIDI-Equipment des jungen 21. Jahrhunderts versteht, wollen wir an dieser Stelle etwas näher untersuchen.
Die besondere Faszination des Tenori-On geht von seiner direkten und intuitiven Bedienung aus, welche fast vollständig über die 16×16- LED-Tastermatrix erfolgt. Im Gegensatz zu gängigen Stepsequenzern sind die einzelnen Layer des Tenori-On polyfon einsetzbar. Zudem sind einige ungewöhnliche Sequenzing-Modi implementiert, die man in ähnlicher Form nur sehr selten antrifft:
Random-Mode: Step-synchrone zufällige Wiedergabe eingegebener Steps. Die Orientierung der Punkte kann in eine Drehbewegung versetzt werden. Y-Achse: Tonhöhe.
Draw-Mode: Alle Eingaben werden ohne Quantisierung so wiedergegeben wie gespielt oder eingezeichnet. Y-Achse: Tonhöhe.
Bounce-Mode: Die Töne „fallen“ Step-synchron vom vertikalen Eingabepunkt herunter, triggern den Sound, wenn sie die unterste Reihe treffen, kehren auf den Eingabepunkt zurück usw. XAchse: Tonhöhe.
Push-Mode: eine Art Sustain-Modus. Die hier getriggerten Sounds erklingen so lange, wie ein Button gedrückt bleibt. X-Achse: Tonhöhe.
Solo-Mode: Eingaben auf diesem Layer werden nicht aufgezeichnet. Quantisierung ist zuschaltbar. X-Achse: Tonhöhe. Das Tenori-On hat in seiner derzeitigen Software-Inkarnation allerdings auch einige Schwächen. Zunächst gibt es keine Dynamik. Alle Klänge werden mit Velocity 100 angesteuert. Es gibt keinerlei Swing- oder Groove-Quantize. Arbeitet man mit verschiedenen Layers, ist das beatsynchrone Umschalten per Hand durchaus eine Herausforderung. Aber die Gerüchteküche um ein Update brodelt ja bereits. Hoffen wir, dass Yamaha noch ein paar Verbesserungen vornehmen wird.
Einige der genannten Einschränkungen lassen sich mit ein paar kleinen Tricks umschiffen, um die intuitiven Performance-Eigenschaften dieses neuartigen Instruments für Studioproduktionen oder Live-Sets zu nutzen.
№2/3 2017
- Editorial
- Facts & Storys
- Modular Kolumne
- Mit Mark Forster auf Tour
- MANDO DIAO IM INTERVIEW
- Amy Lives: Xanthoné Blacq
- Ströme− Eurorack Clubbing
- MARIO HAMMER & THE LONELY ROBOT
- Peter Pichler: Bewahrer des Trautoniums
- NONLINEAR LABS C15
- AKAI MPC LIVE
- GIPFELSTÜRMER: NOVATION PEAK
- Auf Lichtung gesichtet: Bigfoot
- Gute Vibes im Museum
- DIE HOHNER-STORY
- Transkription − Chuck Leavell: Song For Amy
- Impressum
- Inserenten, Händler
- Das Letzte − Kolumne
Tenori-On als Inspirationsquelle
Gerade die speziellen Sequenzermodi erweisen sich als großartige Inspirationsquelle, durch die raffinierte Patterns und Variationen entstehen. Was liegt also näher, als diese Art des Pattern-Generierens auch in anderen klanglichen Umgebungen zu nutzen. Sind MIDI-Input und -Output das Tenori-On über das mitgelieferte Break-out-Kabel mit der MIDI-Schittstelle des Rechners verbunden, kann man mit der gewohnten DAW-Software diese frischen Ideen auch mit anderen Klangerzeugern nutzen. Auf diese Weise lässt sich das Aufgezeichnete gleich mit Dynamikdaten versehen, komfortabel arrangieren und beispielsweise das Grooveverhalten in Richtung Shuffle bewegen.
Damit das alles Beat-synchron funktioniert, muss einer der beiden Partner der MIDI-Clock-Master sein. In Ableton Live kann das Tenori-On diese Rolle in seiner Default-Einstellung als Master übernehmen. Dazu müssen in den Voreinstellungen beim MIDI-Port des Tenori-On die Funktionen „Sync“ und „Fernst.“ aktiviert sein. Dadurch passt sich der Hostsequenzer an das Tempo des Tenori-On an und startet die Aufnahme durch den OK-Button, der auch als Start/ Stop-Taster dient. Es empfiehlt sich, in Ableton Live unter „Bearbeiten/Quantisierung bei der Aufnahme“ „1/16-Noten-Quantisierung“ zu aktivieren, da durch die externe Temposynchronisation, die stets ein klein wenig schwankt, die Noten oft ein bisschen danebenliegen. Trotz aller Versuche, mittels MIDI-Clock-Sync-Verzögerung Differenzen auszugleichen, beginnt die aufgezeichnete Sequenz auf dem zweiten 16tel, was durch das Anpassen der Clip-Längen ausgeglichen werden sollte.
Lebendige Live-Sounds
Natürlich eignet sich das Tenori-On auch bestens für den Live-Einsatz. Synchron zum Ableton-Live-Set beispielsweise ist das schicke Gerät ein echter Hingucker, mit dem sich exzellent performen lässt. Hierzu lädt besonders der Solo-Mode ein, der komplex groovende Arpeggien erzeugt. Zeichnet man on-the-fly MIDI-Clips auf, hat man sehr schnell eine Sammlung an Sequenzermotiven und Patterns mit zahlreichen Variationsmöglichkeiten erstellt. Das Prinzip ist so einfach, dass es auch live funktioniert: Man setzte den Solo-Mode als Arpeggiator ein, dessen Output man ständig aufzeichnet, um daraus kleine Loops zu extrahieren. Dieser „Arpeggiator“ aber arbeitet eben doch sehr anders als Systeme, die man aus Synthesizern, Keyboards & Co. kennt und verdeutlicht einem unmittelbar, wie ein kleines Feature zu einer großen Sache werden kann.
Externe Sounds
Da das Tenori-On seine Sequenzen via MIDI-Out ausgibt, lässt es sich hervorragend auch als „Hardware-Stepsequenzer“ einsetzen. Mit seiner 16-fach multitimbralen Architektur und flexiblen Möglichkeiten der Klanggestaltung bot sich der in dieser Ausgabe getestete Blofeld (in der Tastaturversion, Test ab S. 38) für diesen Versuch geradezu an – ja sogar optisch passen die beiden Geräte ja recht gut zusammen.
Und siehe da: Vom Blofeld wiedergegeben, bekommen die Tenori-On-Patterns auch gleich eine andere Klangqualität. Kein Zweifel: Der Blofeld rockt! Auch wenn man mehrere Parts mit unterschiedlichen Sounds wiedergeben lässt, erzeugt der Blofeld einen plastischeren und deutlich druckvolleren Gesamtsound.
Und mit ein paar Tricks haben wir auch schnell ein paar Einschränkungen des Tenori-On kaschiert. Bei der Steuerung externer Klangerzeuger durch das Tenori-On bietet es sich an, die starre Dynamik der Sequenzen durch geschickte Auswahl beziehungsweise Programmierung der Sounds zu beleben. Beat-synchrone LFOs können hier auf vielfältige Weise zum Einsatz kommen, beispielsweise in Form einer Sample&Hold-Wellenform, die den Filter-Cutoff in 16tel-Schritten den Sequenzersteps folgen lässt, sodass jeder Step mit einem anderen Cut-off-Wert gespielt wird. Und schon kommt Bewegung und Lebendigkeit in die starre Tonfolge.
Dank der flexiblen Filterarchitektur können Sie Filtermodulationen drastisch einwirken lassen, z. B. mit überlagerten Random-Wellenformen auf Cut-off (LFO1) und Resonanz (LFO2), oder auch Modulationen der subtileren Art erzeugen: Setzen Sie Oszillator 1 und 2 im Stereopanorama auf die volle Breite, und wählen Sie die Stereo-Filter-Konfiguration. Über die Modulationsmatrix routen Sie nun LFO1 auf Filter-Cutoff 1 und LFO2 auf Filter-Cutoff 2. Die LFOs sollten bei dieser Anwendung nicht nur Beat-, sondern auch Keysynchron arbeiten, damit die Filtermodulationen auch auf den Step genau einsetzen.
Mit dieser Konfiguration kann man sehr gut herumexperimentieren: Unterschiedliche Modulationsstärken erzeugen z. B. schöne Stereobewegungen. Ebenso können Sie voneinander abweichende Geschwindigkeiten und/oder Wellenformen der beiden LFOs ausprobieren.
Dann wären da noch die Oszillator-Modulationen: Versuchen Sie doch mal, die Wavetables per LFO zu modulieren, oder probieren Sie einmal die Crossmodulation der Oszillatoren oder in Step-Geschwindigkeit gesteuerte Ringmodulation mithilfe des dritten Oszillators – ein weites Experimentierfeld tut sich auf, das Abtauchen in die Edit-Bereiche des Blofeld: der reinste Genuss!
Aber bleiben wir noch einen Moment bei den LFOs. Diese können Sie sehr gut nutzen, um das 1-Takt-Schema des Tenori-On aufzubrechen. Dazu lassen wir Beat-synchrone LFOs über längere Taktzyklen arbeiten. Sie können langsame Filtersweeps erzeugen, gezielt einzelne Aspekte eines Klanges beeinflussen oder einen Part ein- und ausschalten und somit Sub-Sequenzen und Permutationen erzeugen.
Externe und interne Sounds
Die ungewöhnlichen polyfonen Sequenzmuster prägen ihre Wirkung den externen Klängen auf höchst angenehme Weise auf. Klänge, die, anders angesteuert, keinen besonderen Zauber entfalten konnten, klingen auf einmal wertig und stimmig, als hätten sie bloß darauf gewartet, „tenorionisiert“ zu werden.
Auch hat die Tenori-On-Klangerzeugung ihre Vorzüge, und die meisten Tenori-On-Sounds lassen einen (im positiven Sinne) minimalistischen, futuristisch anmutenden Klangeindruck entstehen. Warum also nicht bei der gegebenen Kombination das Beste aus beiden Welten nehmen?
In der 16-Part-Konstellation sollen also einige Parts aus dem Blofeld und einige aus dem Tenori-On erklingen. Im Blofeld schalten Sie ungewünschte Parts mittels „Mute“ aus. Im Tenori-On gibt es eine solche Funktion nicht. Sie können aber einen „leeren“ User-Sound als Platzhalter einsetzen – Programmwechselbefehle gibt das Tenori-On in diesem Falle glücklicherweise nicht aus. Die ganze Szenerie können Sie aber in Performance-Speichern festhalten. Im Blofeld stehen dafür 128 Multi-Programme zur Verfügung, mit dem Tenori-On speichern Sie einen kompletten „Block“, der sämtliche Patterns und Part-Einstellungen berücksichtigt.
Ausblick
Das Tenori-On lässt sich weit vielfältiger einsetzen, als es die geschlossene äußere Erscheinung und der charakteristische Sound seiner internen Klänge erahnen lassen. Besonders im Verbund mit externen Synths und als instrumental spielbarer polyfoner Sequenzer im Live-Einsatz, kann das Tenori-On seine Stärken zeigen.
Auf jeden Fall lohnt es sich, mit externen Klängen zu experimentieren, denn zum einen lassen sich so die recht ähnlichen internen Klänge bereichern und zum anderen kann man den Möglichkeiten des restlichen Geräteparks neue Aspekte abgewinnen.
Das Tenori-On als „MIDI-Hardware-Sequenzer“ wird uns in der nächsten Ausgabe weiterhin beschäftigen, denn hier haben wir bislang nur einige wenige der vielen Möglichkeiten angerissen. Im zweiten Teil dieses Praxisartikels werden wir tiefer in die Modulationsverknüpfungen einsteigen und Anwendungen mit dem Nord Modular G2 zeigen.