Tiracon 6V – Der erste polyfone Synthesizer der DDR

Tiracon 6V Top

Ein Synthesizer aus der DDR – Die Geschichte des Tiracon 6V In den volkseigenen Betrieben (VEB) der DDR gab es für Auszubildende immer wieder spannende Projekte – wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. So auch in den 1980er-Jahren beim Jugendforscherkollektiv des VEB Automatisierungsanlagen Cottbus. Dort entstand der Tiracon 6V, ein polyfoner Analogsynthesizer, der 1987 veröffentlicht wurde.

Dass ein Industriebetrieb wie der AA Cottbus einen Synthesizer entwickelte und nicht der für Musikelektronik bekannte VEB Klingenthal (u. a. verantwortlich für die Vermona-Geräte), lag an einer Vorschrift der DDR, die alle Betriebe dazu verpflichtete, auch Konsumgüter herzustellen. Die Leitung des Projekts übernahm der engagierte Ingenieur Dieter Klingmüller.

Das Ergebnis war der Tiracon 6V – ein sechsstimmiger Synthesizer, der ab 1987 erhältlich war. Der Preis von 6.335 Ostmark machte ihn jedoch für die meisten Musiker unerschwinglich. Hauptsächlich fanden die Geräte ihren Weg über den DEMUSA-Vertrieb in sozialistische Bruderländer. Mit seinen sechs Stimmen war der Tiracon der erste „echte“ polyfone Synthesizer der DDR – wenn man Stringmachines wie den Vermona Piano String außen vor lässt.


Design und Ausstattung des Tiracon 6V

Der Tiracon 6V besticht durch sein robustes Metallchassis in einem militärisch anmutenden Grau. Die edlen Echtholz-Seitenteile verleihen ihm jedoch eine gewisse Eleganz. Das Bedienfeld ist minimalistisch gehalten und erinnert an den Korg Poly-800 – inklusive Joystick für Pitchbend, Filter- und Tonhöhenmodulation.

Bedienelemente und Features:

  • LED-Display: Drei zweistellige Anzeigen für Parameterwerte
  • Bedienung: Plus/Minus-Tasten für die Dateneingabe
  • Regler: Zwei flache Drehpotis für Oszillator-Modulation und Pitchbend-Intervall, sowie ein Lautstärkeregler
  • Sequencer: Zweispurig mit 250 Schritten
  • Speicherplätze: 32 Programme speicherbar
  • Zusätzliche Funktionen: Hold- und Chord-Memory-Funktion
  • Tastatur: 4 Oktaven, nicht anschlagsdynamisch

Anschlüsse auf der Rückseite:

  • MIDI-Trio (rudimentäre Implementierung: nur Note-On, Note-Off, Programm-Change)
  • Monofoner Ausgang
  • DIN-Kopfhörerbuchse
  • Kassetteninterface zur Datenspeicherung
  • Netzbuchse: Klein und speziell – erinnert eher an einen Rasierer als an einen Synthesizer
Tiracon 6V angle
Tiracon 6V angle

Klangarchitektur – Was steckt im Tiracon 6V?

Der Tiracon 6V bietet sechs Stimmen, wobei jede Stimme über einen spannungssteuerbaren Oszillator (VCO) verfügt.

Oszillatoren und Wellenformen:

  • Drei wählbare Oktavlagen
  • Bis zu vier simultane Wellenformen:
    • Sägezahn (4’)
    • Pulswelle mit modulierbarer Pulsbreite (8‘)
    • Zwei Rechteckwellen (8‘ und 16‘)
  • Rauschgenerator (White Noise)

Filter und Modulation:

  • Resonanzfähiges 24 dB Lowpass-Filter (pro Stimme ein eigenes Filter!)
  • Hochpassfilter (ein Filter für alle Stimmen)
  • Zwei Hüllkurven (7- und 8-stufig mit Level und Rate) für VCA und Filter
  • Drei unabhängige LFOs mit Rechteck, Dreieck und Zufalls-Wellenform für:
    • Oszillator-Tonhöhe
    • Pulsweitenmodulation
    • Filtereckfrequenz

Die digitale Steuerung übernimmt ein U 880 Prozessor – das DDR-Pendant zum weit verbreiteten Zilog Z80. Curtis-Chips sucht man vergeblich, stattdessen wurden Standardbauteile aus DDR-Produktion verwendet.

Tiracon 6V innen
Tiracon 6V innen

Klang – Wie klingt der Tiracon 6V?

Im Vergleich zum Korg Poly-800 klingt der Tiracon 6V wärmer, lebendiger und voller – was vor allem daran liegt, dass jede Stimme ein eigenes Lowpass-Filter besitzt.

Klangcharakteristik:

Organische Pads und Flächen – hier spielt der Tiracon seine Stärken aus
Sequencer-Sounds und Bässe – solide, aber keine ultratiefen Sub-Bässe
Aggressive Lead-Sounds – weniger geeignet

Ein weiterer Vorteil: Der Resonanz-Parameter bietet 48 statt nur 13 Schritte (wie beim Poly-800), was eine feinere Klanggestaltung ermöglicht.


Fazit: Eine Synthesizer-Rarität mit Charakter

Der Tiracon 6V ist eine absolute Rarität mit DDR-Geschichte. Seine eigenständige Klangarchitektur, das robuste Design und die polyfone Filtersektion machen ihn zu einem echten Geheimtipp für Sammler und Vintage-Synth-Fans.

Kurzüberblick:

  • Sechs Stimmen, eigene Filter pro Stimme
    Polyphoner, analoger Sound mit einzigartigem Charakter
    Step-Sequencer, Chord Memory und Joystick-Steuerung
    Robustes Gehäuse mit Echtholzseitenteilen

Contra:

  • Eingeschränkte MIDI-Funktionalität
  • Nicht anschlagsdynamische Tastatur
  • Ungewöhnliche Netzbuchse

Mit einer Produktion von 1987 bis 1989 und einem entsprechend hohen Preis war der Tiracon 6V nie wirklich ein Synth für die Massen. Doch heute ist er eine begehrte Sammler-Rarität mit großem historischem Wert – und zugleich ein faszinierendes Stück Ostalgie für alle Synthesizer-Fans.

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