Herbie Hancock: Der Dekaden Zauberer
Alle zehn Jahre überrascht uns der Tastenmagier Herbie Hancock, dem zwischen Klassik, Jazz und Pop nichts fremd ist, mit unerwarteten und stets kontroversen Produktionen, die ihm auf Grund der stilistischen Vielfalt eine große Fan-Gemeinde weltweit garantieren.
Hancocks „Saitensprünge“
Jeder sucht sich die Rosinen aus seinem kreativen Kuchen, und nicht selten gibt es Verrisse und Medienschelte, wenn sich eine ganz bestimmte Klientel nicht berücksichtigt fühlt. Trotz dieser „Saitensprünge“ ist Herbie Hancock für alle, die sich mit seiner Musik beschäftigen, ein Genie. Nach einigen Jahren der Mitgliedschaft im legänderen Miles Davis Quintett startete er 1965 sein Blue-Note-Debut mit den Releases „Takin Off“ und „Maiden Voyage“. Die letztere wurde zu einem Klassiker. 1975 hatte er seinen internationalen Durchbruch mit den „Headhunters“, einer Mischung aus Sly & the Family Stone und James Brown. 1985 „futureschockte“ er die Welt mit „Rockit“, einer Homage auf die entstandene Rap- und HipHop-Bewegung im Jazz. Die Strömungen des Neobop schließlich öffneten ihm wieder den Klavierdeckel, den er trotz aller HighTech-Manöver nie geschlossen hielt. Es kam 1995 zur Einspielung „Gershwin’s World“, einem wunderbaren Portraits des Komponisten, der die beliebtesten Jazzstandards der Welt lieferte. Und nun erhalten wir ein Pop-orientiertes und mit einem illustren Sängerkonsortium besetztes Kaleidoskop, das wohl weltweit alle Radioformate bedienen wird. „Possibilities“ heißt das Werk und demonstriert Herbie Hancock als Koordinator der Sanges Gezeiten.
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Starbesetzung
Obwohl alle Songs in radiotauglicher Länge produziert wurden, ist Hancocks musikalischer Spirit wie bei all seinen Produktionen zuvor stets ganz klar zu erkennen. Gesangs-Weltstars setzen den Rahmen für ein sehr ausgeschlafenes und der Sache dienendes Pianospiel, das geprägt ist von Sparsamkeit und Effektivität. Megastars wie Sting, Paul Simon, Angélique Kidjo, Annie Lennox, Christina Aguilera, Joss Stone oder John Mayer hätten es sich zu Beginn ihrer eigenen Karrieren bestimmt nicht träumen lassen, eines Tages die Produktion dieses Pianogiganten veredeln zu dürfen. Auch die Rhythmusgruppen sind aus Pop- und Jazz-Business zusammengestellt.
Von der gesamten Santana-Besetzung inklusive Chef bis zu John Patitucci wurden zahlreiche Größen als Musiker geladen, und dass Herbie Hancock sich immer noch was sagen lässt, entnehmen wir der Tatsache, dass neben dem Meister selbst noch die Keyboarder Greg Phillinganes und Michael Bearden mit von der Partie sind. Hervorzuheben sind der Song „Stiched Up“ von und mit John Mayer sowie Stings „Sister Moon“. Annie Lennox zeigt sich in noch nie da gewesener Eleganz, während Christina Aguilera mit der Leon-Russel-Ballade „A Song for You“ verzaubert.
Unser Autor Christoph Spendel traf Herbie Hancock anlässlich der Popkomm 2005 in Berlin, und das Gespräch bewegte sich mehr zwischen Business, Musikgeschichte und the Art of Piano Vocals Duo, sodass es kaum Raum gab, über ihn als Jazz-Pianisten zu sprechen. Wir haben für Hancock-Fans das Interview aus unserem Archiv gekramt!
Wer war der Mentor zur Idee der neuen CD „Posibilities“, und wer war außer dir mit der Auswahl der Songs und Musiker beschäftigt?
Vor ca. fünf Jahren entstand die Idee, eine CD mit Künstlern aus dem Pop-Sektor durchzuführen. Es schleppte sich allerdings in der Vorbereitungsphase alles etwas dahin, denn ich war mit sehr vielen anderen Projekten beschäftigt. Anfang 2004 ging es dann recht zügig in die vorbereitende Aufnahmephase. Glücklicherweise fand ich nach ein einigem Suchen sehr viele Mitstreiter, die mir halfen, die Infrastruktur dieses Projekts zu schaffen. Es war mir von Anfang an klar, dass ich bei dieser Produktion so viel Hilfe wie nie zuvor brauchte.
Die generelle Frage war: Sollte ein Produzent alles unter seine Fittiche nehmen, oder sollte jeder Song von verschiedenen Produzenten geleitet werden?
Mein Anwalt und ich heuerten eine Produktionsgesellschaft an, und dann ging es auf Song- und Musikersuche. Ich wollte keine CD mit Chart-Künstlern machen, die als „The Flavour of the Day“ galten, sondern ich wollte Sänger verschiedenen Alters. Carlos Santana, Annie Lennox, Sting und Paul Simon sind ja mehr meine Altersklasse. Bei den jüngeren Mitstreitern war mir wichtig, etwas nicht so schnell Vergängliches zu produzieren. Außerdem wollte ich unbedingt aus bereits bekannten Künstlern, egal welcher Altersklasse, das Unerwartete herausarbeiten. Mit Christina Aguilera war es beispielsweise etwas ganz Besonderes. Ich kenne sie schon sehr lange und weiß, zu was sie fähig ist. Ihre Balladen-Interpretation ist umwerfend. Die Songs haben die Sänger größtenteils selbst ausgesucht. Ich wollte ihnen so viel Freiheit wie möglich geben.
Wie weit hat das Ergebnis dich überrascht oder bestätigt?
Ich denke, wir haben mit dem Titel „Possibilities“ die Intension dieser CD am besten umschrieben. Ich hatte nicht damit gerechnet, wie die junge Britin Joss Stone als weiße Sängerin mit einem eigentlich schwarzen Sound den alten Song „Don’t Explain“ interpretiert. Auch habe ich Sting noch nie so singen gehört, und ihm ging es genauso.
Nach welchen Kriterien wurden die Sänger ausgesucht?
Zum Beispiel so: Die Aufnahmen zu der CD waren bereits voll im Gang, und parallel zu den Tonaufnahmen wurde ein Film gedreht: „the making of“. Einer der Kameraleute erwähnte den mexikanischen Sänger Raul Midón, der eine unglaubliche, an Stevie Wonder erinnernde Stimme hat. Ein paar Wochen später war Raul bei uns im Studio, und wir produzierten Stevies „I just called to say I love you“ in einer leicht reharmonisierten Version. Der Komponist selbst ließ es sich nicht nehmen, ein Mundharmonika-Solo beizusteuern. Auf einen Vorschlag von Carlos Santana hin luden wir die afrikanische, in Paris lebende Sängerin Angelique Kidjo ein. Die Recording-Session zum Stück „Safiatou“ glich einer Party. Es war unwahrscheinlich inspirierend, wie sich Angélique Kidjo in das Geschehen einbrachte. Ich wollte natürlich bei dieser CD nicht nur Name-Dropping veranstalten, sondern auch jüngere und weniger bekannte Sänger hinzu ziehen und hatte mich deshalb auch für Damien Rice, Lisa Hannigan und Raul Midón entschieden.
Wer war der Mentor zur Idee der neuen CD „Posibilities“, und wer war außer dir mit der Auswahl der Songs und Musiker beschäftigt?
Vor ca. fünf Jahren entstand die Idee, eine CD mit Künstlern aus dem Pop-Sektor durchzuführen. Es schleppte sich allerdings in der Vorbereitungsphase alles etwas dahin, denn ich war mit sehr vielen anderen Projekten beschäftigt. Anfang 2004 ging es dann recht zügig in die vorbereitende Aufnahmephase.
Obwohl „Possibilities“ eine Pop-orientierte Produktion ist, beschränkst du dich fast ausschließlich auf das akustische und überlässt den Keyboard-Part den anderen Akteuren …
Ich wollte mir den Rücken für die Grundidee freihalten: Klavier und Gesang! Diese CD sollte mich nicht nur als Pianisten widerspiegeln, sondern auch als Produzenten und Koordinator. Da ich parallel zu diesen Aufnahmen sehr viele Konzerte weltweit gespielt habe – und alle anderen Akteure dieser CD ja bekanntlich auch keine Langweile haben –, hat die Fertigstellung fast 18 Monate gedauert.
Wie weit konntest du dich von der instrumentalen Seite her in die Songs hinein versetzen?
Es war gar nicht so einfach. Als wir „Hush Hush Hush“ mit Annie Lennox in London produzierten, kamen wir nicht so richtig von der Stelle, und Annie hatte leichte Probleme mit der Interpretation der Lyrics. Also riefen wir die Komponistin Paula Cole in Los Angeles an, und nach einem kurzen Gespräch kam mehr Licht in den Song. Für alle Beteiligten war die Arbeit bei diesem Projekt ein großes Vergnü- gen, denn es lag ihnen keine Plattenfirma im Rücken, die einen neuen Mega-Hit als Nachfolger für einen bereits vorangegangenen forderte. Im Gegenzug waren alle Gesangs-Akteure auch nicht im Zugzwang, Chartorientiert zu denken.
Wenn du jetzt mit Sängern arbeitest: Hast du das Gefühl, dass die Kommunikation und speziell die Begleitung anders ausfällt als bei Instrumentalmusik?
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass es unter meinen ca. 50 eigenen CDs sehr wenig Material mit Sängern gibt. Deshalb war diese Geschichte für mich so eine Herausforderung. Die Intonation eines Instruments ist teilweise davon abhängig, welche Knöpfe man drückt. Die menschliche Stimme hingegen ist da natürlich etwas zerbrechlicher. Soloinstrumente wie Saxofon oder Trompete haben eine führende Eigendynamik, die auch ohne Begleitung auskommt. Sänger müssen mehr zu gewissen Dingen eingeladen werden. Eine große Ausnahme ist selbstverständlich Bobby McFerrin, der mit seiner Stimme wie mit einem Soloinstrument umgeht. Außerdem sind für mich die Lyrics für die Intensität meiner Begleitung ausschlaggebend. Ich mache seit meinem siebten Lebensjahr Instrumentalmusik, und dies ist eigentlich meine erste, voll auf die menschliche Stimme ausgerichtete Produktion. Viele Musiker, die zum ersten Mal mit Vocals arbeiten, kümmern sich wenig um die Lyrics. Ich gehörte früher auch dazu. Auch wenn die Texte in meiner Sprache waren, habe ich meistens nichts davon mitbekommen. Für das Publikum ist es natürlich anders: Die gesungenen Worte sind fast wie gesprochene, und das sollte sich jeder Begleitmusiker zu Herzen nehmen, wenn er das Publikum erreichen möchte. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht einfach ist. Seit meiner Zusammenarbeit mit Joni Mitchell hat sich meine Einstellung zur Gesangsbegleitung gravierend geändert. Es war für mich sehr lehrreich, ihr beim Arbeiten im Studio zuzuschauen. Nicht nur der Gesang, sondern auch die Worte dahinter sind für meine Tonauswahl entscheidend.
Wird es in absehbarer Zukunft wieder ein elektronisches Projekt mit dir geben?
Ich kann erzählen, was vor noch nicht allzu langer Zeit geschehen ist: Wir spielten auf einem Rock-Festival in Tennessee. Das Projekt hieß „Headhunters 05“. Mit von der Partie waren Marcus Miller am Bass, Terry Lynn Carrington an den Drums, Roy Hargrove – Trompete, Kenny Garret – Sax, der afrikanischer Gitarrist und Sänger namens Lionel Loueke, der auch das Arrangement zu Stings „Sister Moon“ schrieb, und schließlich John Mayer, der auf dieser Tour bereits seinen Song „Stiched Up“ mit mir ausprobieren konnte.
Wie sieht dein Instrumentarium aus?
Mein neues Keyboard-Flaggschiff ist das Korg Oasys.
Hast du vielleicht noch mehr Informationen für die Keyboardspielende Bevölkerung?
iMac G5, Logic mit seinen Plug-ins, Spectrasonics, Native Instruments, Vocal Planet mit Vocal-Samples aus der ganzen Welt, Ivory, das Piano Plug-in, finde ich hervorragend, und seinen String-Sound benutze ich auf „Possibilities“, GarageBand-Samples, Yamaha Motiv, und, und, und …