Die TR-808 und TR-909 programmieren
Auch in dieser Styleforum-Folge heißt es wieder „backe, backe, grooven“. Aus aktuellem Anlass dreht sich diesmal jedoch alles um die Programmierung von 808- und 909-Pattern.
Damit ist nicht gemeint, Pattern mit den Originalen selbst zu erstellen, sondern das Ganze soll auch für normal sterbliche Anwender nachvollziehbar sein, die modernes Handwerkszeug wie MIDI-Sequenzer, Synthesizer, Sampler oder GM-Klangerzeuger verwenden. Die Klangbeispiele, die auf der nächsten KEYBOARDS-interactive-CD-ROM zu hören sein werden, sind im Zusammenhang mit Novations DrumStation entstanden, die in diesem Heft getestet wird. Die MIDI-Files, die Sie schon bei Erscheinen des Heftes in der KEYBOARDS-Mailbox finden können, sind weitestgehend GM-kompatibel.
Was auf jeden Fall benötigt wird, ist ein Analog-Set, das – zumindest was die Basis-Sounds Bassdrum und Snare betrifft – sowohl 808- als auch 909-Sounds bietet. Einige Instrumente verfügen über eine solche Kombination, manche bieten separate Sets. Der Idealfall ist, was die Begrenzung auf GM-Geräte anbelangt, wenn editierbare Drum-Sets zur Verfügung stehen. Für die Wiedergabe der Pattern mit einem Sampler müssen die Sounds gemäß der GM-Vorgaben gemappt werden.
Da die Roland-Maschinen nicht nur das klangliche Bild in Techno- und Dance-Gefilden prägen, soll dieses Styleforum nicht ausschließlich diesen Stilrichtungen gewidmet sein. Vielmehr möchte ich Ihnen Rhythmus-Pattern vorstellen, die TR-808 und TR-909 zu Ruhm und Ehren brachten und meines Erachtens in stilistischer Hinsicht richtungsweisend waren bzw. es immer noch sind.
Standards
Gewiss wurde die TR-808 in unzähligen Elektronik-Produktionen eingesetzt. In der Popmusik wurde das Maschinchen allerdings erst durch die Balladen von Phil Collins berühmt. Zu nennen wären auf jeden Fall „One More Night“ oder „Another Day In Paradise“. Oft zitiert wird in diesem Zusammenhang „In The Air Tonight“, wo allerdings ein CR-78 tickert – übrigens auch eine wunderbare Roland-Maschine, die einen unnachahmlichen Charakter besitzt.
Da dieser Titel Wegbereiter für den Einsatz von Drumcomputern in der Popmusik war, soll er in dieser Styleforum-Folge nicht fehlen. Außerdem lässt sich das Pattern des Songs sehr gut mit Hilfe von 808-Sounds nachempfinden, denn neben der Ausstattung mit analogen Tonerzeugungen haben CR-78 und TR-808 eine gemeinsame Eigenschaft: sie erzeugen den Eindruck, dass die Zeit in anderen Dimensionen verläuft.
Um diesen Charakter mit aktuellen Klangerzeugern nachempfinden zu können, muss man bedenken, dass bei den Originalen nur zwei Dynamik-Ebenen zur Verfügung stehen. Neben dem Basis-Level gibt es die Möglichkeit, mittels ACCENT Betonungen zu programmieren. Um dieses Verhalten im MIDI-Sequenzer zu simulieren, muss man mit FIXED VELOCITY arbeiten. Die Accent-Betonungen können in der Event-Liste nachträglich eingetragen werden.
Hilfreich ist in diesem Falle das Hyperedit von Emagics Logic und die Drum- und List-Editoren von Steinbergs Cubase.
Noch mehr Verwendung fand die 808 im Soul-Bereich der 80er Jahre, ebenfalls vornehmlich in Balladen. Eine der Soul-Nummern, die diesen 808-Sound am meisten prägten, war „Sexual Healing“ von Marvin Gaye. Dieser Titel hat ebenfalls einen hohen Wiedererkennungswert, für den die 808 und nicht zuletzt das Pattern verantwortlich sind.
Der Groove ist zweitaktig gestaltet und wirkt aufgrund der „vertrackten“ Verteilung der Schwerpunkte etwas verhalten, was eine coole und zugleich heiße Atmosphäre entstehen lässt. Ein Widerspruch in sich? Ja, das ist Soul-Feeling in Reinkultur – entweder man fühlt es oder nicht. (Blöder Spruch für einen blasshäutigen Westfalen wie mich, aber stimmt doch, oder nicht?).
Die „Leading Instruments“ sind die Claves und die Hi-Hat. Die schweren Betonungen des Beats liegen auf den Zählzeiten „1“ und „2“ und werden von Bassdrum und Hand Clap erzeugt. Snare und Toms schmücken das Ganze mit Off-Beat-Varianten. Um den Groove etwas handfester zu gestalten, bietet es sich an, die Snare auf „2“ und „4“ zu legen und gegebenenfalls die Bassdrum-Linie bis auf die Accent-Betonungen auszudünnen. Durch diese Maßnahme „fließt“ der Rhythmus besser, behält aber den oben erwähnten Wiedererkennungswert.
Soul/House
Den nächsten Schritt taten Ende der 80er Ian Devaney und Andy Morris, die den Lisa-Stansfield-Titel „All Around The World“ produzierten: eines der Stücke, bei denen manche vielleicht dachten: „Den Sound hast du doch schon mal gehört, sollte das etwa diese alte Roland-Kiste, die damals wie Blei in den Läden stand … die 909?“. Die TR-909 wurde zu dieser Zeit von vielen Leuten wiederentdeckt, um nicht zu sagen von der gesamten Londoner Soul/Acid/House-Szene. Aufgrund des grandiosen Erfolges sorgte „All Around The World“ aber dafür, dass sich von nun an der 909-Sound in alle Ohren und Solarplexi auf der Welt einbrennen sollte. Der Drum-Beat setzt sich lediglich aus den Instrumenten Bassdrum, Snare, Hi-Hats zusammen – nur im Refrain-Part klappert zusätzlich ein 808-Rimshot. Wenn man einmal vom Intro- und Bridge-Part absieht, benötigt man nur drei Pattern: Strophe, Refrain und ein Fill-In, das eine Variation der Snare bringt.
Acid/House
Die 808-Sounds zu haben kann nie falsch sein, aber ohne 909-Set geht hier gar nichts. Im Gegensatz zu den im Barry-White-Stil angelegten Soul/House-Pattern sind die Acid/ House-Grooves durchgängiger gestaltet und aufgrund der vorwiegend minimalistischen Elemente in Bass-, Akkord- und Sequenzer-Lines deutlich mehr „spacy“.
Basis des Grooves ist eine an den Viertelzählzeiten orientierte Bassdrum, die kurze, prägnante Impulse setzt – schön „tight“ und „punchy“ soll’s klingen. Wie dafür geschaffen ist eine 909-Bassdrum, die höher gestimmt und mit knapp gehaltener Decay-Phase die gewünschten Druckstellen erzeugt.
Um den Schwerpunkten auf den Zählzeiten „2“ und „4“ nicht mehr Gewicht zu verleihen als nötig, macht es sich gut, anstelle einer Snare den Hand Clap zu verwenden. Ich bevorzuge dafür den 909-Clap, da er schlanker klingt als der 808-Clap und in diesem Falle besser seinen Zweck erfüllt.
Einen sehr wichtigen Part übernehmen die Hi-Hats, wobei das Augenmerk auf der Closed Hi-Hat liegt – die Open Hi-Hat schlürft beständig in den 8tel-Offbeats. Die Closed Hi-Hat variiert diese Bewegung mit 16tel-Betonungen, die – und das macht das sogenannte House-Feeling aus – angeswingt sind. Kommt eine Snare hinzu, sollte sie ähnlich wie die Bassdrum in Tuning und Ausklingphase getrimmt werden. Die Schwerpunkte zu betonen ist nicht unbedingt erforderlich, 16tel-Phrasierungen sind effektvoller. Im übrigen ist es sinnvoll, mehrere Pattern zu verwenden, die unterschiedlich instrumentiert sind. Sehr gut machen sich mittels Toms und Congas erzeugte (Minimal-)Motive, die die Spannung des Beats etwas lockern. Empfehlenswert ist es, die Sounds ein wenig nachzubearbeiten. Da die Toms und Congas der 808 im Vergleich zu den 909-Sounds recht harmlos klingen, tut ein wenig Übersteuerung nur gut. Das lässt sich wie folgt erreichen:
– Die einfachste (und auch wirkungsvollste) Methode setzt voraus, dass ein analoges Pult und ein Klangerzeuger mit Einzelausgängen vorhanden sind. Zum gewünschten Resultat kommt man mit Übersteuerung des Kanaleingangs und gegebenenfalls durch Zugabe eines Distortion-Effekts.
– Stehen die oben genannten Elemente nicht zur Verfügung, sollten Sie nachschauen, was die integrierte Effekt-Sektion Ihres Instruments an Distortion- oder Overdrive-Effekten zu bieten hat.
>>> Jetzt die neue KEYBAORDS 1/2017 Electrified versandkostenfrei bestellen! <<
Die wichtigsten Themen im Überblick:
Modular-Kolumne: Schneider ist Schuld
MARK REEDER: Der Wegbereiter des Hypno-Trance im Interview
MARC ROMBOY: Stellare Ausflüge mit dem Produzenten, DJ und Label-Inhaber
Live und Modular: MAX LODERBAUER im Interview
Interview mit DAPAYK & PADBERG über ihr Urban-Pop-geprägte Album Harbour
RHYTHMICON — LOCHSCHEIBEN-GROOVES von Leon Theremin
Behringer DEEPMIND 12 − Klassisch inspirierter Polysynth
Digitale Wiedergeburt: U-HE REPRO-1
GROOVE-PRODUZENTEN-TRIO: Pioneer Toraiz SP-16, Arturia DrumBrute, Roland TR-09
Desktop-Synthesizer: Korg MONOLOGUE im Test
Bastl Instruments: KASTL – Semi-modularer Zwerg
Vintage: Seltene und seltsame Rhythmusmaschine – EKO COMPUTERHYTHM
Transkription – DAVID BENOIT: Gothic Jazz Dance
Das Letzte − Kolumne
Rave
Hier geht’s schon etwas rauher zu. Gefragt sind harte Beats, wobei selbst die Sounds der analogen Vorbilder nicht genug hergeben und noch weiterer Korrekturen bedürfen als im vorausgehenden Kapitel beschrieben. Um den „Amsterdamned-Sound“ zu erzielen, muss vor allem die Bassdrum dran glauben. Die Übersteuerung kann wie gesagt durch „Überfahren“ des Mischpultkanals oder Distortion erreicht werden. Regeln gibt’s dabei nicht, auch der Umweg über diverse Röhrenverstärker, Equalizer und Compressor sollte in Erwägung gezogen werden. Vielleicht will auch der alte Fuzz-Fußtreter entdeckt werden, der in Onkels Geräte-Schuppen als Löthilfe für Klinkenkabel sein Dasein fristet. Mit anderen Worten: Wenn Sie es nicht probieren, werden Sie es niemals erfahren. Charakteristisch für Rave sind nicht nur der knochige Sound, sondern auch schnelle, treibende Beats. Die Tachonadel bewegt sich hier zwischen 150 und 200 bpm.
Der Drum-Groove allein sagt wenig über die Stilistik aus. Den weitaus wichtigeren Teil besorgen die zumeist statischen Bass- und Sequenzer-Figuren. Bevorzugt werden Reso-Sounds von der 303, die ebenfalls verzerrt rüberkommen dürfen – mehr darüber gibt’s in einer der nächsten Styleforum-Folgen. Auf dem Papier sieht der Groove recht harmlos aus, lediglich Bassdrum, Open Hi-Hat und Hand Clap sind im Geschäft. Es sollten 909-Sounds verwendet werden, wobei zu beachten wäre, dass die Open Hi-Hat schön knapp (Decay) ist und differenzierte Akzente setzt.
Sehr wichtig sind auch die Variationen der Bassdrum, die nicht – wie dargestellt – permanent wiederkehren sollen, sondern in größeren Takt-Zyklen eingefügt werden können. Der Hand Clap kann auch gegen die Snare ausgetauscht werden. Letztere hat übrigens innerhalb der Fill-Ins ihren wichtigen Auftritt. Zum Einsatz kommen vorwiegend 16tel- und 32tel-Rolls, die mit steigender Dynamik ordentlich Schub machen sollen. Freilich kann man versuchen, die Snare-Fills von Hand in den Sequenzer zu „hacken“. Ich ziehe diesem mühseligen Verfahren die Step-Eingabe per Hyper-Edit (Logic, Notator) vor