Yello Sound-Wizard Boris Blank
Boris Blank gehört zu den Größen der elektronischen Musik. Sein Signature-Sound ist der Sound des kongenialen Schweizer Duos Yello, welcher in der Entwicklung der Popmusik in den 80ern eine große Rolle spielt. Für Boris Blank kein Grund, sich auf Lorbeeren auszuruhen — nach rund 30 Jahren mit erfolgreichen Charthits, kunstvollen Musikvideo-Clips und immer wieder aufregenden Klangexperimenten bringt er nun mit Electrified sein erstes Solo-Album heraus.
„Elektrifiziert“ könnte man hier auch direkt mit „infiziert“ gleichsetzen, denn Boris Blanks Faszination für Beats und Sounds kann man sich kaum entziehen. Seine Musik klingt ultraelektronisch, ohne aber spröde Elektronik mit experimentellem oder gar akademischem Ansatz zu sein. Boris Blank produziert elektronische Popmusik in Reinform – und auch die Tracks des neuen Albums tragen unverkennbar seine Handschrift: präzise Beats, tiefe Räume, weite Flächen – garniert mit sehr clever arrangierten Kleinigkeiten lassen die Stücke pures Kopfkino entstehen.
Klang, Bild, Kopfkino
Dass er bei seinen Kompositionen bildorientiert arbeitet, mag man schon anhand der verrückten Video-Clips vermuten, für die Yello bekannt ist. Tatsächlich sagt er selber von sich, kein versierter Keyboarder zu sein, der seine Tracks nach allen Regeln der Kunst einspielt: „Mir geht es vor allem um die Stimmung – ich bin ja kein Virtuose, der mit Harmonien arbeitet. Ich nutze alles an Sounds. Wenn ich an den Punkt komme, wo ich feststelle, es hat die Form, einen gewissen Bo gen“, fährt er fort, „dann fängt für mich die Arbeit an. Jetzt achte ich darauf, dass die Sounds sich in den Frequenzen nicht stören, das alles seinen Platz im Mix bekommt. Dann arbeite ich wirklich akribisch an den Details.“
Wichtig ist ihm dabei die Transparenz. Boris bezeichnet sich selbst grundsätzlich als einen Bildmenschen, dem es wichtig ist, dass die Hörer sich in die Stimmungen seiner Stücke begeben können. Vor allem sollen sich die Hörer darin zurecht finden“, betont er. Es soll wahrnehmbar sein, was sich z. B. ganz hinten links ganz leise im Mix bewegt, was sich extrem links und rechts abspielt. Es muss die Möglichkeit geben, sich in diesem Bild aufhalten zu können, sich in das Bild hineinzustellen. Ich will keine zweidimensionale Wand! Ich liebe eine gewisse Transparenz und Begehbarkeit. Sicher wird das aber jeder auf seine Weise interpretieren.
Das bildhafte Arbeiten liegt mir sehr. Du kannst mir eine Situation beschreiben – etwa Paris 1959, einsame Straße, Reflexionen im regennassen Asphalt, Schwarzweiß-Fotografie usw. –, dann versuche ich, das umzusetzen. Du kannst mir auch einen Kandinski vorsetzen, und ich kann das für mein Gefühl umsetzen, aber das heißt ja nicht, dass jeder beim Hören des Stücks genau das auch nachempfinden kann. Wie auch immer – für mich sind Bilder in der kreativen Phase sehr nützlich, um meine Bildwelt letztendlich in Musik umzusetzen.
Protagonisten, Nebenschauplätze und kleine Zwerge
Dabei kann man Boris Blanks Klangbilder sicher nicht mit Stillleben vergleichen, denn seine Tracks sind voller Leben. Alles scheint ständig in Bewegung zu sein. Diese kleinen Elemente machen Boris Blanks Tracks spektakulär. Man kann tief in diese Mikrogrooves abtauchen und entdeckt immer wieder neue Varianten seiner Noises, Bleeps & Cuts. Das Ganze ist dabei ständig in Bewegung, immer wenn man gerade meint, das System durchschaut zu haben, ist schon wieder eine neue Variante da. Boris Blank betont, dass diese Elemente immer Nebenschauplätze sind, die das Bild vervollständigen.
Am wichtigsten ist ihm neben der Stimmung der Groove eines Stücks. „Der Puls ist für mich der Mittelpunkt der Musik, darauf baue ich auf. Mit der Zeit kommen die Protagonisten, Nebendarsteller oder kleinen Zwerge hinzu – wie auch immer man das nennen möchte. Bis das Bild komplett ist, aber das Fundament ist immer der Rhythmus.“
Boris Blanks Equipment hat sich in den letzten Jahren immer weiterentwickelt — er ist stets mit der Technik gegangen. Analoge Synthesizer und vor allem die Sample-Maschine der 80er, der Fairlight, gehörten zu seinem Instrumentarium. Inzwischen arbeitet er komplett im Rechner, auch wenn sich in den beiden Racks links und rechts einige Sampler und Synth-Module befinden. Auf seinem G5 Mac laufen Apple Logic Pro und einige Plugins.
Ausgewogenheit vs. Chaos
Beeindruckend ist tatsächlich die Ausgewogenheit, in welcher Boris die Basis-Elemente und Nebendarsteller im Mix arrangiert und positioniert. Ebenso begeistert mich dennoch immer wieder, mit wie viel Liebe zum Detail alles bearbeitet ist. Hier scheint nichts dem Zufall überlassen, oder doch? „Das sind alles winzige Fragmente, die sich in unzähligen Ordnern auf meiner Festplatte verstecken. Es sind oft Patterns und Loops, die ich irgendwann mal angefangen, aber nicht weiter ausgearbeitet habe. Irgendwann aber passt es dann in ein Stück hinein, sozusagen als Nebenrolle. Es ist etwas, das im ersten Moment dann nicht so plakativ wahrgenommen wird, sondern erst beim Hinhören. Es drückt auch eine gewisse Verspieltheit aus, was, wie ich meine, ein wichtiges Element ist. Gefährlich finde ich es, wenn diese Dinge zu sehr monoton werden oder gar pedantisch wirken, es muss für mich immer etwas Verspieltes haben, das eine gewisse Unordnung zulässt, so ein kleines Chaos …“
Und doch wirkt alles geradezu minutiös austariert, und Boris Blank hat bei seinen instrumentalen Stücken ein präzises Storytelling, so scheint es. Kein Wunder, dass viele ihn als einen Perfektionisten betrachten. „Ich empfinde es aber fast schon als Schimpfwort, wenn die Leute sagen, ich sei ein Perfektionist. Ich bin natürlich irgendwo auch ein Perfektionist, nicht aber in der kreativen Phase. Wenn ich anfange mit einem Stück, bin ich ein Chaot und arbeite mit vielen verschiedenen Fragmenten, mit Sounds und Patterns, die ich in tausenden von Ordnern einmal abgelegt habe, so wie ein Eichhörnchen, das Nüsse vergräbt. (lacht) Wenn die Grundstruktur und das Tempo stimmen, dann platziere ich die Elemente wie in einem Patchwork. Und am Schluss entsteht ein Klanggebilde, was mich oftmals selber überrascht.“
Wie aber kann man der Versuchung widerstehen, nicht zu viele Elemente zu verwenden? Gerade wenn man auf einen so großen Fundus an Sounds zurückgreifen kann wie Boris Blank? „Das passiert mir natürlich schon, aber ich habe auch inzwischen die Erfahrung, um zu wissen, wann etwas zu viel ist, was ein Stück braucht und wann es fertig ist.“
Analog vs. Digital
Als wir Boris das letzte Mal in seinem Studio besucht haben, sah es noch sehr anders aus: Um ein großes Mischpult herum sah man viele Synthesizer aus den verschiedensten Epochen, Effekte und sogar analoge Bandmaschinen. Das Studio ist kaum wiederzuerkennen und im Prinzip reduziert auf Audiorechner und DAW. Die Frage, ob er die analogen Synthesizer vermisst, beantwortet Boris mit ironisch-prahlerischer Geste:
„Ich hab sie alle gehabt! (lacht) Nein wirklich, ich habe über die Zeit natürlich einige tolle Synthesizer und Geräte gehabt. Die Geräte, an denen ich nicht so hänge, habe ich aber wieder weggegeben, nicht aber z. B. meinen Arp Odyssey. Es ist einer meiner ersten Synthesizer, und er hat mich von Anfang an immer fasziniert. Ansonsten bin ich aber nicht jemand, der den Geräten hinterherweint. Ich finde, wenn man gute Ohren hat, dann kann man heute auch mit vielen Plug-ins gut arbeiten.
Schon damals, als es mit den Synthesizern losging, haben mich einige recht despektierlich belächelt: ‚Was machst du da mit diesen elektronischen Dingern? Das hat doch keine Zukunft!‘ Damals habe ich aber schon gesagt, dass ich an die Zukunft glaube. Ebenso möchte ich auch heute mit der Zeit gehen und verwende selbstverständlich Plugins ohne Hemmungen. Ich nutze die neuste Musiktechnologie, die es gibt, und ich glaube an die Entwicklung.“
Ob es ihn stört, dass er genau das gleiche Instrumentarium nutzt, das für jeden erschwinglich und lediglich einen Download entfernt ist, beantwortet er gelassen: „Diese Instrumente bieten so viele Möglichkeiten, einen eigenen Sound zu entwickeln. Wir können dieselben Plugins benutzen, aber es kommen völlig unterschiedliche Sachen dabei heraus, wenn man damit arbeitet.
Als meine Yellofier-App herauskam, habe ich auch immer wieder gehört, jetzt könne ja jeder meinen Sound machen usw. Erstens ist mir das egal, zweitens: Was du hören willst, das hast eben nur du in deinem Kopf. Du sampelst ein paar Sounds über das Mikrofon und machst damit wieder neue Patterns. Ich bekomme immer wieder Sachen geschickt, die andere Musiker mit Yellofier gemacht haben, das ist wirklich total überraschend.
Wer gute Ohren hat, kann heute auch mit vielen Plugins gut arbeiten. Dies sind Boris Blanks Lieblingstools.
Ich habe das auch immer dabei und sample, wo immer auch ich interessante Klänge entdecke. Nur ein Beispiel. Ich habe mit Yellofier ein Stück gemacht, das wirklich niemand hat. Dazu habe ich, als ich in Lissabon im Nautik-Museum war, aus dem Lauf einer Kanone, die auf dem Schiff von Vasco da Gama war, Geräusche gesampelt. Da musste ich aufpassen, dass mich niemand dabei erwischt, denn ich musste erst einen Holzzapfen entfernen, der die Laufmündung verschloss.“
Sogleich startet er das Pattern in Yellofier, und ein Beat mit einzigartigen perkussiven Resonator-Sounds ertönt. „Hör die das an! Die Kanone von Vasco da Gama! Das ist doch Wahnsinn!“, freut er sich wie ein kleines Kind. „Hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, die Idee gleich aufzunehmen, wäre das nie zustande gekommen. Deswegen ist es mir so wichtig, eine Idee so schnell wie möglich umsetzen zu können. Einige meiner Yellofier-Patterns sind auch wiederum die Basis für ein neues Stück geworden, das kann ich dann im Rechner weiter bearbeiten, man kann ja die Sounds per E-Mail versenden.“
Lieblingstools
Nächste Frage also: Welches sind die Plug-ins, mit denen seine Tracks entstehen? „Ich habe mich sehr mit den neuen Synthesizern für Reaktor von Native Instruments beschäftigt, Prism und Razor vor allem. Die haben wirklich gute knackige Sachen drauf. Man braucht aber ein bisschen Zeit, die zu justieren. Zum Beispiel der Bass von Electrified: Das ist nur so ein tiefer Boden, der aber auch Obertöne hat. Auch wenn du es ganz leise hörst, kannst du alles daran wahrnehmen, vor allem auch, dass er richtig Dampf hat.
Native Instruments Prism und Razor sind anfangs ein wenig schwierig zugänglich wegen ihrer etwas seltsamen Architektur, aber sie entlocken mir immer Entzückungen. Auch Spark finde ich super, und er wird auch immer wieder eingesetzt. Es gefällt mir, damit zu arbeiten. Für meine Beats verwende ich immer wieder den Microtonic von Sonic Charge. Ein toller Drumsynthesizer mit Step-Sequenzer.“
Boris spielt ein paar seiner Patterns ab – es klingt unverwechselbar nach Yello – und hier kommen dann auch schon die vielen kleinen Noises, Scratches und Clicks zum Vorschein.
„Auch von Sonic Charge benutze ich den Bit Speek und Permut8. Camel Audio Alchemy finde ich auch super. Sehr schön für atmosphärische Sachen – auch das Effektgerät Camel-Phat ist super.“
Signature-Sound
Boris Blanks Stücke haben immer Größe, Weite und Tiefe. Er ist ein wahrer Meister darin, der Musik Dimension zu verleihen. Die Tracks wirken oft dreidimensional und niemals überfrachtet, sie haben aber trotzdem unheimlichen Schub und Punch.
„Man muss einfach auch herausbekommen, welche Klangvorstellung man hat und welche Instrumente dafür zu einem passen. Wichtig ist, dass man damit schnell und intuitiv arbeiten kann.“
Sein Signature-Sound entsteht durch viel Arbeit am Detail. „Es kommt ganz selten vor, dass ich einen Sound so lasse, wie er ist. Es kann schon mal vorkommen, dass ich einen ganzen Tag mit der Justage eines Bass-Sounds verbringe. Außerdem kann ich auf einen großen Fundus eigener Sounds zurückgreifen. Ich habe auch noch Aufnahmen von meinen ersten Soundtüftelein von den Revox-Bändern. Da ist natürlich einiger Rubbish dabei, wo die Bänder teilweise gar nicht mehr spielbar sind. Und doch überrascht einen immer wieder die Klangqualität.“
Elektronik früher und Heute
Yello wird oft mit der Entstehung von Techno in Verbindung gebracht. Es gibt hier natürlich unzählige Einflüsse, aber generell darf man Yello bzw. Boris Blank zu den einflussreichsten Protagonisten in der Entwicklung der elektronischen Musik zählen. Er begegnet dem aber eher mit dem Understatement eines Gentleman: „Ich höre z. B. sehr oft, Kraftwerk und Yello wären die Urväter von Techno. Das empfinde ich eher aber so: Kraftwerk wollten ja die Maschinen sein und haben eine eher kühle Ästhetik entwickelt. Mit Yello wollten wir – ganz andersherum – den Maschinen etwas Menschliches entlocken. Damals habe ich Kraftwerk erst gar nicht gemocht, weil es auf mich so statisch wirkte – heute dagegen finde ich es genial, was die gemacht haben.“
In dem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, wie sich seiner Meinung nach die Elektronische Musik geändert hat in den letzten Jahren. „Vielleicht werde ich auch einfach älter, aber ich finde, es existiert in der Musik heute nicht mehr diese klare Linie von Signifikanz wie damals, wo Sachen wirklich neu erfunden und entdeckt wurden. Es gibt schon eine Entwicklung in der elektronischen Musik, die völlig weggeht von der konventionellen Art von Verse, Bridge, Refrain – was ich gut finde. Aber sonst ist es ein Brei von Mainstream. Es ist eher zu bedauern, was man im Radio hört. Ich bekomme den Eindruck, es fehlt vor allem an Mut.“
Electrified Crowdfunding
Man sollte es kaum glauben, aber Electrified ist tatsächlich Boris Blanks erstes Solo-Album. Wenn man beim Durchhören der Stücke den Eindruck bekommt, es klinge wie der Soundtrack seines Lebens, liegt man nicht ganz falsch, denn „die Stücke auf der Platte stammen aus einer Sammlung von Ideen und Tracks, die in verschiedenen Schaffensprozessen über die Jahre liegengeblieben sind. Ich habe hier noch ungefähr hundert Stücke, die es nicht auf eine Yello-Platte geschafft haben – aus irgendwelchen Gründen: Es war nicht gut für Dieter zu besingen, oder es war nicht genug Yello-signifikant, es war zu orchestral, es war zu kitschig … was auch immer. So hat sich über die Jahre ein gewisser Fundus angesammelt, und auch nur deshalb ist das Projekt des Solo-Albums entstanden.
Vor etwa drei Jahren traf ich unseren alten Freund Ian Tregoning (Do It Records, London) wieder. Zu dieser Zeit befand sich dieses Studio sehr im Wandel. Als Ian all das Material sah, das sich auf diversen Speichermedien befand – Mastertapes, Festplatten, Betamax und zum Teil sogar sehr alte Aufnahmen auf Musik-Cassetten aus der Zeit vor Yello –, sagte er zu mir: ‚Boris, we have to do something with all that material.‘ So ging es los, wobei er mir auch sehr geholfen hat, die Stücke auszuwählen. Denn bei den ganz alten Sachen habe ich mich doch ein wenig geniert beim Hören, es klang für meine Ohren einfach zu sehr verspielt und fast naiv, wenngleich es schon die DNA von meinem Leben danach enthielt – auf jeden Fall klar bildhaft. Daher kam auch schnell die Idee, die Stücke mit Bildern bzw. Videos zu inszenieren. Die Sonderedition des Albums enthält neben drei 180- Gramm-Vinyl-Platten auch eine Kassette, mehrere CDs und eine DVD mit fantastischen Video-Clips.“
Finanziert wurde die Produktion der Box per Crowdfunding bei Kickstarter. „Anders wäre das sicher nicht machbar gewesen, man findet heutzutage keine Plattenfirma, die das machen würde.“