Alles geht! Endlich wieder!

Superbooth16 und die Modular-Renaissance

Anzeige
Superbooth5
Joker Nies & Jörg Sunderkötter im Gesprächskonzert (Bild: Paul Pape, Jörg Sunderkötter, Markus Thiel)

Es gibt Bilder im Kopf, die bleiben. Darth Vader, der »Ich bin dein Vater« röchelt, Thelma und Louise, die in ihrem Thunderbird auf die Klippe zurasen, die Spiegelszene aus »Tanz der Vampire« vielleicht und … nun ja: junge Männer (und eine Handvoll Frauen) im besten Schaffensalter, die sich auf der Superbooth16 mit glänzenden Augen über Maschinen beugen, denen man sich noch vor Jahren bestenfalls in einem weißen Kittel genähert hätte − oder im Falle, dass man zufällig James Bond ist, mit einer Knarre im Nacken. Leute, deren Gesicht sich aufhellt, als träten sie ins Elysium, wenn ihre Ohren in einen dichten akustischen Kosmos aus Bleeps und Blurps, kranken Bassläufen und allerlei Gezirpe und Gepinge aus dem Giftschrank der Niederfrequenztechnik eintauchen. Im alten Berliner Funkhaus, aber 2016! Was zum Vactrol ist da los in der Musikszene?

Für alle, die die Entwicklung der elektronischen Mucke der vergangenen Jahrzehnte in den düsteren Treppe-runter-dann-links-Geheimtipp-Konzertkellern dieser Republik verfolgt haben, liegt die Antwort auf der Hand: Modular ist derzeit heiß wie der Sirius, und Dinge, die man sich in die notorisch größer werdenden Eurorack-Cases (oder die größeren 5U-Klaus-SchulzeFormat-Schränke) schrauben kann, werden einem von ihren Herstellern dargereicht wie kostbares Manna. Und von ihren Nutzern ebenso ehrfürchtig entgegengenommen.

Anzeige

Dabei ist modulares Klängemachen eigentlich so modern wie Telegramme schreiben oder »Bezaubernde Jeannie«-Frisuren tragen: Die ersten Kistensynths tauchten ja schon in den 60er-Jahren in den Tonstudios dieser Welt auf. Und diese Schränke mit ihrem Jules-Verne-Charme waren noch alles andere als die Instrumente, mit denen Progrock-Bands später die Konzerthallen der Erde zum Bröseln brachten: Eigentlich waren sie entwickelt worden, um den allerverschrobensten Ultra-Nerds, die sich damals in Instituten wie dem San Francisco Tape Music Center mit Elektronen-verwendender Musik beschäftigten, das umständliche Kleben von Tonbändern abzunehmen. Nicht vergessen: Zu dieser Zeit hatten die Transistoren gerade mal angefangen, die störanfälligen Röhren abzulösen; elektronische Musik machte man damals zum Beispiel mit Sinusgeneratoren in Hammerschlagoptik, die man sich bei Rundfunktechnikern … nun ja: auslieh, wie zum Beispiel beim WDR in Köln. Da war ein Nussbaumholz-Kabinett, aus dem Sinustöne tröteten, die man auch noch vollautomatisch zu komplexeren Klanggebilden türmen lassen konnte, in etwa so großartig wie die Erfindung des Internets. Nur dass sich damals weltweit vielleicht drei Leute dafür interessierten.

Superbooth1
Andres Schneider (Bild: Paul Pape, Jörg Sunderkötter, Markus Thiel)

In Bayern wird der Modular neu erfunden, und zwar in einem verschlafenen Nest am westlichen Stadtrand von München. San Francisco, New York, Gräfelfing − und jetzt die ganze Welt: So muss man die Story des Modularsynths lesen, seitdem Dieter Doepfer vor rund 20 Jahren auf die Idee kam, die Sache nochmal ganz von vorne aufzuziehen, VCO, VCF, VCA & Co. auf ein handliches Postkarten(»Eurorack«)-Format zu schrumpfen und − schaut euch den Irren an! − das Modular-Wesen neu zu ersinnen.

Heute erzählt Doepfer, wie das damals war, als er mit den ersten Eurorack-Modulen auf der Bildfläche erschien: »Vor 20 Jahren haben mich Leute gefragt, was ich mit diesen Teilen auf der Musikmesse will. Aber dann haben sich um die ersten 15 A-100-Module regelrechte Trauben gebildet.« Wohlgemerkt: Bis dahin war der Mann eher für Masterkeyboards und MIDI-Interfaces bekannt. Und jetzt das!

Superbooth2
Dave Smith (Bild: Paul Pape, Jörg Sunderkötter, Markus Thiel)

Endlich ging wieder, was Anno Dampfmaschine ganz selbstverständlich war. Wer Lust hatte, guckte einfach mal, was passiert, wenn man ein wenig mit invertierten Filter-Ausgängen spielt (macht zum Beispiel einen Lowpass mal eben zum Highpass oder ergibt allerlei lustige Kombinationen von Kerb- und Bandpass-Filtern) oder irgendein Modul etwas ungewöhnlich verschaltet, indem man ein VCO-Signal einfach mal in den CV-Eingang steckt (gerade wenn es um Modulationen in hörbaren Frequenzbereichen geht, wischt echt analoge Technik mit VA-Synths den Boden spiegelblank) oder fiese Spielchen mit Gate-Signalen treibt oder Keyboard-CVs durch Effektpedale dreht oder eine Hüllkurve durch einen schnellen LFO triggert oder, oder, oder. Und die Crowd stieg darauf ein. Und kam nicht mehr raus.

Die Eurocrack-Falle schnappt zu, denn Dieter Doepfer hatte mit seinem A-100-Modular-System genau den richtigen Zeitpunkt gewählt: Wenn er zu Beginn auch selbst überrascht war vom Erfolg seiner Idee (»Ich habe mich oft gefragt: Wer kauft das ganze Zeug eigentlich?«) − es sind nicht nur die mittlerweile zu Geld gekommenen 70er-Jahre-Berliner-SchuleFans, die sich seine Module ins Rack stopfen. Denn die YouTube-Videos langhaariger Flokati-Musiker, die Kabel in riesige Telefonschränke rammen, waren nur die Einstiegsdroge. Eine andere dürfte der Analog-Tsunami der vergangenen Jahre gewesen sein, der Tonnen kleiner, handlicher Analogsynths in die Läden und auf die Bühnen gespült hat. Davon zeigt sich zum Beispiel Aidan Taylor vom britischen Luxus-Synth-Hersteller Modal Electronics beim Gespräch auf der Berliner Superbooth überzeugt: Irgendwann frage sich eben so mancher Jung-Knöpfchendreher, wie zum Beispiel sein Dark Energy oder Arturia Microbrute wohl mit einem zweiten Oszillator, einem weiteren LFO oder einer neuen Hüllkurve klingen mag.

Was übrigens auch für die andere Seite der Theke gelten kann, denn auch die Modulentwickler sind, wie sich zeigt, oft Musiker, nur eben solche mit Lötkolben. Zum Beispiel Justin Owen von Abstract Data: Der Mann hatte wie viele andere eines Tages einfach keinen Bock mehr, mit dem Computer Musik zu machen. Also: Case her, ein paar Module rein und los. Ist Analogtechnik denn besser als die digitale? »Nein, nicht besser … Es hat mit dem Musikmachen zu tun. Ein Modularsynth ist ein Instrument, mit dem mir das Spielen einfach Spaß macht«, erklärt Justin. Inzwischen hat er einen ganzen Satz schicker Module auf dem Markt und träumt davon, irgendwann einen kompletten Synth-Signalpfad vom eigenen Reißbrett am Start zu haben. Bis dahin zieren sein persönliches Rack noch zahlreiche Module anderer Hersteller − aber es sieht auch nicht so aus, als würde er die irgendwann rausschmeißen. Warum auch?

Superbooth3
Max Loderbauer (Bild: Paul Pape, Jörg Sunderkötter, Markus Thiel)

Einfach das passende Modul bauen, dachte sich auch Chris Randalln von Audio Damage, der ursprünglich mal mit Plug-ins gedealt hatte. Der Umgang mit Software begann ihn irgendwann einfach furchtbar zu langweilen: »Es ist einfach befriedigender, etwas in der Hand zu haben. Man hat da eine direktere Beziehung zu seinen Produkten …«, erklärt er. Auch er und seine Kollegen bauen in erster Linie Module, die sie für ihre eigene Musik brauchen. »Wenn uns ein spezifischer Sound vorschwebt, designen wir uns einfach das passende Produkt.«

Wie Justin und Chris darf man sich viele Modular-Anbieter also als engagierte Musiker vorstellen, die in Notwehr halt irgendwann zum Lötkolben gegriffen haben und sich selbst bauen, was man so braucht, um die Klänge von hinter der Stirn zum Leben zu erwecken. Und wenn man damit noch Gleichgesinnte glücklich machen kann: warum nicht?

Und es stimmt ja: Wer sich damit auskennt, hat heute Möglichkeiten, die vor wenigen Jahren noch Science-Fiction gewesen wären − wie etwa Gert Jalass von der Telefonschrank-Modularsynth-Schmiede Moon Modular berichtet, bei der sich inzwischen Leuten wie Hans Zimmer eindecken: Chip-Datenblätter, nach denen man früher lange fahnden musste, findet man heute im Internet, die Platinensoftware gibt’s umsonst und selbst für die Herstellung der Schaltungen muss man längst nicht mehr seinen Porsche verkaufen.

Im Prinzip ist es das Unberechenbare, das den Charme der Szene ausmacht. Inzwischen gibt es gefühlt mehr Modular-Anbieter als es vor zehn Jahren überhaupt Eurorack-Module gab. Für einen kleinen, allerersten Überblick genügt ein Klick auf die Homepage von Schneiders Laden am Kottbusser Tor in Berlin, dessen stolzer Inhaber Andreas Schneider sich zäh einen guten Ruf als Oberdealer der Modular- Abhängigen erarbeitet hat − auch wenn mittlerweile sogar die ganz großen Stores der Branche mit Kabelträgern von Doepfer & Co aufwarten. Auch dies ist ein klares Zeichen, wie sehr das Thema Modular mittlerweile in Fahrt gekommen ist.

Bei Allen J. Hall von AJH-Synth (England) bekommt man die Schaltungen der ersten MinimoogModelle fürs Eurorack − gefühlvoll nachmodelliert, bis hin zu den authentischen Versorgungsspannungen und Envelope-Macken; Tony Rolando von Make Noise (Asheville), der Über-Nerd der Szene, ersinnt schräge Schweizer Taschenmesser-Module wie das Maths, das so viel kann, das man über das Ding eine Doktorarbeit schreiben könnte. Olivier Gillet von Mutable Instruments (Frankreich) schreckt − wie einige andere − nicht einmal mehr davor zurück, digitale Algorithmen Eurorack-kompatibel aufzubereiten: Sein Braids- Oszillator steckt gestandene VA-Synths in die Tasche, mit Oliviers Clouds geht sogar Granularsynthese, natürlich via Steuerspannung kontrolliert. Intellijel Designs (Kanada) bietet alles von der vollständigen Synth-Stimme fürs Rack bis zum begnadeten Sequenzer. Dank TipTop-Audio aus Hollywood kann man sich mittlerweile sogar einen Hall-Prozessor ins Rack schrauben, gegen den der breite Vangelis-Space wie Badezimmer gegen Kölner Dom klingt. Selbst Dave Smith Instruments, mit Poly-Boliden wieder fest im Markt, macht mittlerweile in Eurorack.

Superbooth4
Simonne Jones live auf der Superbooth16 (Bild: Paul Pape, Jörg Sunderkötter, Markus Thiel)

Ach, eigentlich gibt es nichts, was es nicht gibt − bei Bastl Instruments aus Tschechien bekommt man sogar Module mit Holz-Panel (!) − und jede Woche erscheint etwas Neues, an das noch niemand gedacht hat. Und selbst Herr Schneider hat nicht alles: Die Selbstbau-Schaltungen etwa von Music Thing Modular muss man bei Thonk in England kaufen (Tipp: Radio Music − Samplespieler und ideales Futter für Granularflächenweber), anderes bekommt man als Europäer gar nur in YouTube-Videos aus Neukaledonien zu Gesicht. Aber die Szene ist, dank Internet und weltweit bespielter Foren wie Muffwiggler, eh international: Sonst würde sich der ganze Aufwand für die vielen kleinen, weltweit verstreuten Küchentisch-Firmen auch gar nicht lohnen.

Aber was sind das eigentlich für Leute, die Modular 2.0 unterwegs sind? Der Unterschied zwischen Modularistas und, sagen wir: den Kollegen von der Saitenfraktion wird schon im Musikladen augenfällig. Wildes Posen und Haare schütteln: Das geht den gemeinen Eurorack-Nerds eher ab. Was natürlich auch daran liegen kann, dass nur die Wenigsten beim Grübeln über die korrekte Verkabelung sexy aussehen wollen oder können − Keyboarderschicksal eben! Für Steven Grimley-Taylor von Thonk ist die Modular-Szene generell stark auf Kooperation angelegt, weil man als Modularist von Haus aus eher experimentell angelegt ist − für das übliche Synth-Zeug würden ja ein alter Minimoog und zwei Klavierstunden reichen. Und Klangforscher tauschen sich nun mal eher aus als Adrenalin-Junkies, denen es letztlich nur auf die Marshallturm-Föhnfrisur ankommt.

Ob das so bleibt? Roland zum Beispiel hat ja bereits vor einem Jahr das Eurorack für sich entdeckt und den Nerd-Space mit Modulfutter wie Demora, Scooper, Bitrazer, Torcido und dem schicken System-1m fürs Eurorack heftig in Wallung versetzt − und aktuell sogar einen Wiedergänger seines antiken Modularsynths als Systems-100m in den Läden. Gut möglich, dass die Manager irgendwann mitbekommen haben, wo auf der Musikmesse wirklich die Szene dampfte: nicht an den Ständen der üblichen Verdächtigen, sondern in der Modular-Analog-Stromkult-Superbooth, die Andreas Schneider in Frankfurt über Jahre auf die Beine gestellt hatte.

Zumindest auf absehbare Zeit wird das Modularunterwegs-Sein aber noch eine Sache bleiben, die Ein-Mann-Unternehmen, notorische Geldverbrenner und kreative Freaks unter sich ausmachen. Die sich auf Events wie der Superbooth treffen und einander ihre Träume und schönsten Schaltungsideen erklären. Etwas Besseres kann der elektronischen Musik nicht passieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.