Elektronik für Singer-Songwriter
Ja, früher, da war alles einfacher. In den 1980ern…
ABBA musste man »irgendwie doof« finden, die Stones waren schon damals irgendwie Rentner, und David Bowie … hach ja, der war auch schon mal besser gewesen, man muss es so sagen. Hat er ja selbst. Wer dagegen irgendwie progressiv war, hörte stattdessen Ideal und Ska und diverses Punk-Zeug. Und wer richtig, richtig progressiv unterwegs war und sowieso gegen alles, der konnte selbst da nicht stehenbleiben. Der wandte sich Männern und Frauen zu mit melancholischem Blick, kariertem Hemd, wirrem Haar − und einer Gitarre in den Händen …
Singer/Songwriter: Das war noch bis um die Jahrtausendwende ein Metier, in dem ganz traditionell gezupft und gestrummt wurde, bis das Schummerlicht in der Kneipe kuschelig wirkte wie die letzte Abendsonne am Baggersee nach dem Ostermarsch. Bässe kamen vom Kontrabass, Tasten kannte man in dieser Szene höchstens am Akkordeon oder − wenn’s hoch kam − vom Klavier. Wobei Klavier spielen zu können einen schon mal in den Verdacht brachte, vielleicht ein verkappter Arztsohn oder Verbindungsstudent oder Schlimmeres zu sein. Dann doch lieber Kontrabass.
Steckdosen-Instrumente sind nicht mehr bäh. Ja, Folks, das waren die Zeiten, in denen Songs aus Klangerzeugern, in denen Elektronen schwingen statt Luft, als »Steckdosenmusik« verunglimpft wurden. Und mindestens so No-Go waren James Last oder Richard Clayderman − Künstler, die allerdings − anders als Kraftwerk etwa − zu Recht nicht unvergessen geblieben sind. Trotzdem: Wer etwas zu sagen hatte über die Leiden der Liebe oder die ungerechte Welt, der musste klampfen, bis die Saiten rissen.
Wer es also mit der großen Zeitmaschine des Lebens aus den Öko-Kneipen der 80er in die Gegenwart geschafft hat, ohne seine Vorurteile abzulegen, der dürfte jetzt eine harte Zeit haben. ABBA ist nicht nur erlaubt, sondern Kult, die Trümmerstücke dessen, was vom Punk übrig geblieben ist, werden auf Regierungsparteitagen gespielt − und wer sich heute in angesagten Kneipenhinterzimmern mit 70er-Jahre-Tapeten das Leben erklären lassen möchte, erblickt auf der Bühne junge Leute mit melancholischen Blick, die ganz selbstverständlich ihren Microkorg und einen MS-20 auspacken, damit sich der Weltschmerz dank des einen oder anderen elektronischen Flokatis und Rechteck-Gebimmels etwas kuscheliger anfühlt. Oder wenigstens avantgardistischer. Berührungsängste gegenüber den Steckdosen-Instrumenten, die zur Not sogar mit Atomstrom klar kämen: Nee, keine mehr, absolut nicht. Warum?
Eine Ausnahme: Zu teuer sollten sie nicht sein − nicht, dass man am Ende für die verwöhnte Tochter eines Börsenmaklers gehalten wird. Aber ein wenig Panzertape, das das räudige Gehäuse des Ebay-Schnäppchens zusammenhält, schafft da schnell die nötige Szene-Credibility. Außerdem muss das Equipment Rucksack-kompatibel sein, damit es ins Gepäcknetz des Intercitys passt. Was teure Boliden wie Korgs Kronos oder Yamaha Montage ja schon im Vorfeld ein wenig ausschließt.
Runter mit dem Elektronik-Etikett. Obwohl: Wer weiß? Denn selbst hier sind die Zeiten durchlässiger geworden. Wer im Eiscafe aus heiterem Himmel von James Blakes Sägezahnsägen-Jammeriade Retrograde aus dem Diesseits geschraubt wurde und froh war, Shazam dabei zu haben, der konnte den Mann auf YouTube später mit einem leibhaftigen DSI Prophet ’08 unter den Fingern bestaunen. Textlich durchaus als Songwriter unterwegs − auch wenn manche vielleicht die fröhliche Schwermut eines, sagen wir: Hannes Wader vermissen −, vom Instrumentarium her aber offenbar eher Jim Gilmour, Keyboarder bei SAGA, einer in den 80ern angesagten Streifenleggins-undlange-Haare-Rockband. Für seinen Prophet-5 hätte Gilmour damals gefühlt 28 akustische Gitarren bekommen. In eine typische Kleinstadt-Kulturkneipe hätte er es damit aber trotzdem nicht geschafft. The Times They Are A-Changin’ …
Und jetzt? »Ich habe irgendwann einfach aufgehört, das Etikett ›Elektronik‹ zu benutzen«, sagt heute, mit einem Blick zurück auf die wilde Zeit noch vor zehn Jahren, die Solinger Künstlerin Eela Soley, die sich als »Pattysplanet« mit ätherischen Stimmschichtungen per smart eingesetztem Looper einen Namen gemacht hat und seit etwa 2010 mit eher improvisierter Musik unterwegs ist. Ihr irdisches Setup ist gleichwohl elektronisch geblieben: Neben eindeutig ur-analogen Blasinstrumenten wie Flöte und Sopransaxofon in Hallwolken greift sie immer wieder auch zu einem Yamaha-Blaswandler und schart Laptop (mit Ableton Live), iPad sowie eine kleine Menagerie von MIDI-Controllern um sich, um ihre Hollywood-Abspanntauglichen Klanglandschaften unter die Leute zu bringen. In ihrem Studio stehen zwar echte Synthesizer-Perlen wie Oberheim-Synths und sogar ein Waldorf Microwave – Version I selbstredend – aber auf die Bühne damit − nee. Der Rucksack-Faktor halt, auch hier zählt er.
Aber das Problem, das Eela anspricht, kennen viele, die nicht gerade mit Four-to-the-floor-Rumtata unterwegs sind: »Noch vor zehn Jahren dachten alle, Elektronik wäre automatisch Techno.« Wer dann mit feinnervigem Audio aus dem Wandler statt mit 909 und Roland-Säge vor der Crowd stand, sah schon mal in lange Gesichter.
Yello statt Bob Dylan. Aber deshalb zur abgerockten Klampfe voller Aufkleber seeliger Songwriter-Festivals greifen, damit es keine Verwechslungen mehr gibt? Das muss dann doch nicht sein − obwohl Eela Soley gerne auf Gitarren komponiert, Saitenklang sehr mag und natürliche Klänge liebt. Aber auf der Bühne mischt sie eben ganz selbstverständlich auch Elektronen drunter: »Der elektronische Sound hat mich immer fasziniert! Ich glaube, das fing damals mit Yello an − ich höre die Platten heute noch. Irgendwann habe ich festgestellt, dass die Klänge, die ich am tollsten fand, von einem PPG Wave kamen.«
Das dürfte vielen ähnlich gehen. Aber wie verklickert Eela ihrem Publikum, das sich in jüngerer Zeit meist aus Vernissage-Besuchern rekrutiert, was sie da macht? Ohne das Kind beim Namen zu nennen? »Ich versuche zum Beispiel, die Wirkung zu beschreiben, ›Musik für die Seele‹ oder ›zum Schweben‹.« Wer wissen wolle, was sie am Start habe, der klicke sich heutzutage eh kurz bei YouTube oder iTunes rein und wisse dann Bescheid.
Denn es stimmt ja: Wer sich in den 70er/80erJahren mit Gitarre und Weltschmerz im Bauch aus – zudrücken suchte, der hatte Bob Dylan im Kopf, und wenn nicht den, dann auf jeden Fall Leute, die ohne Gitarre so wenig zu denken waren wie eine Friedensdemo ohne »Atomkraft Nein Danke«-Sonne. Aber warum sollte sich heute jemand, der mit einer ganz anderen Klangästhetik aufgewachsen ist, zum Instrumentenpark seiner Großeltern neigen?
Gibt ja genug Hosentaschen-Elektronik, die im Bandbus unterm Strich obendrein weniger Platz weg nimmt als eine Dreadnought − vorausgesetzt, im Club gibt es eine kleine Anlage, in die man sich einstöpseln kann. Wenn man nicht James Blake ist, machen Mini-Synths wie Korgs Volca-Serie, Arturias Micro-Brute oder das diverse Kleinklein von MFB − vielleicht zusammen mit einem Arturia Beatstep Pro − schon mal einen netten Kontrabass untenrum. Falls man nicht gleich alle Schallereignisse aus dem Laptop holt − was den Zuschauern allerdings eher weniger Ansatzpunkte für eine emotionale Bindung zum Musiker bietet. Dazu Flächen und Atmos vom Handy oder von irgendeiner verschraubten iPad-App, vom mittlerweile zum Klassiker gereiften Microkorg oder von Rolands Boutique-Jupiter − gerade mal so groß wie das Xte Buch von George R.R. Martin, das man nach dem Auftritt liest, um runterzukommen. Dann noch ein Mini-Mischpult und ein paar schicke Bodentreter aus der Geheimtipp-Abteilung des Musikladens dazu − und schon ist man gepflegt im Spiel.
Andererseits: Was ist mit dem »Der Mann mit der Gitarre vs. der volle Konzertsaal«-Feeling, wenn der Songwriter mit Stil die Elektronen − bzw. Bits − tanzen lässt? Keine Sorge, geht auch. Ging, ehrlich gesagt, sogar 1983 schon. Ulla Meinecke mit Zigarettenhalterstimme, Pfff-Klick-Tsch-Drummie, Fingerschnippen und ein brennender Edo Zanki am legendären GS-1, mit dem Yamaha seinerzeit mal gucken wollte, ob sich für sowas seltsames wie FM-Sounds überhaupt Abnehmer finden. Gestatten: Die Tänzerin. Hat gereicht. Über 30 Jahre. Geht doch.