Zwischen Jazz-Avantgarde und Beastie Boys

Im Interview: Pianist und Keyboarder Jamie Saft

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(Bild: ARCHIV)

Von der ersten Sekunde an fesselt sein Spiel! Nicht die überdrehte Virtuosität beeindruckt, sondern der zauberhaft weiche Ton, der scheinbar ohne jede Kraftanstrengung in stoischer Versenkung präzise aus der Tastatur gemeißelt wird.

Egal, ob akustisch oder elektrisch, wenn Jamie Saft in die Tasten haut, dann hört man einen Klangästheten. Kein Wunder, dass seine musikalische Mittäterschaft von Jazzmusikern ebenso geschätzt wird wie von HipHop- und Reggae-Musikern. Ja, man kann sie manchmal wirklich nicht mehr hören. Diese maximal scharf intonierten Steinway-Flügel dieser Welt – die einem oft die Ohren zerbretzeln und die leider auch in jedes Digitalpiano als Preset 1, 2 und 3 Einzug gehalten haben. Aber selbst aus einem Piano mit kahl rasierten Hammerköpfen würde Jamie Saft noch einen warmen, kantablen Ton zaubern. Wie? Er erzählte es uns in einem Telefoninterview, das 30 Minuten dauern sollte – und aus denen höchst anregende zwei Stunden wurden!

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Jamie, beim Hören deiner Aufnahmen ist mir dein Anschlag aufgefallen – besonders bei deinen Solopianostücken. Dein Ton ist vergleichsweise weich und rund, aber dennoch prononciert und artikuliert.

Ja, darauf bin ich schon öfter angesprochen worden. Mir selbst fällt das übrigens gar nicht auf. Doch, es ist schon bemerkenswert.

Hast du eine bestimmte Klangvorstellung?

Eigentlich nicht, ich versuche nicht, einen bestimmten Toncharakter zu erzielen, ich bin nicht auf der Suche nach einem bestimmten Klangergebnis.

In Livevideos fallen deine sehr gerade Körperhaltung und eine eher ruhige Handführung auf, wenig ausladende Bewegungen. Ist das Ausdruck einer bestimmten Technik?

Ich weiß, worauf du hinaus willst. Die Körper- und Handhaltung sind das Resultat meiner Herangehensweise an das Instrument, sowohl physisch als auch geistig. Daraus ergibt sich meine Spielweise, und die führt wohl zu dem – wie du sagst – runden Ton.

Erzähl uns ein wenig mehr davon.
Mein Lehrer hat mir früh empfohlen, mich mit den physikalischen Aspekten des Instrumentes auseinanderzusetzen.

Wie wird der Ton erzeugt?
Wie bewege ich die Taste, welches Prinzip der Kraftübertragung wirkt, welche Parameter stehen zur Verfügung? Man sollte sich die Gleichung „Kraft = Masse x Beschleunigung“ genau ansehen und auf den Vorgang des Klavierspielens übertragen.

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Wie sind die beiden Faktoren beim Spiel erfahrbar? Wo werden Massen bewegt, wie werden sie beschleunigt, was ist der Effekt?

Der Finger und die Taste sind Massen, mit den Muskeln beschleunige ich die Massen. Das Üben bestand bei mir oft darin, stundenlang einfache Tonfolgen oder Akkorde zu spielen und dabei bewusst mit den Finger die einzelnen Parameter zu variieren. Auf diese Weise werden die Finger geschult, aber auch die Verbindungen zwischen Gehirn und den ausführenden Gliedern, mit anderen Worten: die Motorik.

Im Hinblick auf die Vervollkommnung eines dynamischen Spiels leuchtet mir das sehr ein. Aber kann man allein auf diese Weise den Charakter des Tons formen?

Es kommt ja noch weitere Faktoren ins Spiel, die Massenträgheit und die Schwerkraft, die man als Gegenkräfte spüren kann. Die Art und Weise, wie man mit diesen Kräften umgeht oder sie überwindet, geben einem zusätzliche Kontrolle. Hier kommt man in den Bereich der Ton- oder Klanggestaltung, von der du sprichst.

Das erinnert mich an meine Klavierlehrerin. Sie sagte mir immer: „Sie sollen nicht die Töne in das Piano hineinschlagen, sondern Musik aus dem Klavier herausholen!“

Das ist gut! Yeah, ein wichtiger Aspekt beim Forte-Spiel – das trifft es genau.

Du stellst dem mechanischen Üben bzw. der Ausbildung der motorischen Fähigkeiten die gedankliche Beschäftigung mit dem Instrument gegenüber …

Ich differenziere nur, um die Einzelaspekte aufzuzeigen. Man braucht, um eine Bewegung auszuführen, ein Konzept davon im Kopf. Je komplexer die Bewegung und die Abläufe, desto wichtiger wird, dass man sich über die Ausführung keine Gedanken mehr macht, sondern die Verbindung zwischen Kopf, Herz und Händen steht. Das ist anstrengende Gedankenarbeit, bis man sich selbst zum perfekten Interface zwischen innen und außen erzogen hat. Das rein mechanische Runterleiern von Tonleitern oder Fingerübungen ist dagegen völlige Zeitverschwendung, denn das beansprucht nicht den Kopf. Wenn man das Ziel hat, seine Emotionen im Spiel zu transportieren, kommt es auf eine geschulte Verbindung zwischen Gehirn und Händen an.

Wer war dein Klavierlehrer?

Burton Hatheway aus Fairfield, Connecticut, ein fantastischer Komponist und brillianter Pädagoge.

Du hast im Augenblick vier Projekte, die alle zu völlig verschiedene Genres gehören. Da sind die „Jamie Saft Blues Explosion“, das „New Zion Trio“, deine Solokonzerte und die neue Kooperation mit Lorenzo di Feliciati, „Berserk“. Betreibst du das alles gleichzeitig?

Das fällt mir nicht schwer. Solokonzerte gebe ich, wenn sich eine Weile Material an – gesammelt hat. Das geschieht ständig, da ich eigentlich nie im herkömmlichen Sinne übe. Ich spiele und improvisiere, setzte mir dabei Ziele, und heraus kommen neue Ideen und Skizzen. Mein Üben kostet also keine Zeit, sondern liefert ausgearbeitete Themen und Stücke.

Bereitet es dir keine Mühe, zwischen swingendem Jazz und echtem Roots-Reggae mit der weggelassenen 1 und dem Hauptbeat auf der 3 zu switchen?

Vielerorts sind die verschiedenen Stile und Musikformen in Perioden nacheinander entstanden, sowohl im Jazz als auch im Pop. Ein Musiker, der in den 60ern mit Garage Rock, Surf und British Beat aufgewachsen ist, hatte in den 70ern sicher Schwierigkeiten, sich in den Reggae einzufühlen – es sind diametral entgegengesetzte Rhythmuskonzepte. Aber heute wachsen wir Musiker mit allen Stilen gleichzeitig auf. Und hier in New York ist es noch viel deutlicher: NYC = Culture Clash. Nicht nur die Musikstile, sondern auch die Nationalitäten und die Menschen, die sie eingeführt oder geprägt haben, sind überall. Du kannst nicht nur Reggae oder Bebop im Club hören, sondern auch noch von den Menschen gespielt, die es erfunden haben oder nah dabei waren. Als Kind habe ich zum Beispiel parallel AC/DC, Black Sabbath, Pharao Sanders und Peter Tosh gehört. Das war für mich alles eins – nämlich spannende Musik. Zu Roots-Reggae habe ich natürlich noch einen anderen, spirituellen Zugang. Über Khabalah und Meditation kann man den Kern der Musikstile schnell von innen erspüren. Aber das gilt auch für die anderen Stile, in denen ich mich ausdrücke.

Erzähle uns bitte von Berserk! Das ist jetzt nicht gerade eine typische Jamie-Saft-Musik, denke ich … Was meinst du?

Klingt wie, sagen wir mal, „Doom Metal Fusion Jazzhardcore“. (lacht) Ja, eine der etwas anderen Musikerfahrungen. Ich wurde eingeladen, um am Sound mitzuarbeiten, habe dafür auch mein gesamtes Equipment aufgefahren.

Ja, es sind bemerkenswerte Klänge dabei. Gleich beim ersten Stück Macabre Dance fiel mir neben dem super komprimierten Acoustic Bass eine Art Cembalo-Sound auf – klang wie ein Preset auf den alten Roland Juno-Synths …

Ich weiß, was du meinst, aber das war etwas echt Besonderes, und zwar ein „Baldwin Electric Harpsichord“. Haben wir in Las Vegas gekauft, gehörte mal dem Colonol (legendärer Manager von Elvis Presley; Anm. d. Aut.), und der hat es wohl aus dem Nachlass von Elvis persönlich. Ein irres Trumm und im paillettenbesetzten Casino-Look – sieht aus wie die Flügel, die Liberace seinerzeit immer aufgefahren hat. Aber wie du hörst – man kann damit wirklich scary Sounds zaubern.

Apropos Equipment: In den Videos sieht man dich stets an teuren, großen Instrumenten, – Steinway, B 3, Rhodes, Wurlitzer. Nimmst du das alles mit? Hast du es schon mal mit Software-Instrumenten versucht?

Ich besitze diese Instrumente alle und noch jede Menge mehr, ich bin ein ernsthafter Sammler. Allerdings nehme ich die Sachen nicht mit auf Tour; was du siehst, sind meist Mietinstrumente. Wenn ich in Europa spiele, sowieso! Und Software-Keyboards – entschuldige bitte – sind für mich absolut keine Option. Ich brauche ja meine Finger nicht zu schulen, wenn irgendein ein virtuelles Wannabe-Instrument davon nur 10 % mitbekommt und umsetzt. Ich habe mal einen Roland Fantom-XR besorgt, weil ich einen Jingle für irgendeine kleine Show komponieren sollte. Da alles künstlich und unecht klingen sollte, war das die richtige Wahl, so klang es dann auch! (lacht herzhaft)

Dann hast du eine Art Keyboard-Museum zu Hause?

Ansatzweise, aber ich bin sehr gut bekannt mit Steve Greenstein von „Vintage Piano Works“. Er ist Leiter der Hudson Valley Piano Technicians Guild und ein brillanter Intonator. Er betreut das Piano Performance Museum im Doctorow Center of Arts der Catskill Mountain Foundation in Hunter, NY – eine gigantische Sammlung akustischer und elektrischer Tasteninstrumente, auf denen man im Gegensatz zu anderen Museen auch ausgiebig spielen kann. Allerdings ist das nur nach Anmeldung und Verabredung möglich! (pianoperformancemuseum.tumblr.com)

Noch eine kurze Frage zu den zahlreichen Kooperationen, in die du eingebunden warst. Nicht nur mit Jazz-Avantgardisten wie John Zorn hast du aufgenommen, auch mit den B52s. Eine Arbeit hat mich besonders fasziniert, das Album Build a Nation von den Bad Brains, das der kürzlich verstorbene Adam Yauch der legendären Beastie Boys produziert hat.

Ich fühle mich extrem geehrt und schätze mich sehr glücklich, dass ich an diesem Album mitarbeiten durfte. Adam Yauch und sein Engineer Matt Marinelli stellten mich der Band vor, und ich spielte dann auf sämt – lichen Reggae-Stücken des Albums. Ich hatte dabei auch das Hohner Clavinet D6 unter den Fingern, das die Beasties auf ihrem legendären Album Check Your Head verwendeten. Very inspiring experience!

Beastie Boys 1992 Live auf MTV: ab 12:24 – das D6 gespielt von Money Mark 😉

Jamie, herzlichen Dank für dieses wirklich außergewöhnlich interessante Gespräch! 


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