Test: Ulysses – der ablenkungsfreie Texteditor (Mac/iOS)
Seit Laptop, Smartphone und Co unsere täglichen Begleiter geworden sind, wurden Notizbücher obsolet. Doch der vermeintliche Fortschritt entpuppt sich in der Praxis manchmal als Kreativitätskiller: viel zu oft ist man mit Technik, Dateiverwaltung oder Formatierung beschäftig. Der Texteditor „Ulysses“ will Abhilfe schaffen.
Eine alltägliche Szene: man Sitzt am Klavier und schreibt einen Song. Die Stimmung passt, und der Text scheint völlig ohne Mühe zu „fließen“. Also: elektronisch festhalten. Programm starten und dann passiert es: „Schriftgröße? Arial oder Times? Oder einen ganz anderen Schrifttyp? Songtitel fett und unterstrichen?“ Und der Text ist wieder weg. Genau für ein solch ein Szenario wurde der Texteditor „Ulysses“ geschaffen, welcher sich zum Ziel gesetzt hat, quasi völlig auf umständliches Formatieren während des Schreibvorgangs zu verzichten. Wir testen das Programm auf Herz und Nieren, welches es auch für die mobilen Geräte iPad und neuerdings auch iPhone gibt.
Gestartet
Die Installation auf einem für diesen Test genutzten Macbook klappt problemlos. Ulysses lässt sich für knapp 50€ aus dem Appstore laden. Das ist nicht gerade günstig, wenn man an die kostenlosen Notizapp oder TextEdit im Betriebssystem denkt. Angesichts professioneller Texteditoren wie Microsofts Word relativiert sich der Preis für Ulysses aber unter Umständen wieder. Gerade für Vielschreiber (für die das Programm ja gedacht ist) könnte sich die Investition lohnen.
Nach dem Start fällt die Dateiverwaltung auf: es gibt quasi keine. Ihr bleibt zu jeder Zeit in der Software: es lassen sich Ordner (und zahlreiche Unterordner) erstellen, in welchem ihr dann wiederum auf einzelnen Blättern schreibt. Dies ist die kleinste Einheit und entspricht quasi einer herkömmlichen Textdatei. Der Vorteil dieser Art von Veraltung: ihr können munter Blätter miteinander kombinieren, verschieben oder teilen. Nachteil: die Dokumente verbleiben im „Ökosystem“ von Ulysses, müssen also erst exportiert werden. Im Austausch etwa mit euren Kollegen oder Bandmitgliedern ist das einfach umständlicher.
Formatieren
Eine Besonderheit des Editors ist der Fokus auf den reinen Text – das Formatieren (also etwa kursiv oder unterstrichen) rückt in den Hintergrund. Das soll aber nicht heißen, dass ihr darauf verzichten müsst. Das Prinzip hinter Ulysses heißt „Markup“ und lässt sich einfach erklären: statt die Formatierung über Menüs oder Schaltflächen auszulösen, schreibt ihr bestimmte Sonderzeichen in euren Text. Auf _dieser Art_ etwa wird der so eingerahmte Teil beim Exportieren kursiv ausgegeben. **So** markiert ihr eine gefettete Passage. Im Editor wird euch während des Vorgangs nur angezeigt, das ihr formatiert habt – das Resultat wird erst beim exportieren oder in einer Vorschauansicht sichtbar. An dieses System muss man sich als Neuling erst gewöhnen – für mich war es nicht immer einfach, mich an die zahlreichen Kürzel etwa für Überschriften, Verknüpfungen oder Unterstreichungen zu erinnern. Zur Not kann man sich diese im Programm aber anzeigen lassen.
Snychronisaton und Backups
Mit an Bord ist die Option, eure Texte auf all euren Geräten via iCloud zu synchronisieren. Das klappt gut – und ist sinnvoll, wenn ihr die mobile Variante von Ulysses nutzt. So könnt ihr auch in der Bahn noch einmal über eure Texte lesen, oder habt eure im Studio geschriebenen Texte eins zu eins auch auf dem Gerät für die Bühne.
Eine Backupfunktion sichert eure Texte. So könnt ihr auch nach längerer Zeit noch einmal alte Versionen eurer Blätter begutachten und gegebenenfalls wiederherstellen.
Praxis
Für den Praxisbetrieb gibt es weitere Funktionen, die euch unter die Arme greifen. Ihr könnt euch etwa in einer Übersicht anzeigen lassen, wie viele Wörter oder wie lange ihr schon an eurem Werk geschrieben habt. In dieser Sektion lassen sich auch Ziele festlegen, etwa „in dieser Woche schreibe ich mindestens 500 Wörter“. Andernorts lassen sich Dateien an eure Blätter anhängen – etwa Bilder oder Notizen. Je mehr ihr allerdings davon nutzt, desto mehr erweitern sich eure Optionen. Und damit verliert Ulysses wieder mehr von seiner ursprünglichen Idee: die Konzentration auf bloßen Text. Dankenswerterweise halten sich alle Zusatzfeatures aber im Hintergrund wenn ihr sie nicht benutzt.
Fazit
Ulysses ist ein durchdachter Texteditor für Vielschreiber und -nutzer. Natürlich lässt sich das Programm oder die App auch dann verwenden, wenn ihr nur gelegentlich etwas notieren wollt. Neulinge sollten aber eine gewisse Umgewöhnungs- und Einarbeitungszeit einplanen. Synchronisation und Backup sind ein ebenso willkommenes Feature wie die Möglichkeit, Dateien anzuhängen oder Schreibziele festzulegen. Diese „Goodies“ sorgen aber für mehr Balast, was der ursprünglichen Idee hinter Ulysses nicht sehr gut tut. Wer sich mit der Prinzip Markup bereits auskennt und eine Lösung für kreatives Schreiben sucht, in der ihr alles „unter einem Dach“ habt, der kann mit Ulysses aber definitiv glücklich werden.
Witzig. Anstatt sich einmalig mit einer sinnvollen Ordnerstruktur und einer sinnvollen Formatvorlagen sowie sich seit Jahrtausenden bekannte Tastaturkürzel anzueignen, gibt man also 50 Tacken für ein neu erfundenes Rad aus. Ihr seid komisch.